Abschied in Raten - Kommunikationsprobleme am frühen Morgen

Gegen halb sechs Uhr morgens dringt die noch liebliche Stimme durchs Telefon. Meine Mutter ruft nach Josef, welcher noch schlaftrunken zuerst das Babyphon abdreht, damit mich meine Mutter nicht aufweckt, was zwar sehr fürsorglich gemeint ist, aber eigentlich nie den gewünschten Erfolg hat, da mich ja bereits der erste Ruf aufweckt. Dann versucht Josef, immer noch aus dem Grund mich nicht aufzuwecken, leise aufzustehen, was auch immer misslingt. Erstens weil ich ja schon wach bin und zweitens, weil er prinzipiell in seiner Bemühung sehr leise zu sein, genau das Gegenteil erreicht.

Josef verschwindet also für ein oder zwei Minuten und erklärt mir beim Zurückkommen, dass meine Mutter lediglich wissen wollte, ob sie noch schlafen könne. Josef habe meiner Mutter versichert, dass es noch zu früh zum Aufstehen wäre und dass sie noch schlafen kann.

Da ich jetzt schon munter bin, kann ich meine, durch den Schlafmangel schlechte Laune auch gleich an Josef auslassen. Ich frage ihn provokant, woher er das so genau wissen will. Josef sieht mich mit zweifelndem Gesicht an, weil er logischerweise keine Antwort auf eine Frage haben kann, die er nicht verstanden hat, weil viel zu wenig Information darin steckt. Woher er was wissen kann, fragt er mich und lässt sich aufs Bett plumpsen. Er dreht das Babyphon wieder auf.

Woher er wissen will, ob meine Mutter noch schlafen KANN, frage ich ihn und er antwortet folgerichtig, dass er ihr eben gesagt hat, dass sie es noch kann und versteht die Frage immer noch nicht.  Soso, sage ich zu Josef - und nur weil du sagst, dass sie es kann, kann sie es also auch. Sein Gesichtsausdruck spiegelt immer noch das reine Unverständnis wider, aber weil ich ja nicht so sein will, ergänze ich meine Überlegung, indem ich ihm sage, dass es ja auch möglich wäre, dass sie nicht mehr schlafen kann.

"Warum soll sie nicht mehr schlafen können?" will Josef wissen. Ich muss einsehen, dass es für diese Art der Kommunikation offensichtlich noch zu früh ist, und versuche es plastischer darzustellen. Àchso, sage ich zu Josef, und wenn du nun rübergehst und ihr sagst, dass sie ein Rad schlagen kann, dann kann sie es also auch.

Josef ist um diese Zeit nicht zu Spitzfindigkeiten aufgelegt und kramt nach der Fernbedienung. Noch bevor er sie gefunden hat, erklingt die Stimme meiner Mutter aus dem Babyphon. Sie ruft nach Josef.

Josef gibt die Suche nach der Fernbedienung auf und steht wieder auf. Er dreht das Babyphon ab und verschwindet, um nach drei Minuten wiederzukommen und mir zu erklären, dass meine Mutter gefragt hat, ob sie noch schlafen kann. Was er geantwortet hat, verschweigt er sicherheitshalber, da er ganz augenscheinlich einen weiteren unsinnigen Diskussion aus dem Weg gehen will.

Ich ziehe mir die Decke bis zur Nase hoch und beobachte Josef, der gewissenhaft erst wieder das Babyphon aufdreht, und sich dann auf der abermaligen Suche nach der Fernbedienung umsieht. In der Besucherritze wird er fündig und dreht den Fernseher auf.

Kaum hat es sich Josef wieder gemütlich gemacht, ruft meine Mutter. Das mit dem "Schlafen können" ist so eine Sache, denke ich mir, vermeide aber den Gedanken laut auszusprechen.

Josef setzt sich auf, dreht das Babyphon ab und beginnt sich anzuziehen. Irgendwie hat meine Mutter beschlossen, dass die Nachtruhe zu Ende ist.

Kaffee kochen kann man auch schon um sechs Uhr morgens, sagt Josef und geht raus. Gleich darauf höre ich die Kaffeemühle. Fein, dass meine Mutter und Josef unterschiedliche Auffassungen haben, was das Wort "kann" betrifft. Sonst gäbe es heute wohl keinen Kaffee mehr für mich.

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Joekah

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fischundfleisch

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