g.novak

Natürlich gibt es, statistisch betrachtet, Menschen aus denen trotz sehr schlechter Erziehung doch noch gute Menschen geworden sind. Aber es sind deren nicht viele. Weil grobe Erziehungsfehler, wie z.B. Missachtung der Würde, Gewalttätigkeit, Mangel an Liebe und Sicherheit Spuren hinterlassen, die ein Leben lang nicht mehr auszulöschen sind. Was dann neben uns heranwächst, sind Menschen, deren Erfahrung ihnen sagt, dass sie niemandem trauen können. Sie sehen ihre Mitmenschen als Feinde und glauben, dass sie unterdrückt und übervorteilt werden sobald sie einen Augenblick lang unachtsam sind.

Sie meinen, das wäre doch eher die Ausnahme? Nun, ich möchte nicht über Prozentsätze diskutieren und vor allem nicht hier in diesem Forum, wo ich eher viele solcher Menschen hinter den Schreibgeräten und Tarnkappen vermute.

Zu diesem Problem, ständig irgendjemandem irgendetwas beweisen zu wollen, kommt bei solcherart neurotisch gewordenen Menschen noch hinzu, dass sie oft ein zerstörerisches Potential aufbauen (Motto: wenn ich es nicht haben kann, solls auch kein anderer haben).

Die hier beschriebenen Menschen denken eher negativ, haben zumeist geringes Selbstwertgefühl und sind nicht selten ein wenig aggressiver als ihr Umfeld. Bezogen auf ihr Sozialverhalten, könnte man sie wohl treffend als „Angstbeisser“ bezeichnen. (Menschen, die panische Angst haben, selbst unterlegen zu sein und glauben, in den Angriffsmodus schalten zu müssen, bevor es die anderen tun.)

Da ich kein Psychologe bin, liegt mir nicht sonderlich viel daran, die Gründe für oben beschriebenes Verhalten weiter zu vertiefen. Ich beobachte aber, wie viele andere aufmerksame Menschen, in letzter Zeit eine erschreckende Zunahme sozialer Kälte und das scheinbare Verschwinden jeglicher Empathie. Wobei ich mich sorgenvoll frage, wie weit eine Gesellschaft solches Verhalten treiben kann, ohne vollends daran zu Grunde zu gehen.

Ich habe mir vor einiger Zeit erlaubt, in einer Diskussionsrunde mit Studentinnen und Studenten zu fragen, ob sie es für sinnvoll erachten, ein auf moralischen Grundsätzen basierendes, rücksichtsvolles Leben zu führen. Ich erinnere mich nicht mehr an den Zusammenhang, in dem ich die Frage gestellt habe, aber die Antworten haben mich echt überrascht, weil fast hundert Prozent der Anwesenden der Meinung waren, dass man sich Rücksichten und Empathie heute nur mehr in Ausnahmefällen leisten kann und die daraus resultierenden Nachteile einer Karriere hinderlich seien.

Was mich damals ebenfalls erschreckt hat, war das von relativ vielen Teilnehmern geäußerte Bekenntnis, dass ihnen die Politik eigentlich egal ist und etwa ihre Wahlmotivation im Wesentlich darin begründet ist, den sogenannten etablierten und gemäßigten Parteien einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen. Wobei sie offenbar richtig erkannt haben, dass man die sogenannt Etablierten, die vermeintlich „da oben“ agierenden am ehesten ärgern kann, wenn man rechtsextreme, populistische Parteien wählt.

Ich weiß nicht genau, wann dieser verhängnisvolle Trend zum schamlos bekennenden Egoismus begonnen hat, aber ich erinnere mich an einen Buchtitel, der vor mehr als 40 Jahren auf den Bestsellerlisten gestanden ist. „Das egoistische Gen“ vom englischen Biologen Richard Dawkins. Andere Buchtitel lauteten „Die Kunst ein Egoist zu sein“ oder „das egoistische Gehirn“ und viele andere, die uns allesamt einreden wollten, dass Egoismus das verborgene Geheimnis für den menschlichen Fortschritt sein würde. Dass Dawkins später selbst auf viele Missverständnisse hingewiesen hat, die seinem erfolgreichen Buch unterstellt wurden, ging in der Diskussion weitgehend unter. Dafür war die Theorie viel zu einfach und daher erstaunlich nachhaltig. Ganz richtig war sie nicht und heute ist sie überholt.

Inzwischen belegen zahlreiche Experimente, insbesondere auf dem Gebiet der Spieltheorie, dass der erstaunliche Fortschritt der Spezies Mensch doch eher auf der Fähigkeit beruht, altruistisch, also selbstlos und uneigennützig zu handeln. Es gilt als erwiesen, dass in solidarischen Gemeinschaften alle voneinander profitieren. Wobei die Mitglieder funktionierender Solidargemeinschaften die immer wieder vorkommenden Schmarotzer erkennen sollten, um sie zukünftig zu meiden. Und genau dazu bedarf es hoher kognitiver Fähigkeiten, die in egoistischen Erziehungsansätzen oft vorsätzlich zerstört werden. Womit sich der Kreis zum Beginn meiner Ausführungen schließt. Traumatische Erlebnisse in der Kindheit lassen sich im späteren Leben nur sehr schwer abbauen und führen bei Erwachsenen oft zu Überreaktionen in denen sie andere einschüchtern wollen, oder sich verschließen und erstarren. Diese Erkenntnisse sind längst nicht mehr neu, nur werden sie von Betroffenen mit aller Vehemenz geleugnet und bestritten. Wobei es mir keineswegs darum geht, jemandem eine miserable Erziehung zum Vorwurf zu machen, ich finde es nur unerlässlich über solche Fehlentwicklungen nachzudenken und gemachte Fehler nicht in einer Endlosschleife zu wiederholen. So nach dem Motto: „Mir hat es nicht geschadet, also wird es der nächsten Generation auch nicht schaden.“ Ein Satz, der noch immer viel zu häufig zur Rechtfertigung von Repressalien aller Art herangezogen wird. Etwa im Falle der sog. „g´sunden Watschen.“

Wir erleben gegenwärtig in weiten Teilen Europas und der Welt einen beängstigenden Rückschritt zu einem längst überwunden geglaubten Konservativismus, der sich zudem häufig als „fortschrittlicher Populismus“ tarnt. Von staatlicher Isolation zu Diskussionen über ein Abtreibungsverbot, Diffamierung von Religionen u.v.m. Besonders in Ländern mit hohem technischem Entwicklungsstand erscheinen viele Abläufe als unüberschaubar und unverständlich, was zu einem geradezu sehnsüchtigen Herbeiwünschen althergebrachter Ansichten und Methoden beiträgt. Schlimmstenfalls wünscht man sich den „starken Mann“ der wieder die alten Ordnungen herbeiführt.

Unsere hochtechnisierte, höchst arbeitsteilige Gesellschaft, die in Europa auf dem guten Weg war, liberale Demokratien auszubauen und zu etablieren, leistet sich in immer stärkerem Maß das Experiment mit sogenannten illiberalen Demokratien, die in Wahrheit natürlich keine Demokratien mehr sind. Weil immer mehr Menschen von der Politik enttäuscht und bereit sind, ihre staatsbürgerliche Verantwortung an scheinbar erfolgreiche Macher abzutreten.

In Wahrheit brauchen aber gerade hochentwickelte Länder eine Vielzahl von Menschen, die wieder bereit sind, Verantwortungen zu übernehmen, als eine der Grundvoraussetzungen für das Funktionieren von offenen Gesellschaften, von liberalen Demokratien.

Ein Blick auf jene Länder, die diese gesellschaftspolitische Idee einer freien Gesellschaft bereits aufgegeben haben, legt die Vermutung nahe, dass die betroffenen Länder in ihrer jüngeren Geschichte kaum Gelegenheit hatten, diese Form von Demokratie ausreichend zu üben. Aus welchen Gründen auch immer. Und damit meine ich z.B. Länder der sogenannten Visegrad-Gruppe, von der sich auch manche in Österreich erhoffen, dass sie eine geeignete Blaupause für ein anderes, besseres Europa darstellen würden.

Alexis de Tocqueville nannte was dort als „die echte Demokratie“ verkauft wird, schon vor vielen Jahren die Tyrannei der Massen.

Ich erlaube mir, noch einmal zum Beginn meiner Ausführungen zurückzukehren: Wenn es uns nicht gelingt, junge Menschen davon zu überzeugen, dass es sich in einer offenen Gesellschaft besser lebt, als in einer Diktatur, wenn wir weiterhin vorleben, dass Rücksichtnahme Karrieren behindert, soziale Kompetenz und Empathie einen Luxus darstellen, den wir uns nicht mehr leisten können, dann müssen wir in Kauf nehmen, dass uns trotz Klimaerwärmung der Hauch zwischenmenschlicher Kälte ins Gesicht weht.

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