Depp ist, wer Andersdenkende leichtfertig zu Deppen erklärt

In Deppenforen (wie FUF vielleicht ?) ergibt sich des öfteren das Problem, dass überhaupt nicht mehr zur Sache argumentiert wird, und überhaupt keine Meinungen zu Sachfragen mehr ausgetauscht werden, sondern es zahlreiche Schimpftiraden gibt, zumindest in eine Richtung, vielleicht auch in beide Richtungen.

Aber das "Depp"-Geschimpfe ist kein Phänomen des Internetzeitalters, sondern das gab es schon lange davor.

So präsentierte die Bayern-Pop-Gruppe Haindling im Jahr 1984 den Song "Du depperter Depp, Du!".

Hier die Lyrics,also die Liedtexte dazu:

"Haindling - Du Depp 1984

Du Depp, du Depp, du Depp, du depperta Depp du,

du depperta Depp du, Depp du, schau di doch o!

Du Depp, du Depp, du Depp, du depperta Depp du,

du depperta Depp du, Depp du, schau di doch o!

Von hundert Meter ko ma scho erkenna,

da kimmt a Depp daher!

Von weitem scho kon a jeder sehng,

schau her, des is a Depp!

Von hundert Meter ko ma schon erkenna,

schau hie, da kimmt a Depp daher!

Von weitem sigt a jeder Depp:

oh, des is a Depp!

(Instrumental)

Du Depp, du Depp, du Depp, du depperta Depp du,

du depperta Depp du, Depp du, schau di doch o!

Du Depp, du Depp, du Depp, du depperta Depp du,

du depperta Depp du, Depp du, schau di doch o!

Von hundert Meter ko ma scho erkenna,

da kimmt a Depp daher!

Von weitem scho kon a jeder sehng,

schau her, des is a Depp!

Von hundert Meter ko ma schon erkenna,

schau hie, da kimmt a Depp daher!"

Während die Deppen (zum Teil auch hier auf FUF) diesen Song als Freibrief interpretieren, Andere mehr oder weniger willkürlich als "Deppen" zu beschimpfen, gibt es auch eine völlig andere Interpretation, die darauf hinausläuft, diesen Song als Satire auf Deppen, die glauben, überall Deppen zu sehen, zu verstehen.

Eine Schlüsselstelle dazu ist die Songzeile "Von hundert Meter ko ma scho erkenna, da kimmt a Depp daher!", weil das ja einfach gar nicht gehen kann, und eher denjenigen, der aus 100 Meter Entfernung schon alleine wegen des Anblicks glaubt, "Depp!" schimpfen zu dürfen, als Depp ausweist.

Eine weitere Schlüsselstelle ist die Songzeile: "Von weitem sigt a jeder Depp: oh, des is a Depp!"

Diese Songzeile bezeichnet eben den als Depp, der schon aus der Distanz glaubt, Deppen erkennen zu können.

Gerade im Internetzeitalter kann man es als eine gewisse Ironie erblicken, dass die Internetforen-User oft mehr als Hundert Meter entfernt sind, und daher Depp-Geschimpfe unter Verdacht fällt, diese Songzeile zu erfüllen.

Auf jeden Fall ist "Meinungsfreiheit" in Internetforen völlig oder ziemlich sinnlos, wenn eine große Zahl der Forenteilnehmer von Vornherein dazu neigt, Andersdenkende als Deppen zu beschimpfen oder zu betrachten.

Und es stellt sich auch die Frage, ob dieses Deppen-Geschimpfe (oder Dummkopf-Geschimpfe) ernst gemeint ist, oder nur dazu dient, Andersdenkende einzuschüchtern, mundtot zu machen oder von der Plattform zu vertreiben. Ein weiterer "Nutzen" des Deppen-Vorwurfs in der schwarzen (also bösen) Rhetorik (dass "Schwarz" hier als "böse" gilt, kann man auch als rassistisch-geprägte Sprache interpretieren, oder als Sprache, die Rassismus schafft) besteht darin, dass Leute, die keine Sachargumente mehr haben und die Debatte zu verlieren drohen, mit dem Deppen-Vorwurf an denjenigen, der die besseren Sachargumente hat, diese vor Dritten, die nicht so genau schauen, oftmals diskreditieren können. Die schlecht Argumentierenden können also durch den Deppen-Vorwurf an die Besser-Argumentierenden den Schaden ihrer schlechten Sachkenntnis vielfach begrenzen.

Auf jeden Fall scheint potenziell eine gewisse Nähe des Deppen-Geschimpfes zum Dunning-Kruger-Syndrom zu bestehen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt

Der erste Satz des Wikipedia-Artikel dazu ist: "Der Dunning-Kruger-Effekt ist die kognitive Verzerrung, bei der Menschen mit geringen Fähigkeiten bei einer Aufgabe ihre Fähigkeiten überschätzen. Einige Forscher schließen in ihrer Definition auch den gegenteiligen Effekt bei leistungsstarken Personen ein: ihre Tendenz, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen."

In ihren Artikel dazu beginnen die Psychologen mit der Schilderung eines Falles eines Bankräubers, der sich für sehr schlau hält, wenn er versucht, die Videokameras in Banken zu täuschen, wenn er sein Gesicht mit Zitronensaft einreibt.

Dass gerade ein Mann der beispielsgebende Fall für den Dunning-Kruger-Effekt ist, kann vermuten lassen, dass eher Männer (eher dumme Männer) zu Selbstüberschätzung, d.h. Überschätzung ihrer intellektuellen Fähigkeiten neigen.

Jedenfalls ernteten Dunning und Kruger von der Cornell-Universität, IIRC, für ihre Arbeit den Ignobel-Preis, der so eine Art Anti-Nobelpreis ist und oft für die schlechtesten wissenschaftlichen Arbeiten vergeben wird.

Oder eben für wissenschaftliche Arbeiten zu kuriosen Effekten.

Innerhalb der Intellektuellen der Piratenpartei galt der Dunning-Kruger-Effekt oft als Erklärung für vordergründig verrückt erscheinende Abstimmungsergebnisse in dem internen Abstimmungssystem, liquid feedback, das eigentlich für was anderes gedacht war.

Aber zurück zu Haindling und ihrem Song "Du depperter Depp, Du!" Ich frage mich ja, wie sie auf die Idee gekommen sind, einen solchen Song zu machen.

Vielleicht sassen sie mal am Stammtisch ihres Dorfwirtshauses und wollten mitdebattieren, kamen aber gar nicht zum Debattieren, weil dort das Deppen-Geschimpfe dominierte. Oder sie brachten Sachargumente und wurden daraufhin sofort mit Deppen-Geschimpfe statt mit Gegenargumenten niedergemacht, so ähnlich, wie das in vielen Internetforen weitverbreitet ist.

Auf jeden Fall ist die Idee, daraus eine Satire zu machen, eine gute, weil eine andere Methode als Satire hier vielleicht sowieso sinnlos ist, frei nach Juvenals "difficile est satiram non scribere" ("Hier ist´s schwierig, etwas anderes als eine Satire zu schreiben" )

Dieses Deppen-Geschimpfe kann auch den psychologisch wichtigen Effekt haben, Frust abzulassen und somit einen kathartischen (also reinigenden) Effekt haben. Zornbinkel und Frustbinkel können durch das Deppen-Geschimpfe (das bei größerer Öffentlichkeit allerdings Gefahr läuft, als üble Nachrede und somit illegal eingestuft zu werden) sich allerdings auch gegenseitig radikalisieren und in Gewalttaten und Terrorakte hineinsteigern, sozusagen als vermeintliches Notwehrrecht der Bürger gegen eine angeblich dumme Regierung, die angeblich diktatorisch z.B. angeblich diktatorische Covid-Lockdown-Maßnahmen beschlösse oder beschlossen habe. Unter gewissen Bedingungen können Staatsanwaltschaften auch geneigt sein, etwas, was unter anderen Umständen eine illegale üble Nachrede wäre, als "milieubedingte Unmutsäußerung" einzustufen, also als eine Äußerung, mit der ein Angehöriger (oder seltener eine weibliche Angehörige) einer Unterschicht zum Beispiel ihren Unmut über was-auch-immer äußert, wobei das Opfer der Unmutsäußerung oft gar nicht identisch mit dem Unmutsauslöser sein muss.

Vielleicht ist der Frust speziell eine Stimmung am Rande des politischen Spektrums, also bei Linksextremisten, Rechtsextremisten und islamischen Extremisten.

Normalerweise entlädt sich der Frust innerhalb einer Demokratie ja bei Wahlen, aber gerade der Sturm auf das Kapitol mit einigen Todesopfern durch eine von Reden von Ex-Präsidenten Trump dazu aufgestachelte Menge zeigt auf, wie schmal der Grat zwischen demokratisch-legitimer Rede und demokratisch-illegitimer Rede ist. Zu glauben, man würde die USA retten, wenn man wegen einer Trump-Rede das Kapitol stürmt und ein paar Kapitolswachen tötet, ist wohl auch eine ziemlich depperte Idee. So gesehen eine Bestätigung, dass Deppen eine große Gefahr für die Demokratie sind.

Interessant ist, dass die Kickl-FPÖ heute mit ihrer "Corona-Diktatur"-Rhetorik genau die damals von der FPÖ kritisierte linksextreme "Nazidiktatur"-Rhetorik kopiert, die im Jahr 2000 eine schwarz-blaue Regierung verhindern wollte und dabei auch mit "Widerstand! Widerstand! Schüssel, Haider an die Wand!"-Parolen arbeitete. Das An-Die-Wand-Stellen stammte dabei aus der Rhetorik der Erschiessungskommandos, die ihre Opfer häufig an eine Wand stellten, damit die Kugeln nur den zum Tode verurteilten und die Wand treffen konnten, und sonst niemanden.

(Zu blöd, dass die Hauptperson meines letzten Blogs ausgerechnet Johnny Depp heisst)

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