Die Küche ist fertig. Die Wand hat eine neue Farbe und das Laminat ist verlegt. Das Vorzimmer war nicht geplant. Aber es beruhigt mich, wenn ich beschäftigt bin. Nur solche Beschäftigungen die ich alleine erledige können das. Müsste ich mich unterhalten, dann hätte ich das Gefühl, dafür eigentlich keinen Saft zu haben.

Ich gehe nicht mit. Claudia und Nina nehmen mir das ab. Ich habe deswegen ein schlechtes Gewissen. Aber Du spürst meine Unruhe in diesen Situationen. Ich habe die auch, wenn es dabei um mich selbst geht. Die Angst vor der Behandlung ist, so glaube ich, nur das Plakative dabei. Etwas, das ich behaupten kann um zu erklären. Aber das ist es nicht wirklich. Es ist diese Hilflosigkeit. Der moderne Mensch ist ständig Spielball in Prozessen, die er selbst nicht am Laufen halten könnte. Aber manche machen mir das deutlich. Andere akzeptiere ich, weil sie Gewohnheit wurden. Fliegen mag ich überhaupt nicht. Nichts von dem was dort passiert könnte ich selbst hinkriegen, vieles verstehe ich nicht. Wieso bleibt der Haufen Eisen - wahrscheinlich ist er nicht mal das - da oben? Mir ist klar, dass Motorradlfahren ungleich gefährlicher ist, trotzdem ist der Anteil am Gesamtrisiko, den ich beeinflussen kann, größer. Aber ich will da gar nix rationalisieren. Hier schon gar nicht. Wahrscheinlich bilden wir uns aber in den meisten Situationen ein, dass wir, auf Grund eines wahnsinnig ausgepufften Entscheidungsfindungsprozesses, unsere Position bezogen haben. Und das argumentieren wir dann ganz aufgeregt. Jetzt hab ich einiges über diese Prozesse gelesen und musste zur Kenntnis nehmen, dass "Es" sich entschieden hat und wir im Nachhinein unsere Argumente sortieren um nicht beunruhigt zu werden. Ich hätte das nicht geglaubt, weil ich auf mein „Ich“ ziemlich stehe. Ob ich das „Es“ mag, weiß ich nicht.

Ich hab mich - ich gehe einfach davon aus - entschieden mich vor dem Fliegen zu fürchten. Und vor Ärzten. Vor der Schule habe ich gereihert, weil man auch dort so ausgeliefert war. Als ich Vater wurde kam ein Multiplikator dazu. Wenn jemand, der sich auf mich verlassen soll, das nicht kann, weil er Hilfe von außen braucht. Arzt oder im schlimmsten Fall Spital. Wenn ich dort daneben stehe und zuschauen muss. Oder gar hinaus geschickt werde. Ich halte das kaum aus und übertrage das auf mein Umfeld. Ich bemerke diesen totalen Wahnsinn und das macht die nächste ähnliche Situation nicht besser. Nun ist meine Tochter aber erwachsen und braucht mich beim Arzt nicht mehr.

Aber da gibt es noch meine Tiere. Die sind auf mich angewiesen und ich kann ihnen nicht erklären, warum ich grad so eine ungesunde Ausstrahlung habe. Bei meiner Tochter habe ich, sobald das möglich war, mein Defizit in diesen Dingen thematisiert und so ein Lachding daraus gemacht. Mein Hund, der Willi, ist meinem Am-Rad-Drehen aber ausgeliefert.

Ihm geht es seit April nicht mehr gut. Er wollte nicht richtig fressen, hatte Durchfall und abgenommen hat er auch. Beim Tierarzt wurde bei der Untersuchung ein Herzfehler - DCM - festgestellt. Es sei ein Glück gewesen, dass Willi diese anderen Probleme hatte und das per Zufallsbefund festgestellt wurde. Er war wohl ein typischer Kandidat für einen plötzlichen Herzstillstand, wie ihn Dobermänner oft erleiden. Im Brustraum hatte sich Flüssigkeit angesammelt, die abgesaugt wurde. Gefäßerweiternde und herzstärkende Medikamente wurden verordnet. Dazu Entwässerung nach Bedarf.

Den Sommer überstand er so leidlich. Gefressen hat Willi wenig, abgenommen dafür stark. Auch der Durchfall wurde nicht besser. Wir waren immer wieder beim Tierarzt. Ich hatte inzwischen ein wirklich schlechtes Gefühl. Es kommt ja meistens übler als man erwartet. Nicht ich jetzt. Ich erwarte immer das Schlimmste. Meistens behalte ich Recht. Jedenfalls wurden dann auch noch Giardien festgestellt. Für einen gesunden, kräftigen Hund kein Problem. Für eine achtjährige, herzkranke Bordeauxdogge aber schon. Willi bekam nun zusätzlich Tabletten gegen die Parasiten. Er verweigert aber das Schlucken der Pulverln. Er riecht sie, so gut kann man die gar nicht verstecken. Käse, Schinken, alles versucht. Die Tabletten werden zerrieben, mit Wasser gemischt und über eine Spritze in das Maul befördert. Die Giardien bekamen wir aber nicht weg. Der Willi ist erschreckend abgemagert. Er hat 30 kg verloren. Er hatte mal 85. Jetzt sieht man jeden Knochen. Sein übliches Futter frisst er gar nicht mehr. Ich hab alles versucht. Vom Trockenfutter bis zum Entenfaschierten. Keine Chance. Er nahm nur mehr Leckerlis aus der Hand. Und vor zwei Wochen war auch das vorbei. Er war ruhelos und atmete pressend. Ich befürchtete das Schlimmste. Meine Frau und meine Tochter schnappten den Hund und machten sich auf zum Tierarzt. Ich bot zwar an, das selbst zu machen, war aber froh, dass ich nicht mitgehen musste. Meine Mädchen sind da viel cooler und das hilft dem Willi. Zumindest solange es bei der Behandlung bleibt. Aber es kann auch schlimmer kommen. Sollte das der Fall sein, würde ich nachkommen. Ich bin ruhelos und beginne in der Küche zu werken. Es würgt mich im Hals und mir ist nicht gut. Über WhatsApp werde ich informiert. Willis Brustraum ist voller Flüssigkeit. Er verweigert das Fressen, weil er sich zwischen Nahrung und atmen entscheiden muss. Ich warte lange und habe ein schlechtes Gewissen. Meinem Freund geht es schlecht. Ich sollte bei ihm sein. Er war bei mir, als meine Frau eine Woche im Koma lag. Er ging mit mir in der Dunkelheit in den Wald und ließ den Schneeregen auf seinem Fell schmelzen. Ich hänge so an ihm. Dann die Nachricht. Willi wurden zwei Liter Flüssigkeit abgesaugt. Jetzt ist er noch auf Droge, wenn er aber wieder gerade stehen kann, sollte es ihm gleich besser gehen.

Ich gehe schnell raus und erwarte das Auto mit dem Willi. Ich helfe ihm beim Aussteigen über die Rampe. Er wackelt durch den Garten und lässt sich in der Wohnung niederplumpsen. Und? Was war? Das Herz ist so schwach, dass sich immer wieder Wasser einlagern wird. Man kann das auch nochmal absaugen. Wenn das alle zwei Monate nötig ist, dann geht das in Ordnung. Wenn sich der Brustraum aber schnell wieder füllt, dann hat das seine Grenzen. Jetzt haben die Organe, die vorher durch die Flüssigkeit zusammengepresst waren, wieder Raum sich zu entfalten. Und dann wäre es wichtig, dass Willi wieder ordentlich frisst. Viel Fleisch wäre gut. Wegen dem Eiweiß. Das war Freitag vor einer Woche. Montag gab's einen Kontrolltermin. Flüssigkeit ist keine nachgelaufen. Aber so richtig fressen will der Hund noch immer nicht. Wir sollen ihm geben was er mag. Und wenn es nur Leckerlis sind, dann ist es auch gut.

Dienstag und Mittwoch sind in Ordnung. Sogar eine kleine Runde im Wald drehen wir. Das Fressen nimmt er nur mäßig an. Donnerstag geht es Willi schlechter. Er atmet langsam ein, presst die Luft aber auffällig aus. Freitag haben wir wieder einen Termin bei unserem Tierarzt. Ich bin unsagbar froh, dass wir - ich bin mir da absolut sicher - beim besten Tierarzt Wiens Patienten sind. Meine Frauen springen wieder ein. Ich beginne mit dem Vorzimmer. Ich fühle mich schlecht, wie üblich, und höre mir trauriges Schmalz an. "Wenn er nachts Piano spielt", "the last farewell", und so.

WhatsApp: Der Willi ist schon wieder voller Wasser. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich weiß, dass sich nun die Frage stellen wird, die ich so fürchte. Tun wir es noch für ihn oder geht es um uns? Sollten wir nicht das machen, was wir dem treuen Freund schuldig sind?

Als die Tür aufgeht frage ich nach. Ja, einmal wurde die Flüssigkeit noch abgesaugt. Das Herzmedikament wird in doppelter Dosis gegeben. Bei der Entwässerung sind wir bereits am oberen Ende. Mehr bringt nix. Zusätzlich bekommt Willi noch Cortison. Ein Versuch. Der Appetit soll geweckt und den Organen ein Schub gegeben werden. Das sei aber das letzte Stück in der tierärztlichen Trickkiste, wird Nina und Claudia erklärt. Wenn Willi einige gute Tage erlebt, dann haben wir erreicht, was zu erhoffen ist. Die Ärztin meint, dass manche Hundehalter meinen, ein guter Tag wäre es wert das immer und immer wieder zu versuchen. Sie glaubt das nicht. Die Tage zwischen den Behandlungen seien für das Tier nicht mehr lebenswert. Ein Wink an uns? Ich glaube, nachdem was mir erzählt wird, dass sie eher uns die nötige Zeit gibt, weniger dem Willi. Und sie wird uns klar sagen, wenn es für ihn eine Zumutung wird. Sie lässt das Feuer langsam ausgehen. Ich ertrage das aber nicht, und blase immer wieder in die Glut. Vielleicht wird es doch noch was mit dem Willi.

Menschen sagen in solchen und ähnlichen Situationen oft, dass das Leben eben so sei. Das genügt vielen offenbar um das Unerträgliche anzunehmen. Na wenn es halt so ist. Mir half der Ansatz nie. Wenn das Leben so ist, dann ist es scheisse. Eine Fehlkonstruktion mit der ich mich nicht arrangieren kann. Ich werde weiter darunter leiden, weil nichts anderes angemessen ist. Verloren hat jeder der aus der Ursuppe gespuckt wird. Ich glaube nicht. Gar nicht. Aber so eine Aneinanderreihung von Schrecklichkeiten und Leid lässt beinahe einen Plan vermuten. Was für eine böse Instanz müsste der Urheber eines solchen sein?

Ich hab immer gehofft, dass mein Hund und alle die ich liebe unsterblich sind. Und wenn nicht, dann müsste das Herz für ein gnädiges Ende in weiter Ferne verantwortlich sein. Kein Krebs sollte ein langsames Sterben begleiten. Ich ging davon aus, dass das Herz einfach still steht. Kein Beobachten, kein Vorleid, keine Schmerzen. Das sieht jetzt ganz anders aus. Das Herz arbeitet, aber schlecht. Die Atemnot nimmt zu weil die Flüssigkeit in der Brust mehr wird. Wie soll ich den richtigen Zeitpunkt für Dich wählen? Soll ich anrufen wenn Du noch, wenn auch auf wackligen Beinen, stehen kannst? Unsere Tierärztin hat uns Ihre private Nummer gegeben. Wir können sie Tag und Nacht anrufen. Auch am Sonntag. Sie würde kommen um dem Willi zu helfen. Auf die Sackerln, in die sie seine Tabletten legt, malt sie ein Herzerl und schreibt „Willi“ hinein. Was für ein guter Mensch! Sie würde also kommen und klingeln. Der Willi würde aufstehen und zur Gartentür hinken um sie zu begrüßen. Und da soll ich entscheiden, dass er sterben soll?

Oder ich warte länger. Solange bis er auf seiner Decke liegt und nicht mehr aufstehen kann. Das würde aber bedeuten, dass er einige Zeit vorher zu wenig Luft bekommen hat. Seine Lefzen würden blau sein und das Zahnfleisch würde nach dem Eindrücken lange weiß bleiben. Er hätte um Luft gerungen und gelitten. Es wäre zu spät gewesen. So ist das Leben eben? Was für ein Übel.

Du liegst neben mir. Dort wo ich stehen muss, um die Decke zu walzen. Weisse Tropfen werden dein rotes Pelzchen treffen. Werden sie noch dort sein, frage ich mich, wenn ich den Spaten rausholen werde? Im Garten habe ich an dem Platz neben dem Ozzy, das Laub angehäuft. Damit ich graben kann, auch wenn der Boden gefroren ist. Ich hab das schon öfter machen müssen. Jedes Mal hat die Trauer eine Narbe in mein Herz geritzt. Die Wiener Bürokraten finden zwar, dass mir das verboten sein soll meinen Freund selbst zu beerdigen. Ich soll ihn abholen lassen von jemand, dem meine Trauer im besten Fall egal, und für den Willi nicht mehr als totes Fleisch ist, das man achtlos herumwerfen kann. Das wird nicht passieren. Ich werde Dich streicheln und mit meiner Körperwärme die Kälte, die in Dich fließen wird, zurück halten. Ich werde meine Liebe in die Grube zu Dir legen. Und dann werde ich eine Decke über Dir ausbreiten. Die Erde wird Dich zudecken und ein Stück von mir wird bei Dir sein, wenn ich eine Kerze auf den kleinen Hügel stelle.

Hilf mir es richtig zu machen. Mein treuer Freund.

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