Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein Zankapfel. Die Deutsche Welle Redakteurin Zhang Danhong findet beispielsweise, dass durch den Doppelpass die deutsche Staatsangehörigkeit „verramscht“ wird. Unter welchen Voraussetzungen sollte es eine doppelte Staatsbürgerschaft geben?

Was bedeutet überhaupt „Staatsbürgerschaft“ bzw. „Staatsangehörigkeit“? Wer die Staatsbürgerschaft eines Staates hat, darf wählen und sich wählen lassen, wodurch er Einfluss auf die gesellschaftspolitischen Belange des Staates nehmen kann. Mit der Einbürgerung eines Ausländers nimmt das Staatsvolk diesen also in den „Club der Mitgesellschafter“ auf, der politisch gestalten kann. Unter welchen Voraussetzungen wird in diesen „Club“ Einlass gewährt? Die vergangenen Jahrzehnte zeigen diesbezüglich einen Wertewandel auf, mit direktem Einfluss auf die „Wertigkeit“ der Staatsangehörigkeit für Bürger und Staat.

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„Staatsangehörigkeit“ früher: Hinwendung zu Deutschland

Jeder Staat bestimmt die Regeln und Voraussetzungen selbst, unter denen er die Staatsangehörigkeit verleiht. Trotz dieser Staatensouveränität hatte der Internationale Gerichtshof im Nottebohm-Fall aus dem Jahr 1955 zu entscheiden, was die Staatsangehörigkeit ausmacht. Dort ging es um die Frage unter welchen Bedingungen ein Staat die Staatsangehörigkeit zu einem anderen Staat anzuerkennen hat. Die Definition der „Staatsangehörigkeit“, die in diesem Fall erforderlich war, ist recht eng. Der Internationale Gerichtshof formulierte (vgl. dort Seite 23 unten):

„[…] nationality is a legal bond having as its basis a social fact of attachment, a genuine connection of existence, interests and sentiments, together with the existence of reciprocal rights and duties. It may be said […] that the individual upon whom it is conferred […] is in fact more closely connected with the population of the State conferring nationality than with that of any other State.”

Frei übersetzt: „[…] die Staatsangehörigkeit ist eine rechtliche Bindung auf Grundlage einer sozialen Verbundenheit, einer aufrichtigen Hinwendung der Existenz, der Interessen sowie der Empfindungen zu dem Staat, einhergehend mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Man kann sagen […], dass der Einzelne, dem die Staatsangehörigkeit gewährt wird […], tatsächlich stärker mit der Bevölkerung des Staates, dem er angehört, verbunden ist, als mit derjenigen irgendeines anderen Staates.“

Gemäß dieser Definition der Staatsangehörigkeit könnte es überhaupt keine doppelte Staatsbürgerschaft geben, denn es gibt denklogisch nur einen Staat, zu dem man sich stärker verbunden fühlt als zu jedem anderen.

Deutschland hatte die Voraussetzungen der Einbürgerung in den inzwischen nicht mehr geltenden Einbürgerungsrichtlinien (EbRichtl) 1977 geregelt. In Abschnitt 2.1 hieß es zur Bedeutung der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit: „Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an Ausländer begründet Rechte und Pflichten; sie gewährt ein Heimatrecht und ist Voraussetzung für das Wahlrecht und die Wählbarkeit.“ Abschnitt 3.1 der EbRichtl 1977 formulierte die „staatsbürgerlichen und kulturellen Voraussetzungen“ der Einbürgerung. Unter anderem wurde eine „freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland“ vorausgesetzt. Im Geltungszeitraum der EbRichtl 1977 ging der Gesetzgeber ersichtlich davon aus, dass ein Einwanderer die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebt, weil er Deutschland als seine Heimat betrachtet.

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Bei einer doppelten Staatsbürgerschaft hätte der Betroffene also nach dem damaligen Rechtsverständnis zwei Heimaten gehabt. Aber: Kann es zwei Heimaten geben? Früher ging man davon aus, dass in der Regel nur ein Staat als Heimat angesehen werden kann, denn die doppelte Staatsbürgerschaft war nur in eng begrenzten Fällen erlaubt.

„Staatsangehörigkeit“ heute: Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Aufgrund diverser Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts jedoch ist die doppelte Staatsbürgerschaft keine Ausnahme mehr, die nur äußerst selten toleriert wird. Dennoch sollte anfänglich auch nach der Reform des Staatsangehörigenrechts die doppelte Staatsbürgerschaft nicht zur Regel werden. Vielmehr wurde der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft z.B. für Kinder von Einwanderern lediglich erleichtert. So musste ein Kind von Einwanderern, welches nun kraft Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit hatte und kraft Abstammungsprinzip darüber hinaus noch die Staatsangehörigkeit des Heimatstaates eines seiner Elternteile, sich nach Vollendung des 21. Lebensjahres für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Dies wurde „Optionspflicht“ genannt. Inzwischen wurde diese „Optionspflicht“ aufgegeben, d.h. der junge Erwachsene kann beide Staatsbürgerschaften behalten. Mit dem Wegfall der Optionspflicht wird die doppelte Staatsbürgerschaft daher in vielen Fällen zur Regel, nicht zur Ausnahme. Nach dem früheren Rechtsverständnis hätte der Betroffene dann zwei „Heimaten“ bzw. engste Verbindungen zu zwei Staaten, eine nach dem alten Staatsangehörigkeitsrecht denklogisch nicht vorstellbare Konstellation.

Die neue Rechtslage dokumentiert einen Wertewandel, welcher die Voraussetzung einer engsten Verbindung zu einem Staat obsolet macht. Denn nach derzeit kommt es nicht mehr auf eine „freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland“ an, sondern allein auf ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Soweit eine „Hinwendung“ gefordert wird, bezieht sie sich jetzt also nicht mehr auf Deutschland, sondern allein auf die Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung. Damit einher geht die Loslösung von dem Erfordernis eines vorherrschenden Heimatgefühls bzw. einer besonders engen oder gar exklusiven Verbindung zu Deutschland. Folgerichtig wird ein Doppelstaatler mehr als eine „Heimat“ im alten Rechtssinne haben können, und zwar mit einer mehr oder weniger starken Verbundenheit eben zu den beiden Staaten, denen er angehört. Dies ist vollkommen legitim. Genauso legitim ist es allerdings auch, dies kontrovers zu diskutieren, so wie es im Rahmen der Debatte zur doppelten Staatsbürgerschaft derzeit geschieht.

Soweit der Gesetzgeber allerdings davon ausgeht, dass eine enge Verbindung, die die Verleihung der Staatsbürgerschaft rechtfertigt, gleichermaßen für zwei Staaten bestehen kann, wäre weiter die Frage zwingend zu stellen und zu beantworten, ob es nicht auch möglich wäre, zu drei Staaten, vier Staaten oder noch viel mehr Staaten eine entsprechend enge Verbindung entwickeln zu können. Wer bei einer bestimmten Anzahl an Staaten eine Grenze ziehen will, muss gute Gründe dafür haben, anderenfalls müsste auch eine multiple Staatsbürgerschaft gestattet sein. Dass hierdurch allerdings das Konzept der Staatsbürgerschaft ad absurdum geführt würde, ist klar.

Und damit kommen wir wieder zurück auf die Ausgangsproblematik: Mit welchen Personen möchte ein Staatsvolk die Geschicke seines Heimatlandes bestimmen? Wer soll wählen, wer sich zur Wahl aufstellen lassen dürfen? Wer sollte in den "Club der Mitgesellschafter" aufgenommen werden? Dies sind die Kernfragen, die zu beantworten wären in der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft.

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