Mit ihren großen, schwarzen Augen sitzt sie mir gegenüber Sie haben etwas Trauriges an sich, auch wenn ihr lächelnder Mund etwas Anderes behauptet. Victoria habe ich über Couchsurfing kennengelernt, der Plattform, die für mich auf Reisen immer ein schier unendlicher Fundus an unglaublichen Menschen und deren Geschichten ist. Wie diesmal auch.

34 Jahre ist Victoria alt. Schätzen würde man sie vielleicht auf 24 Jahre. Aufgewachsen in Tansania mit acht Geschwistern, von denen zwei bereits gestorben sind, kam sie dank finanzieller Unterstützung eines norwegischen Paares zum Studieren in die ugandische Hauptstadt Kampala – und ist geblieben. Aber hoffentlich nicht mehr lang. „In diesem Jahr möchte ich weg von hier“, erzählt sie mir von ihren Träumen, während mich ihre riesigen Knopfaugen nicht loslassen, „mit einem europäischen, reiferen Mann.“ Den sucht sie derzeit auf „Kisses of Africa“, der – so heißt es im Internet – größten afrikanischen Singlebörse der Welt. „Afrikanische Männer date ich nicht mehr“, meint die studierte Sozialarbeiterin, „sie sind alle gleich: Furchtbare Machos, die betrügen und belügen.“ Ihre Geschichte ist der beste Beweis dafür: Zwei Jahre war sie mit einem Kongolesen verheiratet, der nichts Besseres zu tun hatte als sie zuerst mit einer anderen Frau zu betrügen und die Geliebte dann auch noch ins Haus zu holen. „Alles haben sie vor meinen Augen gemacht“, erzählt Victoria mit fester Stimme, „und später hat sie mich auch noch verhext. Sie kommt aus einem Stamm, der Woodoo praktiziert. Ich habe lange nicht daran geglaubt, aber als ich schließlich solche Bauchschmerzen bekam und fast gestorben wäre, bin ich geflohen.“ Das war vor zwei Jahren. Anrufe erhält sie von ihrem Ex-Mann noch immer, auch wenn der längst ein Kind mit der anderen hat.

Ein Kind oder vielleicht auch zwei, ja, davon träumt Victoria auch. Aber eines, das einen Vater hat, der sich um die Familie sorgt. Vielleicht hat sie den ja bereits gefunden, hofft sie. Auf Kisses of Africa schreibt sie seit Monaten mit einem 54jährigen kanadischen Polizisten, der in Frankreich lebt. Es ist nicht der Erste, mit dem sie Kontakt hat. Schon vorher hatte sie eine „Beziehung“ mit einem Deutschen, der ihr zwar – unbekannterweise – nach nur einer Woche bereits die Liebe gestanden hatte, aber dann doch nicht bereit war, zu ihr nach Afrika zu reisen. „Das ist aber meine Bedingung“, besteht Victoria auf ihren Regeln, „wenn ein Mann mich wirklich liebt, muss er zuerst zu mir kommen und meine Welt kennen lernen.“ Eine Welt, die derzeit aus einem kleinen Friseursalon besteht, in dessen Hinterzimmer sich Victoria und ihre jüngere Schwester ein Himmelbett teilen.

„Ich kenne viele solche Frauen“, ist meine ugandische Freundin Zulaika später wenig überrascht, als ich ihr von Victoria berichte. Auch sie, die hier in der Hauptstadt Touristinnen und Touristen auf ihren Kampala Walk Tours durch die Stadt führt, datet lieber Weiße. „Nicht wegen des Geldes – schließlich hat nicht jeder Weiße Geld“, stellt sie klar, „sondern weil ich sie einfach attraktiver finde.“ Mit dieser Ansicht sind sie und ihre Freundinnen nicht allein: Generell scheint das Prinzip „Gegensätze ziehen sich an“ hier zum Status-Quo der Partnerwahl erhoben worden zu sein. In den Nachtclubs der Stadt finden regelmäßige „Muzungu-Hunts“ statt, bei denen sich schwarze Frauen unaufgefordert auf die Schöße weißer Jungs setzen und afrikanische Männer gezielt an den schwarzen Schönheiten vorbeiziehen, um sich die einzigen Europäierinnen oder Amerikanerinnen der Gruppe herauszupicken (egal, wie diese aussehen). Doch es sind nicht nur die Schwarzen, die Jagd funktioniert auch andersrum: Der überdurchschnittlich hohe Anteil an weißen Männern mit Bierbauch und Glatze (wäre man boshaft würde man sie als alte, geile Säcke bezeichnen) in Kampalas Nachtclubs zeigt es deutlich.

Wer mir vor meiner ersten Afrika-Reise Bilder wie diese geschildert hätte, den hätte ich mit den Worten: „Klischees, sonst nichts“, abgespeist. Nach fast drei Monaten in Uganda muss ich mich am Riemen reißen, um im Meer dieser allgegenwärtigen Szenen nicht den Blick auf den einzelnen Menschen, dessen Geschichte und die Situation zu verlieren. Und ich muss mir und anderen auch die Chance lassen, dennoch an die Liebe zu glauben. „Vielleicht bin ich im nächsten Jahr ja schon in Frankreich“, sagt mir Victoria zum Abschied, „dann musst du mich auf jeden Fall besuchen kommen.“ Ob in Frankreich oder in Uganda, ich wünsche ihr vor allem, dass ihre großen, dunklen Augen wieder leuchten vor Glück! Kisses of Africa.

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Judith Innreither

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Gudrun Krinzinger

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