Morgen ist es soweit. Ich werde mir ein Taxi rufen und mich in den dritten Bezirk bringen lassen. "Landstraße" heißt der. Das wird historisch wahrscheinlich seine Gründe haben, jetzt ist das aber einfach Stadt. Und zwar mitten drinnen. Ich mag die Stadt nicht. Heute war ich noch in aller Frühe auf der Sophienalpe. Da lag der erste Schnee in diesem Jahr - im Wiener Raum halt. Zwischen den Hügeln sieht man über Wien. Irgendwo dort, eher am rechten Rand meines Blickfeldes, ist das Krankenhaus. Ich schau in die Richtung und es wird mir warm in der Bauchgegend. Aber nicht so ein wohliges Warm. Es schnürt mir den Hals zu und die Kinnlade zittert leicht. Gleichzeitig rieselt mir so ein Vibrieren über den Unterarm in die Handballen. Schrecklich, ich werde gleich bewusstlos. Ich frag mich, ob ein plötzlicher Atomblitz, gefolgt von einer allesverbrennenden Feuerwalze, nicht gnädiger wäre als das, was auf mich zukommt. Ja, nein, nein, ja. Es würde uns alle zusammen treffen. Das ist nur fair - alte Egoistensau. Ich drücke die Hand meiner Frau. Hoffentlich werden wir den Schnee noch einmal gemeinsam erleben dürfen. Dem Ludwig ist es einerlei. Er hüpft herum und fordert Leckerlis.

Ich wollte doch tapfer sein. Wie mein Opapa. Aber der hat Aussteuerung, Hunger, den Winter in Russland und meine Großmutter erleiden müssen. Der hatte ein ganz anderes Umfeld.

Auf meinem Handy habe ich eine YT-Playliste angelegt. "Schulter", heißt die. Da hab ich eine komplette OP der Rotatorenmanschette gespeichert. Irgendwo in Deutschland wurde da einer abgedeckt. Nur der Arm schaut aus einem Loch in der Plane. Zwei gut gelaunte Ärzte kommentieren jeden Handgriff. Der Patient ist im Urlaub geschwommen - sonst nix - und hat einen Riss in der Schulter verspürt. Und jetzt liegt er da. Der Arzt setzt ein Skalpell an. Ich schaue zwischen den Fingern durch, weil ich einen scharfen aber behutsamen Schnitt erwarte. Das Bild soll mich nicht so frontal ins Gesicht treffen. Aber es kommt schlimmer. Er haut dem das Ding mit einer blitzschnellen Bewegung in die Schulter. Mir bleibt die Luft weg. Er wiederholt das und hat ihm am Ende drei Löcher gestanzt. Eines für das Arbeitsgerät, ins zweite führt er eine Kamera ein und beim letzten wird gespült. Ich habe da einen Außen- und eine Innenperspektive. Zuerst besichtigen die Ärzte fröhlich den Schaden. Dann wird geschnitten, begradigt, gefräst, gestemmt - "Schwester, bitte klopfen sie mir nicht auf die Finger" - und vernäht. Ich bin fertig. Aber gut - nein, gut ist da garnix -, ich soll ja nichts mit bekommen. Wegen der Vollnarkose. Auch vor der fürchte ich mich. Das ist aber nicht alles. Ich bekomme zusätzlich eine "Interskalenäre Plexusblockade" oder so. Und auch da finde ich Videos. Einige. Mir wird da eine Nadel in den Hals gestochen! Mittels Ultraschall, manchmal auch mit elektrischen "Reizen" wird der Nerv gesucht, der die Schulter und den oberen Arm versorgt. Da wird hineingestochen. Und das, wenn ich es richtig verstanden habe, vor der Narkose. Ich flippe aus. Das überstehe ich nicht.

Am 21.September ist mir der Scheiß beim Bankdrücken passiert. Ich Volltrottel! In meinem Alter sollte man Tauben füttern oder Schach spielen. Bereits am Abend dieses Tages war klar, dass das operiert werden wird müssen. Und seitdem wächst auch meine Angst. Bei der OP-Voruntersuchung musste ich meine Medikamente angeben. Ich habe vergessen "Xanor" draufzuschreiben. Die nehme ich ja nicht regelmäßig. Nur in Katastrophensituationen. Also Flugreisen, Zahnarzt und so.

Je näher der Tag der Operation rückte, desto schlechter ging es mir aber. Durchwachte Nächte. Ich kann nicht liegen wie ich will und wälze Gedanken. Dunkle Gedanken. Mir ist kalt unter der Decke. Die Luft im Zimmer ist feucht und ich fröstle. Drehe ich die Heizung höher wird mir heiß und schlecht. Am Morgen schleppe ich mich zum Frühstück. Nach einigen Bissen vom Semmerl wird mir, ich weiß nicht wie. Mulmig. Zittrig. Ich habe kalten Schweiß auf der Stirn. Es dreht mich und ich schaffe es zum Fernsehsessel und lege die Füße hoch. Das passiert mir alle paar Tage. Es ist schrecklich. Was ist das? Ich muss fit sein, weil diese schreckliche OP wie eine Wand vor mir steht. Eine vereiste Eiger Nordwand. Nicht zu überwinden.

Als ich die Symptome google, beschleicht mich der Verdacht, dass mein Zustand womöglich stressbedingt sein könnte. Ach was: Eine scheiß Angst habe ich. Als es mich wieder Umhaut werfe ich ein Xanor ein. Und, wer hätte das gedacht, nach etwa 30 Minuten geht es mir viel besser. Nicht gut, aber ich kann weiterleben. Vielleicht schaffe ich das ja doch. Na, das alles halt.

Aber die wissen nicht, dass ich mir Benzos reinzische. Was, wenn sich das mit der Narkose nicht verträgt, und ich mit einem Zettel an der großen Zehe das Spital verlasse. Nein, da ist mir nicht danach. Ich werde eine Woche vor der OP die letzte Dosis einnehmen. Das war Dienstag. Donnerstag war ich reif für die Psychiatrie. Körperlich alles was dir so einfällt. Nicht zu ertragen. Dazu das Gefühl, die Sache nicht bewältigen zu können. Nie! Ich kann aber nicht aus. Flucht, Flucht, Flucht! Geht nicht. Mir hängt der Arm runter. Supraspinatus und noch was wachsen nicht einfach so zusammen. Kein Ausweg. Wie schrecklich doch das Leben ist. Verlierer bist du mit dem Zeitpunkt der Geburt. War die wirklich nötig? Was mach ich nur, was mach ich nur?

Da gibt es so eine neue Gesundheitstelefonnummer. Da kann man anrufen und bekommt eine Erstberatung. 1450. Ich ruf dort an und erkläre, dass ich vor einer OP stehe und fertig bin. Ich brauche ein Xanor. Darf ich, darf ich? Meine Stimme hat gewiss etwas Dringliches. Mein gegenwärtiger Standort wird abgefragt. Ich verstehe das irgendwie. Ich könnte ja schon auf einem Sessel stehen. Der Herr darf mir Auskünfte über Medikamente so nicht geben. Er verbindet mich aber mit dem Ärztenotdienst. Sollte das nicht klappen, soll ich nicht auflegen. Man wird was anderes versuchen. Es hebt aber schnell ein Mann ab. Ich wiederhole meine Geschichte. Ich bin gepresst, verzweifelt und von Angst, Depression und Wahnsinn befeuert. Man hört das sicher. Er sagt, er sei nur der Sani, sieht aber gerade, dass die Ärztin frei ist. Er vermittelt mich schnell weiter, damit nicht ein Patient dazwischen kommt, der weniger am Rad dreht wie ich. Es hebt eine Ärztin ab und trägt mir mein Problem vor. Da hat jemand mitgeschrieben oder so. "Ja, klar können Sie ein Xanor nehmen", sagt sie. "Und wenn eines nicht reicht, geht auch ein zweites. Die OP ist ja bald".

Ich bin so froh. Nein, froh nicht eigentlich, aber ich hantle mich weiter. Heute um 7 Uhr habe ich Pulverl genommen. Vor einer Stunde ein zweites. Ich überlege mir den Wecker auf 23:50Uhr zu stellen um ein drittes zu nehmen. Vielleicht wirkt das dann noch, wenn ich morgen um 9:30 Uhr ins Taxi steige. Dann könnte ich im Spital behaupten, gestern das letzte Xanor genommen zu haben.

In meine Tasche habe ich "Biologie der Angst" vom Gerald Hüther gesteckt. Das habe ich vor Jahren schon mal gelesen. Wahrscheinlich anlässlich einer Flugreise oder so. Ich bin aber eher unsicher. Glaub nicht, dass ich fit genug für den wissenschaftlichen Zugang bin. Daher hab ich mir auch "Herr Boning geht baden", vom Wigald Boning als Hörbuch aufs Telefon geladen. Herr Boning liest selbst. Vielleicht liegt das eher in meinem Bereich, morgen. Sicher bin ich nicht.

Ich hab ein Einzelzimmer bestellt. In sozialen Dingen bin ich eh so schlecht. Also wenn ich dort einrücken und einen Schwierigen im Zimmer bespaßen muss, beginne ich zu weinen.

Mal schauen wie es kommt. Vielleicht traue ich mich da morgen nicht hin und verstecke mich im Wald. Dort fühle ich mich wohl. Aber mit einem Arm?

Jedenfalls habe ich meinen Begrüßungssatz schon drauf: "Guten Morgen. Ich habe schreckliche Angst!“

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