Obdachlose leben und schlafen oft an den ungewöhnlichsten Orten. Und manchmal direkt vor unserer Nase.

Mehrere Dinge können einen dazu bewegen Wege abseits der üblichen zu wählen. Zu diesen Faktoren zählen (unter anderem): Kinder zu haben, Hundebesitzer zu sein oder Verfasser von Büchern über seltsame und außergewöhnliche Fakten. Nun, ich bin alles davon und so gehört es geradezu zu meinem täglich Brot neue und unerwartete Dinge zu entdecken. Nicht alle eignen sich für eine Publikation in einem Buch. Manche bringen es nur zu einem netten Facebook-Update oder zu einem Tweet. Und wieder andere haben die Potenzial für einen Blogartikel. Wie das Folgende.

Vor einiger Zeit ging ich vom unteren Ende der Mariahilferstraße durch die Babenbergerstraße Richtung Wiener Ringstraße. Da in Begleitung meines Hundes, bog ich vom Gehsteig durch eine Lücke im Zaun ab, um an der hinteren Fassade des Kunsthistorischen Museums entlang durch das Gras zu gehen.

Kleiner Exkurs und UVST (unvermeidlicher Service Tipp). Jahrzehntelang konnte ich nicht auf Anhieb sagen, welches der beiden Museen am Ring nun das Kunsthistorische beziehungsweise das Naturhistorische wäre. Bis mir ein kleiner Vogel einen kleinen bösen Witz zuzwitscherte, der Problem ein- für allemal löste: Das Kunsthistorische Museum, das wie der Name schon sagt eben mit Kunst zu tun hat, liegt der Oper näher. Das Naturhistorische, also das mit den Viechern, steht näher zum Parlament. Problem gelöst und eingebrannt. Für immer.

Aber weiter im Text. Abgesehen von diesem lehrreichen Gedanken beschritt ich mit diesem Stück Rasen einen Flecken Wiens, den ich noch nie beschritten hatte. Täglich gehen an dieser Grünfläche vermutlich Tausende wenn nicht Zehntausende Wiener und Touristen vorbei - doch kaum jemand betritt tatsächlich dieses Grasstück mit seinen barock gestutzten Büschen. Einen der Gründe dafür entdeckte ich ganz am Ende meiner kurzen Reise, aber dazu später. Am Anfang stand jedenfalls zuerst einmal die Erkenntnis, dass die bekannt saubere Stadt Wien, noch dazu in der Innenstadt ja meist picobello, doch nicht an allen prominenten Stellen gar so sauber ist. Denn auf diesem einerseits zentral aber dann doch auch wieder abgelegenen Grasstück fand sich erstaunlich viel Mist. Von den üblichen, vermutlich über den Zaun gepfefferten Plastikflaschen und Tetrapaks bis hin zu - ich habe keine Ahnung wieso - einer original verschlossenen Großpackung Slipeinlagen...

Während ich mich noch darüber wunderte, dass gerade diese Grasanlagen so zugemüllt war, machte ich eine interessante Entdeckung über die statistische Verteilung des Mists. Er nahm nämlich (abgesehen von direkt hinter dem Zaun) mit der Nähe zu den kugeligen Büschen deutlich zu. Und hatte seine größte Häufung an der von der Straße weg- und zur Fassade hinweisenden Seite. Konnte also kaum von der Straße dorthin geworfen worden sein. Und wohl auch nicht durch die seit der Saliera-Sache sicher besser gesicherten Fenster.

Aber nicht nur Müll fand sich an dieser Seite mancher der Büsche. Sondern auch ein Art Pfad aus plattgetrampelter Erde, der nach Innen zu führen schien. Ein geduckter Blick meinerseits bestätigte den Verdacht: einige der Büsche waren mehr oder weniger ausgebaute Behausungen. Von Menschen.

Ich weiß zwar, dass so mancher Obdachloser oder auch Aussteiger in einigen dichten Vegetationsansammlungen etwa auf der Donauinsel wohnt. Und auch von anderen Parks hab ich das schon gehört. Oder man haust unter der sowohl sprichwörtlichen als auch realen Brücke. Dass aber auch die Büsche der Innenstadt in Spuckweite vom Ring, gleich gegenüber der Habsburg'schen Hofburg, zum Teil bewohnt sind, verblüfft doch ziemlich.

Und lädt natürlich auch zu allerlei Betrachtungen und Spekulationen ein. Etwa über das Arm-Reich-Gefälle, über das unsichtbare Elend direkt vor unseren Augen, über die Paradoxie von Obdachlosen im Schatten von Prunkbauten und vieles andere mehr. Ohne meinen Hund hätte ich diese Entdeckung jedenfalls vermutlich nie gemacht.

Einer der Gründe dafür, dass dieses Areal gemieden wird, fand ich am Ende meines kleinen Trips. Um die Ecke der Buschbehausungen, dort, wo eine kleine Zufahrt vom Ring in das Museum führt, überstieg ich eine tief hängende Eisenkette, die das Grasgebiet absperrt. Auf dieser hängt ein kleines Schild, auf dem zu lesen ist, dass das Betreten dieses Bereichs "wegen Fassadenschäden" gefährlich und daher verboten sei. Ob das nur eine Schutzbehauptung ist oder der Wahrheit entspricht, keine Ahnung. Solange kein Obdachloser Buschmensch mitten in der Nacht von gründerzeitlichem Stuck erschlagen wird, werden wir es wohl auch nie erfahren. Makaber, aber wahr.

Übrigens scheint dieser Ort kein isolierter Fakt zu sein. Einige Wochen später entdeckte ich, dass offenbar auch ein unauffälliger Busch ganz in der Nähe (Ecke Rahlgasse/Gumpendorferstraße), gleich gegenüber des Eingangs ins Top-Kino-Center, in bester Bobo-Lage also, bewohnt zu sein scheint. Beeindruckend und bedrückend zugleich. Ich werde jedenfalls meine Augen offen halten nach Spuren weiterer Buschwohnungen. Vielleicht wird ja doch noch ein Buch-Kapitel daraus.

Und, ja, das war im Verhältnis zu meinen anderen bisherigen kein besonders humoristischer Blogeintrag.

(Copyright der verwendeten Fotos liegt bei Google. Wenn wer was dagegen hat, bitte melden.)

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Herbert Erregger

Herbert Erregger bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:06

Silvia Jelincic

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Bernhard Juranek

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fischundfleisch

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