Der Tag, an dem der Strom knapp wurde

Immer wieder kommt es zu brenzligen Situationen, wenn Solar- und Windkraftanlagen zu wenig Strom liefern. Dann müssen Industrieanlagen abgeschaltet werden. Die Netzschwankungen könnten aber noch schlimmer werden. Von Andreas Mihm

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Bekommen kurzfristig den Strom abgeschaltet: Aluminium-Produzenten in Deutschland

BERLIN, 11. Januar. Freitag der 14., ist ein ruhiger, etwas diesiger Dezembertag. Mittags kommt in Berlin die Sonne durch, in Kiel schwänzen Schüler den Unterricht und nennen das „Streiken für den Klimaschutz“. Die Aufregung um die Bahnstreiks am Wochenanfang hat sich gelegt, die Adventsmärkte erwarten den Besucheransturm zum dritten Advent.

In einer Handvoll großer Industriebetriebe ist dagegen von vorweihnachtlicher Fröhlichkeit keine Spur. Der Stresspegel ist beachtlich gestiegen, seitdem die Netzbetreiber kurzfristig angekündigt haben, den Strom abzuschalten. Denn in Deutschland gibt es an diesem Mittag zu wenig Elektrizität. Später wird bei Netzbetreibern von einem „Prognosefehler bei den erneuerbaren Energien aufgrund einer seinerzeit komplexen Wetterlage“ die Rede sein. Die Sonne scheint nicht so intensiv, wie noch am Vortag geplant und erwartet war.

Kurz nach 12.00 Uhr jedenfalls ist die „Minutenreserve“ der Pumpspeicherkraftwerke verbraucht, aus dem Ausland lässt sich auch nicht mehr Strom ziehen. Jetzt werden Großverbraucher wie Aluminiumhütten, Walzwerke und Gießereien abgeschaltet. Und zwar deutschlandweit – alle, die verfügbar sind. „In der Summe haben Aluminium und andere Industrieunternehmen 1025 Megawatt Leistung auf Anforderung der Netzbetreiber aus der Produktion genommen“, heißt es später bei Hydro Aluminium in Neuss. So bleibt das Netz doch noch stabil, in den Haushalten und Büros merkt niemand etwas. Nach knapp drei Stunden, gegen 15.00 Uhr, kehrt wieder Ruhe ein. Daten der Bundesnetzagentur zeigen, dass die inländische Erzeugung die Nachfrage wieder übersteigt.

Es kommt immer wieder vor, dass mehr Strom verbraucht als erzeugt wird. Zuletzt an Silvester. Laut Bundesnetzagentur wurden am 31. Dezember mittags 52 000 Megawatt Strom abgerufen, aber nur 46 000 Megawatt erzeugt. Dass dennoch nirgendwo das Licht flackerte oder die Pumpe der Heizung ausfiel, lag an Stromlieferungen aus dem Ausland. Der fehlende Strom, 10 Prozent der Nachfrage, wurde importiert.

Doch das Ausland kann nicht immer die Lücke ausgleichen. Zunehmend schalten daher die vier Netzbetreiber Produktionsanlagen ab, um das Netz im Gleichgewicht zu halten. „Bisher sind dieses Jahr 78 Abschaltungen alleine der Aluminiumhütten erfolgt“, heißt es in einem Brandbrief, den der Neusser Hersteller Hydro Aluminium kurz vor Weihnachten an den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, schickte. Das sei ein neuer Rekord.

Anbieter „abschaltbarer Lasten“ werden dafür bezahlt, wenn Netzbetreiber mit einer Vorankündigung von 15 Minuten den Saft abdrehen. Weil es um sehr große Strommengen geht, betrifft das nur die sehr stromintensive Industrie, die direkt am Höchstspannungsnetz hängt.

Mitte Dezember war es wieder so weit. „Die deutsche Regelzone war am 14. Dezember in der Spitze um rund 2500 Megawatt unterdeckt, die Gründe dafür untersuchen wir zurzeit“, sagt der Sprecher der Bundesnetzagentur. Rechnerisch fehlte die Kapazität von zwei großen Kernkraftwerken. Der Netzbetreiber Amprion, der für den Westen der Republik zuständig ist, erklärte, die Erzeugung von Photovoltaikstrom sei an dem Tag „deutlich von der Prognose abgewichen“.

Das zeigt das Dilemma. Netzbetreiber müssen die Nachfrage für den nächsten Tag prognostizieren. Dafür schätzen sie ab, wie viel Wind- und Sonnenstrom anfällt. Der hat im Netz Vorfahrt vor Elektrizität aus Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerken. Kommt es zu Prognosefehlern, müssen abschaltbare Lasten ran, wie an jenem Freitag im Dezember. Die Fehler können groß ausfallen, wie die Netzbetreiber gelernt haben. Bei Hochnebel kann die Abweichung zwischen am Vortag geschätzter und realisierter Sonnenstromgewinnung 8000 Megawatt betragen. Das sind 10 Prozent vom Verbrauch.

Die Umschreibung „Krise“ für den Mittag Mitte Dezember weisen Netzagentur und Netzbetreiber zurück. „Die Bilanzkreisabweichung war zwar insgesamt recht groß, durch Zusatzmaßnahmen wie Börsenkäufe konnte die Situation aber ohne Probleme beherrscht werden“, heißt es beim Netzbetreiber 50Hertz.

Die Industrie aber irritieren solche Einzelfälle, erst recht deren Häufung. Schon vier Tage später, am 18. Dezember, kam es zu einem Blackout in der Hamburger Alu-Hütte von Trimet samt dem benachbarten Walzwerk. „Die Produktion fiel schlagartig und ungeplant vollständig aus“, heißt es in dem Brief an Homann. Nur mit Notstromdiesel habe die Notbeleuchtung aufrechterhalten werden können. „Dies verursachte beträchtlichen Produktionsausfall und Sachschaden.“ An diesem Donnerstag war die Alu-Hütte schon wieder von einem Ausfall betroffen.

Hydro-Geschäftsführer Volker Backs führt solche Klagen nicht allein. In einer Umfage der stromintensiven Glasindustrie berichteten vier von 15 Unternehmen von mehr als zehn Produktionsbeeinträchtigungen im vergangenen Jahr nach Unterbrechungen oder Frequenzschwankungen im Netz. Die wirtschaftlichen Schäden gingen in die Hunderttausende.

Auch die Wieland-Werke in Ulm, ein weltweit führender Spezialist für Kupfer und Kupferlegierungen, stellten „zuletzt häufiger als früher Störungen im Stromnetz fest“. Dabei sei eine sichere Energieversorgung für die Kupferschmelzen überaus wichtig, sagt Technik-Vorstand Ulrich Altstetter. Zuweilen seien „ganze Werksteile bis zu einen halben Tag lahmgelegt“, moniert der Vorsitzende des Energieausschusses beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Altstetter fragt sich, was werden soll, wenn 2022 die letzten Kernkraftwerke im Süden vom Netz gehen, die bislang die Grundlast der Stromversorgung garantieren.

Zum Ärger komme der finanzielle Verlust: „Wir bleiben auf dem Schaden sitzen.“ Denn anders als bei den angekündigten „Lastabwürfen“ sind die von den Netzbetreibern zu zahlenden Entschädigungen bei ungeplanten Abschaltungen auf 5000 Euro gedeckelt. Das reiche nicht, weshalb der BDI als Sofortmaßnahme eine Gesetzesänderung verlangt.

Die Frage nach der Entschädigung, sagt Arndt Kirchhoff, der Chef des Autozulieferers Kirchhoff und Präsident der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen, stelle sich zuletzt. In seinen Betrieben wie in Iserlohn seien Hunderte Maschinen vernetzt. Schon leichte Stromschwankungen, erst recht Lieferausfälle, führten zu Systemabschaltungen. „Bis alles wieder funktioniert, können wir bei uns fast eine komplette Schicht nach Hause schicken“, sagt Kirchhoff. „Passiert dies mehrmals im Jahr, ist das nicht mehr aufzuholen.“ Er sei „darauf angewiesen, dass meine Produktion läuft.“

Die Netzbetreiber beobachten die Frequenzschwankungen im Netz. Dazu komme es öfter dann, wenn große Kraftwerke zur gleichen Zeiten an- oder abgeschaltet würden, etwa um 06.00 Uhr morgens oder auch 22.00 Uhr abends. Dann nämlich gehen manche Windparks vom Netz, um die Nachtruhe der Anwohner nicht zu stören. „Wir verfolgen diese Entwicklungen sehr genau, kritische Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit sehen wir zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht“, heißt es bei 50Hertz.

Oliver Hommel, Leiter des weltweit größten Aluminiumwalzwerks Alunorf bei Neuss, warnt, schon Schwankungen der Netzfrequenz im Millisekundenbereich führten zu Schäden an den hochempfindlichen Geräten. Bei Stromausfällen von mehr als zwei Stunden könnten Anlagen „unwiederbringlich“ verloren gehen. „Deshalb beobachten wir den stetigen Anstieg an Stresssituationen im Netz mit großer Sorge.“

Die Beratungen über den Kohleausstieg lassen den Stresspegel bei den Managern deshalb weiter steigen. Hydro-Chef Backs schreibt an den Chef der Netzagentur, Homann: „Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie in Verbindung mit Überlegungen, die Braunkohleverstromung schon in Kürze erheblich zu senken, erscheint riskant.“

Quelle:https://edition.faz.net/faz-edition/wirtschaft/2019-01-12/0ef138ca4a91f74600c9c37e8a8d9a2d/

PS: Vieleicht könnten die Freitagshüpfer in solchen Fällen aushelfen.So nach dem Motto jeden seinen Dynamo

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