Abschied in Raten - Alltag

Ausflüge sind meistens arbeitsintensiv. Ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, in der meine Kinder noch sehr klein waren. Als alleinerziehende Mutter von vier Kindern innerhalb von drei Jahren, habe ich über viele Jahre hinweg eine gewisse Souveränität entwickelt, um für jedes sich ergebende Problem, eine vernünftige Lösung zu finden.

Dachte ich zumindest bisher.

Bis mich meine Mutter eines besseren belehrt.

Ich sitze unternehmungslustig beim Esstisch und nerve Josef. Zumindest starte ich einen kläglichen Versuch, denn Josef ist nicht nervbar. Das Wort nervbar gibt es gar nicht, aber sollte es jemals Einzug in die deutsche Sprache finden, müsste das Synonym dazu Josef heißen. Wie dem auch sei - ich will was unternehmen, bin mir aber nicht sicher was und der unnervbare Josef ist keine große Hilfe bei der Entscheidungsfindung.

Egal, was es wird - den Rollstuhl brauchen wir auf jeden Fall und ich komplementiere den leicht behäbigen Josef samt Rollstuhl zur Tür hinaus. Er habe zu viel gegessen, verkündet er träge, und verfällt beim Rausgehen in Zeitlupe. Ich hoffe, dass er vor Einbruch der Dunkelheit wieder kommt, bin mir allerdings keineswegs sicher. Meine Mutter fragt mich, wo Josef ist, ich finde die Frage zwar leicht übertrieben, denn bei dem Tempo, das er gerade an den Tag legt, ist Josef ja noch fast im Türrahmen. Josef bringe den Rollstuhl zum Auto, kläre ich meine Mutter auf und bugsiere sie in ihr Zimmer. Wir sind zwar ganz gerne Steirer, aber Kernölwerbung auf dem T-Shirt muss ja auch wieder nicht sein. Vor allem, weil ich vorhabe ins Burgenland zu fahren. Ich fische ein sauberes T-Shirt aus dem Kasten und helfe meiner Mutter beim Umziehen. Wobei helfen die Sache nicht ganz trifft. Meine Mutter sitzt auf dem Bett und lässt sich umziehen. Aber die Hilflosigkeit, die sie an den Tag legt, verspricht Aufmerksamkeit und das ist das Lebenselixier meiner Mutter.

Schuhe anziehen hingegen kann meine Mutter noch. Der Automatismus hierfür ist bei meiner Mutter offensichtlich so ausgeprägt, dass er trotz des eingeschränkten Sehvermögens noch problemlos möglich ist. Meine Mutter zieht gerne Schuhe an - ihre eigenen, die von Josef in Schuhgröße 48, wobei sie sich dann immer sehr freut, dass sie so schnell in die Schuhe gepasst hat. Manchmal kann sie vom Schuheanziehen gar nicht genug bekommen und sie versucht ein zweites Paar Schuhe anzuziehen, was regelmäßig in Frustration endet, weil es nicht gelingen will. Heute kürze ich das Procedere ab und stelle ihr die eigenen Schuhe vor die Füße.

Josef kehrt vom Ausflug zum Auto zurück. Seine Laune hat sich auf dem Weg offensichtlich gebessert, denn er strahlt übers ganze Gesicht und teilt mir mit, dass ihm die Bewegung gut getan hat. Aja, denke ich bei mir - zweimal einen 12 Meter Marsch und schon ist Josef zufrieden.

Meine Mutter hat inzwischen die Schuhe angezogen und versichert sich erst bei mir und dann bei Josef, ob sie es richtig gemacht hat. Ein kurzer Blick bestätigt mir, dass sie erstens nur ein paar Schuhe und zweitens diese auch richtig herum anhat.

Es sollte dem Aufbruch also nichts mehr im Wege stehen, denke ich zufrieden und habe nicht mit meiner Mutter gerechnet, die mir mitteilt, dass sie aufs Klo muss. Ich übergebe diese Aufgabe an Josef, der mit stoischer Gelassenheit meiner Mutter beim Aufsuchen der Toilette zur Seite steht. Ich setze mich also wieder zum Tisch und ziehe die Zeitung zu mir. Erfahrungsgemäß dauert die Sache etwas und das bestätigt sich, als meine Mutter, sich an Josef festhaltend, erst dann wieder auftaucht, als ich die Zeitung im Wesentlichen schon gelesen habe.

Jetzt muss meine Mutter nochmals umgezogen werden, denn sie hat sich die Hände am frischen T-Shirt abgetrocknet. Auch das übernimmt Josef.

Später haben wir es dann doch noch ins Auto und ins Burgenland geschafft.

Später sitze ich am Laptop und muss lächeln. Ich schreibe über den Alltag mit meiner Mutter und bin auf einmal auf seltsame Weise berührt. Dass, was ich hier festhalte, ist davor sicher, in Vergessenheit zu geraten, auch wenn es noch so trivial und unbedeutend ist.

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Joekah

Joekah bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:12

fischundfleisch

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