Kommentar zur Präsidentschaftsfwahl in Frankreich

Jenseits aller pathetischen Verklärung, waren es letztendlich eine „Politholding“, ein skandalisierter Pseudoskandal und die Jagd nach Pöstchen, die die französische Präsidentschaftswahl entschieden haben!

Ein Sieg Le Pens war nie realistisch

Emmanuel Macron ist seit Sonntag designierter Staatspräsident Frankreichs.

Im zweiten Wahlgang setzte er sich gegen Rechtsaußen Marine Le Pen vom Front National klar durch.

Seitdem überschlagen sich Positivschlagzeilen, die unisono einen revolutionär anmutenden Messias anpreisen, der für ein glückseliges Europa den glorreichen Sieg über das Schreckgespenst des Rechtpopulismus errungen habe.

Seine Parteilosigkeit wird gerühmt, ebenso wie seine Unkonventionalität.

Sicher wäre die Wahl Le Pens, die es nicht schaffte, sich hinreichend von rechtsextremen Vertrauten wie Frédéric Chatillon und Axel Loustau zu distanzieren, für Frankreich ein Schritt in Richtung wirtschaftspolitischer Harakiri gewesen.

Sie war jedoch zu jeder Zeit vollkommen unrealistisch.

Die pathetischen Positivemotionalisierungen, mit denen nun Macron gefeiert wird, sind weit von den tatsächlichen Gründen für seinen Erfolg entfernt.

Das wird gerade dann deutlich, wenn man beleuchtet, wie er sich für den zweiten Wahlgang, dessen Ausgang reine Formsache war, qualifizieren konnte.

Die Sozialisten waren für Macron eine Art „Politholding“

Der Kopf der „En Marche!“ war selbst jahrelang Mitglied der Sozialistischen Partei (PS) und sogar Wirtschaftsminister unter Präsident François Hollande, dessen Amtszeit Frankreich dauerhafte Rekordarbeitslosigkeit, beispielloses Mittelstandssterben und eskalierenden islamistischen Terror gebracht hat.

Die Sozialisten wussten, dass sie in Anbetracht von Hollandes katastrophaler Bilanz keine Chance auf einen Wahlsieg hatten.

Also haben sie mit Benoît Hamon einen nicht wirklich ernst zu nehmenden Kandidaten ins Rennen geschickt, der fast ausschließlich wegen seiner Forderung nach Cannabislegalisierung wahrgenommen wurde.

Sowohl an der Basis, als auch erst Recht auf der Führungsebene, ist Macrons En Marche! - Bewegung von Mitgliedern der sozialistischen Partei geprägt.

Folglich konnte sie während des Wahlkampfs als inoffizielle Filiale der PS verstanden werden, für welche die Partei selbst als eine Art Politholding agieren konnte.

Der Titel eines Artikels aus der Le Monde vom 25. April trifft den Nagel auf den Kopf: „En Marche! saugt die Sozialistische Partei von ihrem angestammten Boden auf“.

Wenn Macron, wie angekündigt, noch vor den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni En Marche! in eine Partei umwandelt, werden ehemalige Sozialisten nicht nur das Fundament bilden, sondern auch die meisten Spitzenpositionen besetzen.

Christophe Castaner, das „Friedensschiff“ und die IS-Terroristen

Zu ihnen zählt neben Hollandes Premier Manuel Valls und der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin und jetzigen Umweltministerin Ségolène Royal auch Macrons enger Vertrauter und Sprecher, der südfranzösische Rechtsanwalt Christophe Castaner.

Dieser hat nicht nur gute Chancen auf einen Ministerposten, sondern fiel 2010 dadurch auf, dass er Partei für die Besatzung der Mavi Marmara ergriff.

Das Schiff fuhr damals unter türkischer Flagge und sollte angeblich humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen.

Einige israelische Quellen berichten dementgegen von bewaffneter Besatzung und Waffenschmuggel.

Es wurde von der Armee erstürmt. Dabei starben mindestens 10 Menschen.

Castaner sprach damals von einem „Friedensschiff mit vollkommen pazifistischer Besatzung“ und erhob schwere Vorwürfe gegen die israelische Regierung.

Gegen seine Version spricht zum einen, dass ein, 2014 in der Nähe des syrischen Idlib getötetes ehemaliges, Besatzungsmitglied sich dem IS angeschlossen hatte.

Darüber hinaus befand sich der, Ende April in London festgenommene, islamistische Terrorist 2010 ebenfalls an Bord jenes Schiffes, dem Macrons Sprecher damals eine „vollkommen pazifistischer Besatzung“ attestierte.

In punkto Le Pen mangelnde Distanz zu Frédéric Chatillon und Axel Loustau zu kritisieren ist richtig und notwendig.

Dieselben Maßstäbe sollten bezüglich der Personalie Christophe Castaner bei Macron angewendet werden.

Wie dem auch sei, das Zurückgreifen auf, etablierte und vernetzte Ressourcen aus der Sozialistischen Partei, sind der erste Grund für Macrons Wahlerfolg.

Der skandalisierte Skandal um François Fillon

Der zweite Grund liegt darin, dass dem konservativen Kandidaten François Fillon erfolgreich ein Skandal angedichtet wurde, der eigentlich nie wirklich einer war.

Michaël Miguères schrieb dazu treffend am 21. April 2017 in der Huffington Post:

„Bis heute wurde Fillon keines einzigen Delikts für schuldig befunden. Er reiht sich damit in die lange Liste derer ein, die das Gericht der Medien vorverurteilt hat. Dabei wird vergessen, dass viele von ihnen später von der Justiz freigesprochen wurden.“

Erst durch die monatelange Dauernegativberichterstattung über François Fillon avancierte Macron im Februar überhaupt erst zum aussichtsreichen Kandidaten.

Sieht man sich die Umfrageverläufe an, hätte es selbst dann vermutlich nicht, oder wenn dann nur knapp für ihn gereicht, um in den 2.Wahlgang einzuziehen.

François Bayrou, die enttäuschten Juppéisten und ihre Jagd nach Pöstchen

Sein Einzug wurde erst Gewissheit, als François Bayrou von der Demokratischen Bewegung (Mouvement Démocrate), in den Umfragen zum fraglichen Zeitpunkt um die 10% liegend, seine Kandidatur zurückzog.

Bayrou ist eigentlich ein Mitterechtspolitiker, rief aber zeitgleich mit dem Rückzug seiner Kandidatur für viele überraschend, dazu auf im ersten Wahlgang für Macron zu stimmen.

Entgegen Meinungen, dies sei aus edler Überzeugung geschehen, ist ein anderes Szenario wahrscheinlich.

Vor den Vorwahlen der „Les Républicains“, in denen sich damals einigermaßen überraschend Fillon durchsetzen konnte, galt Alain Juppé als aussichtsreicher Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der konservativen Mitterechtspartei.

Wie auch Nicolas Sarkozy zog er den Kürzeren.

Wäre Juppé und nicht Fillon zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden, wofür sich Bayrou im Spätsommer und Herbst 2016 sehr stark gemacht hatte, er hätte sehr gute Chancen auf den Posten des Justizministers gehabt.

Nun, da Macron Präsident wird, stehen die Chancen für Bayrou wieder sehr gut.

Der Kopf der En Marche! erklärte schließlich erst am 05. Mai, Bayrou werde eine „wichtige Rolle“ in seinem „Regierungsprojekt“ spielen.

Der Graph, der von seinen, wechselweise hohen und niedrigen, Aussichten auf Ämter - um nicht zu sagen Pöstchen - gezeichnet wird, steht exemplarisch für eine ganze Gruppe von Politikern aus dem Umfeld Alain Juppés, die sich, wie in etwa Aurore Bergé, nach und nach Macron anschlossen.

Macron und En Marche! sind nicht revolutionär und messianisch

Gerade Punkt zwei und drei lassen sich, obschon sie gerade unter pathetischem Getöse unterzugehen drohen, sehr gut und klar im Verlauf der Umfragewerte der letzten vier Monate nachvollziehen.

Es ist egal, wie man zu den einzelnen Personen und Parteien steht, eines wird ganz deutlich:

Wenn Macrons Erfolg etwas nicht ist, dann revolutionär oder messianisch.

Er war folglich nie auch nur ansatzweise ein „Anti-Establishmentkandidat“, wie viele glauben machen wollten und noch wollen.

Dass er für den viel beschworenen „Neuanfang“ stehen soll, wirkt beinahe grotesk, wenn man sich anschaut, welche Verquickungen, Wechselwirkungen und Taktierereien zwischen etablierten, langjährigen Akteuren der französischen Spitzenpolitik ihm zur Präsidentschaft verholfen haben.

Auch sollte man nicht vergessen, dass, anders als prognostiziert, nicht Le Pen sondern Macron vom hohen Nichtwähleranteil profitieren konnte.

Mit 25% Nichtwählern und darüber hinaus 9% sogenannte „Votes Blancs“, also absichtlichen und demonstrativen Enthaltungen, wurden am Sonntag Spitzenwerte erreicht, die es seit 38 Jahren nicht mehr gab. Diese 34% entsprechen immerhin 15 Millionen Franzosen.

Man mag dem neuen französischen Präsidenten eine Chance geben, aber man sollte ganz kritisch und genau hinschauen.

Der Heilsbringer, zu dem ihn gerade viele stilisieren wollen, ist er sicher nicht!

Quellen:

- Présidentielle : à Carhaix, En marche ! siphonne le Parti socialiste sur ses terres, LE MONDE, 25.April 2017

- Haine d’Israël : Christophe Castaner, le porte-parole de Macron et probable futur ministre, a soutenu en 2010 les terroristes pro-Hamas du Mavi Marmara, Le Monde Juif, 30. April 2017

- Il vaut mieux voter Fillon que gagner (et déchanter) avec Macron, Huffington Post, 21. April 2017

- Présidentielle: le plan secret de Bayrou, Le Parisien, 15. November 2016

- Bayrou accélère son soutien à Juppé, BFMTV, 25. September 2016

- Macron annonce que Bayrou aura "un rôle important" dans son "projet gouvernemental", RTL, 05. Mai 2017

- Aurore Bergé rejoint la cohorte des anciens juppéistes en marche pour Macron, RTL, 14. Februar 2017

- Présidentielle: record historique pour l’abstention, le vote blanc ou nul, Le Soir, 07. Mai 2017

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