20 Jahre Oberwart – Schluss mit der politischen Legasthenie

Ich habe die Fotos des Anschlags in der Zeit im Bild gestern vor 20 Jahren im burgenländischen Oberwart noch vor meinem geistigen Auge. Der blutbeschmierte Asphalt. Es war und ist der widerlichste rassistische Anschlag in der Geschichte der 2. Republik.

Ich war 1995 neun Jahre alt und für damals gilt das, was heute auch gilt: Kinder sind nicht rassistisch. Meine beste Freundin im Kindergarten war beispielsweise ein türkisches Mädchen. Das in der Volksschulklasse unter anderem ein indisch- und ein armenisch-stämmiges Mädchen waren, war für mich kein Thema. Nichts war mir als Kind egaler, als der Umstand, dass die Familie XY nicht seit Generationen in Wien wohnte. Umso fassungsloser saß dann der neunjährige Georg da und betrachtete die Wahnsinnstat.

Wenn ich auf meine eigene Lebensgeschichte zurückblicke, dann muss ich zugeben, dass es nicht leicht ist, sich dieses unschuldige Weltbild zu erhalten. Jeder von uns hat diese und jene Freunde, das Umfeld prägt mit. Sich nicht sofort mit „einfachen Antworten“ auf komplexe Fragen zufrieden zu geben ist schwierig, vor allem in der Pubertät. Man will in der Phase des Erwachsenwerdens den Freunden auch gefallen, übernimmt auch Positionen. Keine Sorge, ich war nie rechts der Mitte, aber sympathisierte auch durch die katholische Erziehung mit dem, was als christlich-sozial irgendwann einmal als Mitte galt. Winston Churchill würde mich nun wohl als Idioten bezeichnen, aber ich bin lieber mit 20 noch unreflektiert in der politischen Mitte herumgelungert als dort mit 30 noch immer zu sein.

Den Befund, dass sich zwischen den 90ern und den Zehnerjahren nun nichts an den Kindern geändert hat, kann ich nach wie vor bestätigen. Das merke ich in meiner pädagogischen Arbeit. Die Kinder werden noch immer so unschuldig geboren. Aber das Umfeld wird wieder zusehends rassistischer. Wie es Jörg Haider in den 90ern schon vormachte, machen es jetzt Heinz Christian Strache, seine FPÖ, die Pegida oder Bewegungen wie die Identitären. Definitiv hat sich aber der Zugang zu politischer Agitation geändert. Denn Meldungen wie jene von Voves oder Niessl verbreiten sich heutzutage schneller, als es in meiner Kindheit der Fall war. Und, wie schon letzte Woche beschrieben, diese Positionen schwappen in die vorgeblichen Zentrumsparteien über. Doch nicht nur die politischen Parteien versuchen sich durch radikalisierende Aussagen nach rechts abzusichern, sondern auch die Medien.

Wenn nämlich Parteien, die 30-prozentige Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst zurücknehmen wollen, als linksradikal bezeichnet werden; oder die Zeitschrift „Zur Zeit“ als „rechtskonservativ“ bezeichnet; oder nach zerbrochenen Scheiben von Linksextremismus geredet wird, als stünde es auf einer Stufe mit rechtsextremen Mördern wie Briefbomber Franz Fuchs oder der NSU; antifaschistische Aktionen als lästig empfunden werden – dann übernehmen Politik und Medien Narrative, die schon nicht mehr in der Mitte stehen. Sondern weit rechts davon. Das ist politische Legasthenie, ein verdrehen der Tatsachen.

Das ist dann ein Umfeld, in dem die Kinder sich die Vorbilder suchen. Und sie finden dieses rechte Gedankengut nun nicht mehr nur dort, wo es genuin herkommt, sondern schon in der vorgeblichen politischen und gesellschaftlichen Mitte. Das ist hoch gefährlich. Farid Hafez, Politikwissenschaftler und Islamophobie-Experte, sagte das sinngemäß am Montagabend bei Puls4s Talkformat Pro&Contra: Diese Vorgänge schaffen ein Klima, das wiederum Schreckenstaten hervorbringen kann, allenfalls aber das gesellschaftliche Klima vergiften. Allein in den letzten paar Wochen wurden Kopftuchträgerinnen geschlagen und Hakenkreuze auf Moscheen gemalt. Groß thematisiert wird das aber nicht – eine Meldung, das war's.

Man muss sich schlichtweg die Frage stellen, ob die Kinder heutzutage in einem Umfeld aufwachsen sollen, in dem Landeshauptleute krude Ideen wie eine Verwaltungsstrafe für mangelnde Integration fordern oder Nazis den Hitlergruß, den Inbegriff der Menschenverachtung, in die Kameras zeigen können und nicht sofort verhaftet werden. Das kann doch niemand ernsthaft in Ordnung finden. Denn das, was diese Rechtspopulisten – und nichts anderes sind die, die solche Ideen absondern, ungeachtet der politischen Couleur – bieten, sind die falschen Antworten auf wichtige Fragen. Niemand würde auf die Idee kommen, Kindern beizubringen, dass zwei und zwei fünf ist – wieso sollten wir Populisten sagen lassen, dass Ausländer uns die Arbeitsplätze wegnehmen; oder nur herkommen, um sozialzuschmarotzen? Also dass zwei und zwei fünf ist?

Das Blut, das ich damals auf dem Oberwarter Asphalt im Fernsehen sah, klebt nicht nur dort. Es klebt an den Händen der gesamten Gesellschaft, die es zum wiederholten Male nicht schafft, sich laut und stark gegen Rassismus auszusprechen. Und sich dann fassungslos zeigt, wenn in diesem vergifteten Klima und auf Basis einer rassistischen Ideologie Menschen ermordet werden.

Es ist also dringend notwendig, den politischen Kompass neu einzunorden und nicht mehr politische Fachbegriffe missbräuchlich zu verwenden, bis der Rassismus als Antwort auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme übrig bleibt. Wenn es eine politische Mitte gibt, dann muss der Grundkonsens erneuert werden – oder hat irgendwer den großen medialen Aufschrei der Regierungsparteien zur Pegidademo gefunden? Wenn wir das neu denken, dann rückt das gesamte österreichische Parteienspektrum nach rechts. Dann ist die ÖVP derzeit rechtskonservativ, die SPÖ auch schon rechts der Mitte und die FPÖ ganz weit rechts außen. Dann sind die antifaschistischen Aktivistinnen aber auch maximal einfach nur links, wenn nicht die viel zitierte Mitte der Gesellschaft.

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