Als ich begann, meinen neuen Roman „Venuswelle“ zu schreiben, war ich mir der Gratwanderung bewusst, die ich damit vollzog. Das brisante Thema: Eine bisexuelle Künstlerin verliebt sich in einen Mann, der auch Frau sein möchte und dies vornehmlich in intimen Stunden. „Wer von meinen LeserInnen möchte sich mit einer so bizarren Liebesgeschichte auseinandersetzen, die jenseits gelebter Alltäglichkeit ist?“, dachte ich anfangs.

Ich hatte zwar viel dazu recherchiert und gearbeitet, zögerte aber lange Zeit, dies zu Papier zu bringen. Nach ConchitasSieg beim Song-Contest reagierte die Welt jedoch überraschend positiv auf Menschen, die es wagen, anders zu sein, die mit einer anderen Identität als der allzu bekannten an die Öffentlichkeit gehen. Und so setzte ich mich endlich hin und begann zu schreiben. Ich erzählte die Geschichte der Fotografin Nina, die in die Lust verliebt ist, von Steve, der ein dunkles Geheimnis hat und Nina verfällt sowie der schwarzgelockten Diva Cindy, Steves Alter Ego, die im Verborgenen lebt. Ihre Geschichte beginnt und endet auf einer Insel im Atlantik.

Bei meiner ersten Lesung auf der Buchmesse in Leipzig war ich sehr aufgeregt. Die ersten Sätze kamen mir wie ein großes Wagnis vor. Während des Lesens schaute ich verstohlen ins Publikum. In der ersten Reihe saß ein Mann, dem das Unbehagen deutlich anzusehen war: Er wusste nicht, wohin er schauen sollte, so peinlich war es ihm scheinbar, hier zu sein. Vermutlich war er knapp davor, aufzustehen und den Saal zu verlassen. Hinter ihm saß wiederum ein Paar, das mit einem aufmerksamen Lächeln der Handlung folgte und mit jedem Satz mitging. Der Rest des Publikums schwankte zwischen Zustimmung und Ablehnung, im Saal war es auf jeden Fall sehr, sehr still - besonders während der Verwandlung Steves in Cindy. Die Leute schienen verlegen. Ich war immer noch unsicher: Ist die Gesellschaft überhaupt bereit für eine Transgender-Romanze?

Dann aber kam in der Pause ein junger Mann auf mich zu. Er war der erste, der ein Buch gekauft hatte und bat um ein Autogramm.

„Für wen ist das Buch?“, fragte ich.

„Es ist für mich“, antwortete er.

„Welchen Namen soll ich hineinschreiben?“

„Andrea.“ Ich glaubte, mich verhört zu haben.

„Für Andreas?“, fragte ich nach.

„Nein, Andrea.“, lächelte er und dann zog er sein Handy aus der Tasche und zeigte mit Bilder von sich – als Frau. Und ich sagte, „diese Fotos sind wunderschön, einfach wunderschön.“ „Ich freue mich schon jetzt aufs Lesen“, antwortete er, „ich weiß, dass mich dieses Buch total glücklich machen wird.“

Nun weiß ich, dass es gut und notwendig war, dass ich diesen Roman geschrieben habe. Für Menschen wie Andrea, die sich trauen, von der Norm abzuweichen und ihre Sexualität frei zu leben. Aber natürlich auch für alle anderen, die keine Scheu davor haben, ihren Horizont, was erotische Literatur betrifft, zu erweitern.

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Herbert Erregger

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Mikra

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fischundfleisch

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