Die Welt ist anders, als sie von Österreich aus zu sein scheint

Medienjunkie – ich glaube, das beschreibt mich recht gut. Wenn man im beschaulichen Österreich sitzt und auf die Welt blickt, dann wird man dazu. Denn die wichtigen Ereignisse geschehen zumeist überall anders auf der Welt. Nicht umsonst wird dieses Fleckchen Erde auch „Insel der Seeligen“ genannt.

Was die Menschen dann lesen, steht in der Zeitung, Online, wird im TV gezeigt und so weiter. Da ich nicht allerorts zugleich sein kann, bin ich darauf angewiesen, dass Journalist*innen auswählen, was ich erfahre. So weit, so gut. Dass diese Ereignisse – gerade heutzutage, aber wahrscheinlich schon immer – in gewisser Weise gefärbt betrachtet werden, liegt in der Natur der Sache.

Im Idealfall ist der Blickwinkel schon neutral und wenn er noch dazu weit von dem althergebrachten abweicht, ist das augenöffnend bis genial. Wie etwa in diesem Beitrag in der Washington Post mit dem Titel „Wie westliche Medien über Baltimore berichten würden, wenn es anders wo geschehen würde“. Wer aber 2015 noch nicht überrissen hat, dass eine Begebenheit in zum Beispiel Krone, Kurier, Standard oder Presse unterschiedlich dargestellt wird, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Richtig schirch wird es aber erst dann, wenn die Medien quasi Unterschlagung betreiben. Natürlich gibt es eine Auswahl nach Relevanz, aber die schaut heutzutage eher so aus, als dass es neben der Ukraine (wann haben wir zuletzt etwas darüber gesehen oder gelesen?) original den Nahen Osten gibt, weswegen wir laut der Medien hierzulande alle in Angst leben sollten, weil Irak/Syrien-Bürgerkriegsheimkehrer den nächsten Bahnhof in die Luft sprengen werden.

Um diese Wahrnehmungsstörung im globalen Norden zu beschreiben, hilft ein Blick auf die „Peacekeeping Operations“ der UNO. Neben „bekannten“ Krisenherden ist die (westliche) Weltengemeinschaft etwa in Liberia, dem Südsudan, der Elfenbeinküste oder Haiti engagiert. Dabei werden weitere Konflikte, in denen sich die UNO engagiert, wie in Mali oder rund um die Westsahara fast komplett ausgeblendet. Liest man westliche Medien quer, so gelangt man dann eben zu dem Eindruck, die Welt bestünde aus der durch „Islamisten“ bedrohten westlichen Welt, menschenunwürdigen Produktionsplätzen a la Bangladesch, Katastrophenplätzen wie Nepal, wo „der Westen“ gnadenhalber Hilfstruppen hin entsendet sowie all den Orten, an denen „radikale Islamisten“ wüten. Punkt, keine Pointe. Und das betrifft nicht nur reichweitenstarke Boulevardmedien, sondern auch sogenannte Qualitätszeitung.

Das ist aber eben nur ein kleiner Ausschnitt der Welt. Dass zudem die Welt ist, wie sie ist, liegt an vergangener (politischer) und rezenter (wirtschaftlicher) Ausübung von hegemonialer Macht seitens – richtig! - des globalen Nordens, auf dessen beinahe angenehmsten Fleckchen Erde unsereins komplett zufällig hin geboren wurde. Diese medial transportierte Sichtweise ist komplett fatal. Klar, wie erwähnt (und noch dazu komplett verkürzt) ist die Zeit der Kolonien vorbei, aber der wirtschaftliche Druck, den der Westen ausbeuterisch aufbaut, ist erschütternde Realität. John Oliver, der grandiose TV-Satiriker - oder besser Zyniker, hat das anhand der Modeindustrie perfekt aufgearbeitet.

Leider habe ich es nicht per Screenshot gesichert, aber die Coverage rund um das Nepalerdbeben ist auch bezeichnend: Am 2. oder 3. Tag nach dem Beben, dem wohl bis zu 10.000 Menschen zum Opfer fielen, prangte auf der Startseite von orf.at mittig die Botschaft, dass der Mount Everest für Tourist*innen wieder zugänglich wäre. (Anm.: mittlerweile ist der Berg für Gäste doch gesperrt.). Fraglich bleibt dann nur noch, ob ums Eck eh keine Dschihadisten lauern, damit unsereins einen angenehmen Urlaub erleben kann, oder?

Postskriptum

Ich bin kein Verschwörungstheoretiker und kenne aus der journalistischen Praxis den Druck, nicht nur die richtigen, sondern auch die „gut gehenden“ Themen auszuwählen. Doch gerade der Druck auf Medien, nicht nur gut, sondern auch wirtschaftlich zu arbeiten, bringt nicht immer das Beste zum Vorschein – siehe die deutsche Kampagne gegen Griechenland. Aber es hilft, ein bisschen über den Tellerrand hinaus zu blicken und bei Ereignissen von weltweiter Auswirkung mal den Guardian, die Washington Post oder Le Monde im Zweifelsfall durch den Google-Translator zu jagen - oder gleich Medien vor Ort. Es gibt viel mehr da draußen.

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