Gabriel will sich feiern lassen – das kann nicht gutgehen.

Die Sozialdemokratie ist in einer tiefen Krise. Träume von sozialen Revolutionen, wie sie Willy Brandt in den 70ern angestoßen hatte und Helmut Schmidt fortführte, sind lange Geschichte. Was muss die SPD nun tun, um irgendwie wieder annähernd in diese Nähe zu kommen? Hilft ein Blick nach Österreich?

Es scheint ein Treppenwitz der Geschichte zu sein, dass Angela Merkel und ihre neoliberale Wirtschaftspolitik zu einem großen Anteil auf der unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschlossenen Agenda 2010 fußt. Agenda 2010 in Tateinheit mit Hartz IV war ein unglaublicher Raubbau am Sozialstaat. Niedriglohnsektor, Ein-Euro-Jobs und Co. sind die Dampflok, die Europa zieht und der Grund, warum sich Deutschland als Exportweltmeister sehen darf. Dass die mitte-links-Koalition bestehend aus SPD und den Grünen damit die Seele sozialer Politik verkaufte, ist der Grund, warum ihr kaum jemand mehr traut. 2005 traute man sich nicht, weiter an vorderster Front Regierungsverantwortung zu übernehmen, obwohl sowohl eine SPD-Grün-FDP-, als auch eine SPD-Linke-Grün-Koalition möglich gewesen wäre. Seitdem umarmt Angela Merkel die SPD zu Tode, um selbiges zwischen 2009 bis 2013 mit der FDP zu tun. Schröders Nachfolger, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck und Sigmar Gabriel, vermochten es nicht, eine klare Linie gegen die im Ideologie-freien Raum herrschende Kanzlerin darzustellen.

Interessant ist, dass SPD-Chef Gabriel ausgerechnet jetzt meint, das zerrüttete Verhältnis zwischen CDU und CSU wäre eine "ernsthafte Belastung der Arbeit in der Koalition" und Kanzlerin Merkel auffordert, für Ordnung zu sorgen. Dabei sollte sich Gabriel vor allem auch um die Probleme innerhalb der SPD kümmern.

Die deutsche Sozialdemokratie steht vor ähnlichen Probleme wie jene in anderen reichen Ländern Nordeuropas. Da wie dort gab man sich dem neoliberalen Mainstream der 90er-Jahre hin; die Wählenden plagen die (oftmals dokumentierten) Abstiegsängste. Aus diesem Strudel einer diffusen, eher rechten Wirtschaftspolitik und dem Ringen um den Erhalt des Wohlstands, driftet das Wahlvolk zusehends nach rechts. Während sich im ärmeren europäischen Süden linke Parteien aufschwingen, den Protest unter einer klassisch sozialdemokratischen Idee von Verteilungsgerechtigkeit zu vereinen, glaubt man im reichen Mittel- und Nordeuropa eher an Abschottung. Die Chefs von Syriza, Partido Democratico oder Podemos in Griechenland, Spanien oder Spanien wird eher zugetraut, es wenigstens zu versuchen.

Den Klassenkampf aber haben sich in Deutschland weit von der Mitte entfernte Parteien auf die Fahnen geheftet. Diese Parteien fischen beide in klassisch sozialdemokratischen Wähler*innenschichten. Die Arbeitenden haben bei den Linken und der AfD – wertfrei! - Angebote, die ihre Anliegen transportieren wollen. Wenn sich dann die institutionelle Sozialdemokratie in die Dienste der mitte-rechts Partei CDU stellt, sich auch Errungenschaften wie den Mindestlohn aus der Hand nehmen lässt, hat die SPD ein Problem. Was gebe es denn klassisch linkeres als einen Mindestlohn? Das ist zu einem Gutteil dem politischen Machtgenie Angela Merkel geschuldet; aber könnte das einer, der seit seinem 18. Geburtstag von der Partei profitiert und in ihr und durch sie wirkt, ändern? Nein, das kann Sigmar Gabriel nicht.

Die deutsche Sozialdemokratie hat sich ihre Positionen von der Linken ablaufen lassen, Frieden, Klassenkampf und Co. sind nun vor allem in Sarah Wagenknechts Reden und Postings zu finden. Gabriel will sich feiern lassen, weil er einmal in der Woche auf die Tochter aufpasst. Was der SPD derzeit noch fehlt, ist diese eine letzte Niederlage, die alles ändern kann, der Absturz unter die magischen 20 Prozent, eine historische Niederlage. Der Moment, der nichts anderes mehr zulässt, als eine inhaltliche, personelle und strukturelle Neuausrichtung. Als Helfer in der dieser Not wird 2017 wohl die AfD auftreten, die sich diese entscheidenden Prozente schnappen wird. Dann muss die Talsohle erreicht sein. Schließlich hängen an einer Partei, die ihre Strukturen so tief bis in die kleinsten Gemeinden ausgebreitet hat, viele, vermutlich unzählige Karrieren. Erst beim großen Crash wird sich etwas ändern.

Ein Blick nach Österreich hilft dabei. Gerade einmal elf Prozent bekam der Bundespräsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer; der Sozialpolitiker gehörte eigentlich zu denen, die als durchaus fähig eingeschätzt wurden. Die Niederlage des Gewerkschafters wurde zum politischen Todesurteil für Werner Faymann, einen, der sich die Politik als größerer Koalitionspartner ebenfalls und vor allem in hoch emotionalen Fragen vom christdemokratischen Koalitionspartner diktieren ließ. Wie es scheint, war das für die SPÖ (in Tateinheit mit der ÖVP) der Tiefpunkt. Christian Kern, Manager der Staatsbanken, 50 Jahre alt, Macherqualität, distinguiert, eloquent, witzig, ist der neue starke Mann. Es ist bislang nur Symbolpolitik; aber Kerns bisherige Taten können ein Fingerzeig für die SPD sein.

Denn Christian Kern holte nicht nur Parteilinke in die Regierung, sondern behält mit dem Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil auch den sehr weit rechts stehenden Parteiflügel im Auge. Erstmals ist auch eine Frau in der Regierung, deren Eltern nicht aus Österreich kommen. Kern redet vom Schauspiel der Machtversessenheit, dem Versagen des Bildunssystems, sinkenden Reallöhnen, mangelhaftem politischem Stil. Der einzige Unterschied zu Deutschland ist dann, dass sich die Koalitionäre medienwirksam gegenseitig runter machen, während die SPD verschwindet.

Aber es sind just solche klaren Aussagen und Positionen, die die deutsche Sozialdemokratie verloren hat. Man glaubt Christian Kern, wenn er seine Richtung vorgibt. Diese politische und persönliche Glaubwürdigkeit ist es wohl auch, die einen rechtsextremen Bundespräsidenten in Österreich verhindert hat. Ein Asset, das der Sozialdemokratie Deutschlands auch gegen die AfD helfen wird können.

Das einzige, was der SPD noch helfen kann, ist ein in relativem Ausmaß alles zerbröselndes Erlebnis. Das Problem der SPD: Das wird erst bei der nächsten Bundestagswahl passieren. Bis dahin gibt Gabriel den Strohmann, so munkelt man. Die große Frage wird sein, wer dann überhaupt noch bei der SPD ist, um den Neustart zu machen und welche Positionen dann überhaupt noch übrig bleiben.

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Livia

Livia bewertete diesen Eintrag 04.06.2016 23:27:02

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