Was für Angela Merkels Großzügigkeit spricht, aber nie erwähnt wurde

Seit Jahren hören wir: "Merkel muss weg!", wir hören von Verbrechen, die Flüchtlinge, bzw. Migranten begangen haben, etc.

Was wir aber nicht gehört haben, was niemand erwähnt hat, sind die Verbrechen, die ohne Merkels Großzügigkeit stattgefunden hätten, die aber durch ihre Großzügigkeit verhindert wurden.

Damit meine ich nicht die Balkaneskalationsthese, die durchaus von Politikwissenschaftern wie Herfried Münkler erwähnt wurde, also die These, dass am Balkan gravierende Probleme aufgetreten wären, bis hin zum Krieg, wenn Deutschland nicht die Flüchtlinge / Migranten aus dem Syrienkrieg aufgenommen hätte, die am Balkan "steckengeblieben" waren. (Deutschland war für die Flüchtlinge / Migranten weit aufnahmefähiger als der Balkan)

Sondern ich meinte folgendes:

zwischen 1990 und 2012 meinten verschiedene prominente und einflussreiche islamische Politiker, wie z.B. der türkische Präsident Erdogan: "Die EU (bzw. die EG) ist ein Christenklub, der Muslime ausgrenzt"

Wenn die EU, insbesondere Deutschland eine restriktive Politik betrieben hätte, besonders 2015, dann hätte das als Bestätigung der EU-grenzt-Muslime-aus-These verstanden werden müssen, was wahrscheinlich eine hohe Anzahl von Terroranschlägen nach sich gezogen hätte, vielleicht insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz, also den Ländern mit hohem Anteil an Leuten mit türkischem Migrationshintergrund. (die türkischen Sunniten sind enge Glaubensbrüder der syrischen Sunniten, die in großer Zahl vom Alawiten Assad und seinen Verbündeten, darunter auch dem schiitischen Iran, vertrieben wurden)

Und es hätte auch das aussenpolitische Klima verschlechtert, Erdogan hätte sich möglicherweise geweigert, eine Art Sperrriegel für Flüchtlinge aus dem Syrienkreig zu spielen, bzw. hätte spätere, große Flüchtlingswellen einfach weitergeschickt statt sie aufzunehmen.

Wegen der vielen Krisenszenarien, die sich ergeben hätten, wenn Merkel, bzw. Deutschland anders gehandelt hätte, erscheint mir die Totaldämonisierung, die darauf beruht, dass man immer nur die stattgefundenen Verbrechen erwähnt, nicht aber die verhinderten, völlig falsch.

Natürlich wäre eine Welt völlig ohne Verbrechen schön.

Aber realpolitisch gibt es immer nur die Wahl zwischen unperfekten Alternativen, und diejenigen, die Merkel vorwerfen, nicht alle Probleme gelöst zu haben, erzeugen völlig unrealistische Erwartungen, die sie selbst nicht einlösen können, nur um gewählt zu werden, vielleicht in der Hoffnung, nach der Wahl ohnehin in der Opposition zu landen, in der man nicht beweisen muss, dass man es besser gemacht hätte.

Daher war es vielleicht das Beste, dass Merkel in Kohl-Manier populistische Kritik, die auf unrealistischen Vorstellungen absoluter Sicherheit beruhten, einfach aussaß und ignorierte.

CC / Pixabay / Wikimediaimages https://pixabay.com/de/angela-merkel-politiker-deutsch-876155/

Da die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den Terror, der aus der Erdogan-Rhetorik bei restriktiver Flüchtlingspolitik entstehen hätte können, wegen der gemeinsamen NATO-Mitgliedschaft von Deutschland und Türkei nicht erwähnen zu können glaubte, glaubte sie, Argumente zugunsten ihrer Politik verschweigen zu müssen.

Was den rechtspopulistischen Parteien einen Auftrieb gab, über dessen Berechtigung man streiten kann eben wegen der nie erwähnten, verhinderten Verbrechen.

P.S.: wenn Politiker und Politikerinnen schweigen müssen über Entscheidungsgründe, wegen Terrorgefahr oder/und Bündniszwängen, dann bedeutet das überspitzt gesagt, dass Demokratie sinnlos ist, dass die letzte Bunestagswahl ungültig ist, insofern, als viele Hunderttausende oder sogar Millionen Wähler und Wählerinnen anders gewählt hätten, wenn sie die wahren Entscheidungsgründe gewußt hätten. Wenn Merkel die Wahrheit gesagt hätte, hätte sie vielleicht 46% bei der Wahl bekommen, aber nicht 33%. Dafür aber hätte Deutschland sich vielleicht massive diplomatische Probleme mit islamischen Staaten (speziell mit der Türkei) eingehandelt. Ein klassischer Fall, dass man den Wahlsieg für das aussenpolitisch Richtige opfern muss, so wie Theodor Körner (der frühere Wiener Bürgermeister und österreichische Bundespräsident) oftmals das Richtige tat, auch um den hohen Preis, damit seiner eigenen Partei bei Wahlen massiv zu schaden.

Merkels Schweigen in einer so wichtigen Frage wie der wirklichen Gründe für ihre Entscheidungen in der Flüchtlingskrise 2015 ist so gravierend, dass man sie in der Tat als "Lüge" einstufen kann, in einer ähnlichen Kategorie wie Bushs und Blairs sogenannte "Massenvernichtungswaffenlüge" im Irakkrieg, die J.J. Mearsheimer zum Schreiben des Buches "Why Leaders lie" motivierte.

Wenn man die Terrorverhinderung als unverzichtbar betrachtet, hatte Merkel sowieso nur mehr eine Entscheidungsmöglichkeit. Ihre Entscheidung war so gesehen "alternativlos", wie sie das immer nannte. Ob es alternativlos war, Hintergründe und Entscheidungsgründe zu verschweigen, ist eine andere Frage.

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