Ungarn, am 24. Oktober 1996

Lieber, lieber Kurti!

Sicher bist du schon in der Kaserne und alle meine Gedanken und Phantasien sind mit dir die Strecke mitgefahren. Ich würde am liebsten in deiner Tasche überallhin mitfahren.

Als ich heimkam von dir, bin ich sofort in ein warmes Schaumbad geflüchtet. Ich habe eine Stunde im Wasser gelegen und verträumt an die Stunden mit dir zurückgedacht. Das schaumige Wasser hat meine Haut umschmeichelt wie du, deine Hände, Dein Atem, alles an dir. Ich lösche deine Spuren auf meiner Haut sonst nicht gleich, sondern halte sie den ganzen Tag auf mir und in mir fest. Nur dieses eine Mal habe ich mich sofort von dir getrennt.

Es ist an der Zeit, die Beziehung zu dir zu überdenken. Wie oft werden wir uns noch sehen? Das Ende ist unvermeidlich, war von Anfang an vorprogrammiert.

Lisa, meine vierfärbige Katze, hat auf meinem linken Oberschenkel Platz genommen und wenn sie das Gleichgewicht zu halten versucht, krallt sie sich schmerzhaft in meine Haut.

Wie sehr ich an dich denke! Rotgold wie in einem Zauberland steigt über den Feldern die Sonne aus ihrem Schlaf. Es ist sieben Uhr. Das liebe ich so an den Morgenstunden mit dir: Ich versäume nie den Sonnenaufgang, ein neuer Tag, ein neues Stück Leben, getragen von der Liebe zu dir. Es gibt Wesen, die nur diesen einen Tag leben, nur einen Tag! Kannst du dir das vorstellen, nur einen Tag zu lieben und dann zu sterben?

Die wenigen Feldbäume von Nagylósz stehen in der Ferne da wie seltsam geformte, dunkle, langgezogene Silhouetten im roten Licht der Frühsonne, die noch lange Schatten wirft. Ich denke an Afrika. Dort wäre ich jetzt gerne mit dir! Alles scheint möglich, wenn die Sonne erst einmal höhersteht. Nur für Nachtschwärmer erreicht sie nie den höchsten Punkt des Himmels.

Wie schwer wird mir das Weggehen von dir fallen, Kurti? Ich liebe dich doch so sehr. Du weißt es nur nicht. Man sagt es nicht, wenn man sich nicht verletzbar machen will.

Ab halb drei habe ich heute nacht in deinem Haus nicht mehr geschlafen. Ich habe deinen Kühlschrank durchforstet, deine letzte Semmel aufgegessen, mir zweimal Kaffee gewärmt und zwei von deinen Zigaretten geraucht. Du hast gut und fest geschlafen und ich habe an Flucht gedacht, an Flucht vor meinen Gefühlen. Doch dann war die Sehnsucht, deinen noch schlafenden Körper wachzustreicheln, viel stärker.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es je so gewesen ist wie mit dir.

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