DeepThought_2022

»Jeder Mensch in unserem Land, der am 24. Februar aufwachte und die Bilder sah von Raketeneinschlägen in Kiew, von Panzerkolonnen auf ukrainischen Straßen, von der russischen Invasion auf breitester Front – jeder, der mit diesen Bildern erwachte, wusste: An diesem Morgen war die Welt eine andere geworden.«

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Gedanken zu Frank-Walter Steinmeiers Rede zur Lage der Nation vom 28. Oktober 2022

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Ich weiß nicht wie Sie am 24. Februar aufgewacht sind. Ich weiß nur, dass ich erinnerungsgemäß nicht feststellen konnte, dass die Welt quasi über Nacht eine andere geworden war. Nach fast drei Jahren CoV¡d-Hysterie fällt es mir leicht, morgens aufzuwachen und festzustellen, dass sich überhaupt nichts geändert hat - auch wenn "jeder Mensch in unserem Land" an jenem Morgen aufwachte und "wusste", dass es so war, wie Steinmeier suggerierte. Ich jedenfalls wachte nicht mit Bildern von Raketeneinschlägen in Kiew auf.

»Für niemanden ist der Schrecken dieses Morgens so entsetzlich wie für die Menschen in der Ukraine selbst. Mit einigen von ihnen saß ich am Dienstag [25.10.] in Korjukiwka, einer kleinen Stadt nahe der weißrussischen Grenze, zusammen in einem Luftschutzkeller.«

© Global Look Press | Michael Kappeler

Irgendwie befremdlich, wenn man nachrecherchiert, dass an jenem Dienstag, als der deutsche Bundespräsident wegen Luftalarms in einen Schutzkeller flüchten musste, keine "Kampfhandlungen" oder Luftangriffe in der 300km von Kiew entfernten Stadt Korjukiwka stattfanden. Weder deutsche oder internationale noch ukrainische Medien berichteten entsprechendes. Indes warf der Kolumnist Thomas Fischer am Montag im Spiegel mehrere Fragen über den jüngsten Besuch Steinmeiers in der Ukraine auf, bei dem dieser u.a. wegen eines angeblichen Luftangriffs durch russische Streitkräfte auf Korjukiwka über eine Stunde in einem Luftschutzkeller verbringen musste. "Könnte dies Teil eines inszenierten Propagandastunts gewesen sein?", fragt Fischer dort lakonisch. – Aber das nur am Rande.

Propaganda wird übrigens von allen Konfliktparteien betrieben. Durch einen Abgleich der von jeglicher Propaganda vorgegaukelten Realität mit der "echten" Realität stellen sich jedoch für den aufmerksamen Betrachter gewisse Widersprüche zwischen vorgegaukelter und echter Realität dar – Widersprüche, die es einem gestatten, zu bewerten, welche propagierte Realität weiter von der "echten" Realität entfernt ist. Welche das im aktuellen Konflikt wohl ist, überlasse ich Ihrem eigenen Urteilsvermögen.

War in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz am 27. Februar noch von einer "Zeitenwende" die Rede, ist diese am 28. Oktober in der Rede des notorischen Bundesphrasendreschers Steinmeier zur 'Lage der Nation' zum "Epochenbruch" gereift. Ein Epochenbruch, der "unser Erfolgsmodell der weltweit vernetzten Volkswirtschaft unter Druck geraten [ließ]" – Der uns in eine Zeit gestürzt habe, "in der gesellschaftlicher Zusammenhalt, das Vertrauen in Demokratie, mehr noch: das Vertrauen in uns selbst Schaden genommen hat."

"Vertrauen in die Demokratie ... hat Schaden genommen"? Weniger pathetisch ausgedrückt hätte er formulieren (lassen) müssen: Die Leute fühlen sich zunehmend verarscht. Und der "gesellschaftliche Zusammenhalt" in Deutschland war am 24. Februar 2022 bereits seit mindestens zweieinhalb Jahren Geschichte. Auch war es sicherlich nicht der "Epochenbruch", der unser "Erfolgsmodell bla bla bla..." zerstörte, sondern eher die grenzdebile Politik unserer Erfolgspolitiker in den letzten drei Jahrzehnten – und nicht zu vergessen die völlig hirnrissigen Sanktionen, die nicht Putin, sondern uns den Rest gegeben haben.

»Unser eigenes deutsches Glück prägte unseren Blick auf die Welt. Wir setzten darauf, dass wir von Freunden umgeben und der Krieg in Europa jedenfalls unvorstellbar geworden sei. Freiheit und Demokratie schienen überall auf dem Vormarsch, Handel und Wohlstand in alle Richtungen möglich.«

Liest der Mann eigentlich keine Zeitung? Außerdem zeugen diese Äußerungen (mindestens) seit dem CIA-Abhörskandal um Merkels Handy und spätestens seit dem Nordstream-Anschlag von seiner geradezu sträflichen Naivität, zu glauben, wir seien "von Freunden umgeben" und "Freiheit und Demokratie schienen überall auf dem Vormarsch". Mehr Realitätsferne ist kaum möglich. Man könnte sowieso den Eindruck haben, dass unser Staatsoberhaupt in den vergangenen drei Krisenjahren seltsam abwesend war.

»Russlands brutaler Angriffskrieg in der Ukraine hat die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt. In seiner imperialen Besessenheit hat der russische Präsident das Völkerrecht gebrochen, Grenzen in Frage gestellt, Landraub begangen. Der russische Angriff ist ein Angriff auf alle Lehren, die die Welt aus zwei Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert gezogen hatte.«

Russland [hat] die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt? Imperiale Besessenheit? Völkerrecht, Landraub ... Starke Signalworte - aber keine starken Argumente. Lehren, die die Welt aus zwei Weltkriegen gezogen hatte? ... Leere Worte oder leere Lehren? – Nun gut, obiger Absatz bedarf wohl nicht nur ob seiner antifaktischen Wortwahl einer etwas genaueren Betrachtung:

"Russlands brutaler Angriffskrieg in der Ukraine..." – Zweifellos hat Russland am 24. Februar 2022 miltitärische Handlungen gegen ein Nachbarland begonnen. Man kann diese Handlungen somit durchaus als Angriffskrieg bezeichnen - ob dieser Angriff brutal war, darauf werde ich später noch näher eingehen. Ob mit diesem Angriff jedoch ein Krieg begonnen wurde, ist bei genauerer Betrachtung der langen Vorgeschichte zu diesem Konflikt und bei genauerem Nachdenken darüber zumindest diskussionswürdig. Es sei denn, man hat sich dazu entschlossen, die ganze Angelegenheit ausschließlich durch die westliche Propagandabrille zu betrachten. Die Vorgeschichte zu diesem nun zu einem heißen Krieg gewordenen Konflikt - ausgehend von der fortschreitenden NATO-Osterweiterung über den US-initiierten Maidan-Putsch 2014 und die folgenden acht Kriegsjahre im Donbass (mit über 14.000 größtenteils zivilen Opfern) bis hin zu den von westlicher Seite gebrochenen Minsker Abkommen - zeugt eher davon, dass dieser Krieg schon vor über acht Jahren von US-Interessen geleitet begonnen wurde.

"...hat die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt." – Hier muss ich mir zunächst zwingend die Frage stellen: Was ist die "europäische Sicherheitsordnung" und worauf basiert sie? Basiert sie auf der seit der deutschen Wiedervereinigung massiv vorangetriebenen NATO-Ostwerweiterung? Oder auf der Stationierung immer näher an Russland heranrückender nuklearer Mittelstreckenraketen oder vielleicht auf der "imperialen Besessenheit" der nimmermüden USA und der ihnen brav folgenden Europäischen Union? Vielleicht hat sogar Putin mit seinen verlässlichen Energielieferungen mit dazu beigetragen - wer weiß?

Apropos "imperialistische Besessenheit", die Steinmeier dem russischen Präsidenten unterstellt und aufgrund derer Putin das "Völkerrecht gebrochen, Grenzen in Frage gestellt [und] Landraub begangen" haben soll: War es auch imperialistische Besessenheit, die die USA/NATO zum Bruch des Völkerrechts bei ihren "brutalen Angriffskriegen" in Yugoslawien, Irak, Afghanistan, Syrien oder Lybien bewegt hat? Dienten diese Brüche des Völkerrechts höheren Zielen wie dem "Kampf gegen den Terror" oder gar der Verteidigung der Menschenrechte? Oder dienten sie schlicht einer vorgeblichen "Sicherheitsordnung", die die weiteren imperialistischen Ambitionen der USA gewährleisten sollte, die womöglich in Gefahr waren? Letzteres scheint mir am plausibelsten zu sein. Aber das ist nur meine bescheidene Meinung.

"In Schutt und Asche" liegen meines Erachtens jedenfalls die Pläne der USA und des sogenannten kollektiven Westens, Russland mal eben endgültig von der Weltbühne abtreten zu lassen und somit den Übergang in eine neue multipolare Weltordnung zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Eine neue Weltordnung, die, ganz anders als die vom Westen ersehnte "New World Order", vermutlich das Ende der globalen US-Hegemonie (und wohl auch der "europäischen Sicherheitsordnung" ) zur Folge hätte.

Aber da ist ja nun "der russische Angriff auf alle Lehren, die die Welt aus zwei Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert gezogen hatte." Eine schlechtere Ausrede für die eigene Geschichtsvergessenheit lässt sich kaum finden. Wer ist eigentlich "die Welt, die 'alle Lehren' aus zwei Weltkriegen gezogen hatte"? Steinmeiers Welt? Die der USA und ihrer Vasallen? Oder vielleicht doch eher die russische, die in zwei Weltkriegen rund 30 Millionen Opfer zu beklagen hatte? Steinmeier suggeriert - bewusst oder unbewusst? -, dass der sogenannte kollektive Westen die Lehren aus zwei Weltkriegen gezogen habe, nicht jedoch Russland, das viel mehr unter diesen Kriegen zu leiden hatte. Er beschuldigt also Russland Angreifer auf die Lehren, die der Westen aus den zwei Weltkriegen angeblich gezogen hat, zu sein. Die aggressive Politik der USA und ihrer Vasallen in den vergangenen Dekaden sowie deren Resultate lassen mich allerdings ernsthaft daran zweifeln, dass der kollektive Westen inklusive Steinmeier wirklich irgendwelche Lehren aus zwei schrecklichen Weltkriegen gezogen haben. Die gut/böse Sicht wurde faktisch nie beendet. Der Kalte Krieg ebensowenig.

»Heute sind diese gemeinsamen friedenswahrenden Lehren verblasst. An die Stelle des Austausches, der Suche nach dem Verbindenden tritt mehr und mehr das Ringen um Dominanz.«

Was für eine Heuchelei sondergleichen! Welche "friedenswahrenden Lehren" sind bei wem verblasst? Wer hat seit Ende des Zweiten Weltkriegs die größten Anstrengungen unternommen, zur global dominierenden Weltmacht aufzusteigen? Der zweite Satz liefert, wenn man ihn denn aufmerksam und auch zwischen den Zeilen liest, eine richtige Erkenntnis und das Eingeständnis der Ignoranz dieser Erkenntnis zugleich. Ja, "Austausch" und "die Suche nach dem Verbindenden" wären gerade heute wichtiger denn je. Nichts anderes hatte Putin in den vergangenen Jahren vor dem Beginn des heißen Krieges in der Ukraine bis zuletzt versucht. Die Antworten des Westens waren - neben dem Maidan-Putsch und der fortschreitenden NATO-Osterweiterung - der Bruch der Minsker Abkommen, die Ignoranz der Forderung Putins nach Neutralität der Ukraine sowie noch größere finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine.

Nachdem Putin beschloss, diesem Treiben nicht länger tatenlos zuzusehen und am 24. Februar seinen erfolglosen Bemühungen, die Sicherheitsinteressen Russlands zu wahren und den Schutz der russischstämmigen Bevölkerung in der Ostukraine zu gewährleisten, militärische Taten folgen ließ, setzten sich die "Antworten" des Westens mit Sanktionen, dem US-Verbot von Friedensverhandlungen zwischen Zelenskyj und Putin im April, den Anschlägen auf die Nordstream-Pipelines und die Krim-Brücke und zuletzt mit dem Angriff auf Sewastopol fort. Man fragt sich, wer hier um Dominanz ringt. Denn wer ernsthaft auf der "Suche nach dem Verbindenden" ist, darf die Interessen des anderen nicht einfach ignorieren.

Steinmeier streift dann im Weiteren noch kurz Chinas wirtschaftlichen und politischen Machtanspruch in der Welt, um anschließend zu resümieren, dass "dieses Ringen um Dominanz die Zukunft der internationalen Beziehungen auf lange Sicht prägen [wird]". Sodann stellt er nüchtern fest:

»Die traurige Wahrheit ist leider: Die Welt ist auf dem Weg in eine Phase der Konfrontation – obwohl sie doch dringender denn je auf Kooperation angewiesen wäre. Klimawandel, Artensterben, Pandemien, Hunger, Migration, nichts davon lässt sich lösen ohne die Bereitschaft und den Willen zu internationaler Zusammenarbeit. Und deshalb darf das Bemühen darum – trotz Krise und Krieg – nicht aufgegeben werden!«

»Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu.«

Welch bahnbrechende Erkenntnis! Das mit der internationalen Kooperation lassen wir mal so stehen - allerdings mit dem Hinweis, dass auch Russland (als Teil der Welt) Teil dieser internationalen Zusammenarbeit sein müsste. Ob sich "Klimawandel, Artensterben, Pandemien, Hunger [und] Migration" überhaupt mit den Mitteln westlicher Politik "lösen lassen", steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber westliche Narrative brauchen halt ihre zündenden Keywords – "trotz Krise und Krieg"!

Es folgt eine lange Litanei der Beweihräucherung deutscher Stärken und Erfahrungen, deren Kommentierung ich Ihnen und mir hier erspare. Nur der Vollständigkeit halber einige Auszüge daraus:

»Um in dieser Zeit zu bestehen, können wir auf die Kraft und Stärke bauen, die wir uns in den vergangenen Jahren erarbeitet haben. Und helfen werden uns Erfahrungen, die wir bei der Überwindung anderer schwerer Krisen gemacht haben. Vergessen wir – bei allen Sorgen – gerade jetzt nicht: Wir sind wirtschaftlich stark, stärker als viele andere. Wir haben gute Forschung, starke Unternehmen und einen leistungsfähigen Staat. Wir haben eine große und starke Mitte in unserer Gesellschaft.«

»Wir brauchen keine Kriegsmentalität – aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft!«

»Dazu gehört zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr. Diese Erwartung haben unsere Bürger, und die haben auch unsere Nachbarn und Partner. Wir sind das starke Land in der Mitte Europas. Wir sind in der Pflicht, unseren Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten – heute viel mehr als in einer Zeit, in der andere, vor allem die USA, die schützende Hand über uns gehalten haben.«

»Ich versichere unseren Partnern: Deutschland nimmt seine Verantwortung an, in der NATO und in Europa. Das zeigen die sicherheitspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung seit der Zeitenwende vom 24. Februar. Das zeigt vor allem aber auch die breite öffentliche Zustimmung, mit der diese Entscheidungen getragen werden.«

»Zu einem offenen Blick in die neue Zeit gehören auch schwierige Fragen an uns selbst. Die Welt seit dem Epochenbruch ist eine andere – und das bedeutet, dass wir von alten Denkmustern und Hoffnungen Abschied nehmen müssen.«

»Das gilt ganz besonders für unseren Blick auf Russland.«

»Aber wenn wir auf das Russland von heute schauen, dann ist eben kein Platz für ALTE TRÄUME. Unsere Länder stehen heute gegeneinander.«

Moment! Hier will ich jetzt doch mal einhaken bzw. entschieden widersprechen. "Unsere Länder stehen heute gegeneinander", behauptet Steinmeier. Ob das viele Deutsche, die sich ja laut Steinmeier "Russland und seinen Menschen verbunden fühlen, russische Musik und Literatur lieben" und die lieber weiterhin Gas von Russland beziehen würden, als für die Ukraine zu frieren, ebenso sehen, wage ich zu bezweifeln. Ist es nicht vielmehr so, dass berechtigte russische Sicherheitsinteressen den geopolitischen Interessen und den Allmachtsphantasien der USA entgegenstehen?

»Russlands Angriffskrieg hat Gorbatschows Traum vom 'gemeinsamen Haus Europa' zertrümmert. […] Er ist ein Angriff auf alles, wofür auch wir Deutsche stehen. […] Und deshalb, lieber Herr Botschafter Makeiev [Anm.: Nachfolger von Andrij Melnyk], unterstützen wir die Ukraine, solange es nötig sein wird.«

Kein Platz für alte Träume, hieß es ein paar Zeilen vorher, nun ist es Gorbatschows Traum, der gerade zertrümmert wird. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass hier eher die Traumwelt eines Bundespräsidenten zusammenbricht als denn die deutsche Wirtschaft oder die Infrastruktur der Ukraine. Ob die Unterstützung, die Steinmeier dem lieben Herrn Botschafter großmännisch zusichert, noch etwas bewirken und wie lange sie noch geleistet werden kann, bleibt offen. Solange es nötig sein wird, eben.

»Sanktionen, Abbruch von Kontakten, Waffenlieferungen in einen tobenden Krieg: Nichts davon ist Alltag, nichts davon verträgt sich mit unseren bisherigen Vorstellungen von einem friedlichen Miteinander. Aber wir leben eben nicht in einer idealen Welt, wir leben im Konflikt. Und dafür brauchen wir Konfliktinstrumente. […]

Ich habe gesagt: Wir leben im Konflikt, und dieser Krieg geht uns etwas an. Aber ebenso wichtig ist mir: Unser Land ist nicht im Krieg. Und wir wollen auch nicht, dass sich das ändert. Eine Ausweitung des Krieges, gar eine nukleare Eskalation, die muss verhindert werden.«

Wir leben im Konflikt, liefern Waffen an eine Kriegspartei, deren Krieg uns etwas angeht, aber sind nicht im Krieg? Diese Logik, so man sie denn überhaupt als solche bezeichnen kann, erscheint mir ein wenig merkwürdig. Lauterbach war da direkter. Und wie man eine Ausweitung des Krieges oder gar eine nukleare Eskalation mit mehr Waffenlieferungen verhindern will, ist mir schleierhaft.

Vom Angesicht des Bösen ist dann noch die Rede. Vom guten Willen und einem Scheinfrieden, der aber "Putins Hunger nur vergrößern würde". Also doch lieber ein Siegfrieden?

»Den Frieden wollen, aber Waffen ins Kampfgebiet liefern; eine Kriegspartei unterstützen, aber selbst nicht im Krieg sein; Sanktionen gegen andere beschließen, aber auch selbst darunter leiden – ja, das sind Widersprüche, und ich höre jeden Tag, wie viele Deutsche daran zweifeln, manche sogar verzweifeln.«

Er hat sie tatsächlich erwähnt, die Widersprüche. Ich bezweifle jedoch, dass er jeden Tag von den Zweifeln und der Verzweiflung vieler Deutscher hört. Deren Klagen dringen wohl kaum durch die Mauern von Schloss Bellevue oder die des Luftschutzbunkers in Korjukiwka.

Es folgen weitere hohle Phrasen zur Situation der Menschen in Deutschland und salbungsvolle Bekundungen zum unerschütterlichen Willen, diesen zu helfen: »Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein! Er setzt seine Kraft ein, um denen zu helfen, die es allein nicht schaffen. Entlastungspakete, Abwehrschirm, Gaspreisbremse, Wohngeld und Unterstützungsleistungen für Unternehmen, die großen wie die kleinen, zeugen von diesem Willen.« – Wobei er doch selbst vorher noch anmerkte, dass guter Wille allein nicht reiche. Ach so, ich vergaß, da ging es ja um das Böse, also um Putin.

Schließlich kommt er bei dem Dauerthema an, das selbst in Kriegszeiten bei keiner "großen" Rede fehlen darf, dem Klimawandel:

»Der Klimawandel macht keine Ukraine-Pause!«

Steinmeier beschließt diese Passage, die eher nach einem von den Grünen verfassten Manifest klingt, mit folgendem Satz:

»Ohne den Kampf gegen den Klimawandel ist alles nichts.«

Vielleicht hätte der Bundespräsident mit diesem Satz die Rede enden lassen sollen, denn alles was nun noch folgt ist ein nochmaliger Aufguss des zuvor bereits Gesagten - angereichert mit noch mehr Pathos, Lippenbekenntnissen und hilflosen Floskeln. Und das alles nur, um mit einem kraftlosen Motivationsversuch zum Schluss zu kommen:

»Vertrauen wir einander – und vertrauen wir uns selbst! Und lassen wir uns nicht entmutigen vom Gegenwind, der uns in dieser neuen Zeit entgegenweht. Es kommt nicht darauf an, dass alle dasselbe tun – aber dass wir eines gemeinsam im Sinn haben: alles zu stärken, was uns verbindet!«

Der Bundespräsident wollte eine große Rede an die Nation halten – doch in die Geschichtsbücher schafft sie es wohl nicht. Kein Funken Selbstkritik, keine Kritik an der derzeitigen Bundesregierung, kein Bekennen zu den haarsträubenden Fehlern, die die Politik in den vergangenen drei Jahren begangen hat. Keine Reue bezüglich der Spaltung unserer Gesellschaft, keine Bitte um Verzeihung an die zahllosen Ausgestoßenen, die sich nicht dem herrschenden Narrativ beugten.

Eine Hass- und Schönrede zugleich. Und irgendwie überflüssig in einer Zeit, in der kein Platz für alte Träume(r) ist.

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Schlussanmerkung

Wann werden die Deutschen und die Europäer begreifen, dass die USA nicht ihr Freund sind, wenn das nicht mal Steinmeier, Scholz, VdL & Co zu begreifen scheinen? Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen. Starke Staaten vertreten ihre Interessen vehement - die USA sind das beste Beispiel. Diejenigen, die "gewählt" wurden, um unsere nationalen Interessen oder auch die europäischen zu vertreten, tun das seit Dekaden mit Bravour … NICHT!

Ein Bundespräsident, der "sein" Volk auf das Frieren für die Ukraine einschwört; ein Bundeskanzler, der vor einem Atomkrieg warnt und gleichzeitig keine Gelegenheit auslässt, diese Gefahr weiter zu eskalieren – ebenso wie seine Außenministerdarstellerin, die sich bekanntermaßen den Ukrainern mehr verpflichtet fühlt als dem eigenen "Wahlvolk" und die eine (grüne!) Kriegshetzerin par excellence ist; ein Kinderbuchautor, der plötzlich die Macht hat, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt quasi im Alleingang gegen die Wand zu fahren; und eine von-und-zu-von-der-Leyen, die bis über beide Ohren im Arsch von WEF, BigPharma und den US-Finanzeliten steckt, geben kaum Hoffnung, dass ein Vernunft-Reset ohne den konsequenten Austausch dieses Personals überhaupt möglich ist – und dieser steht leider nicht zu erwarten.

Und wir werden mehr brauchen als Träume, um zu leben und eine Zukunft zu haben. Wir brauchen eine kritische Masse an vernünftigen, selbstdenkenden und vor allem handelnden Menschen, die verstehen, dass sie die 99% sind – der Souverän.

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