"Hässlicher Afrikaner" titelte 1992 die türkische Tageszeitung 'Hürriyet', der Wut und Enttäuschung einer ganzen Nation scheinbar Ausdruck verleihend. War der Umstand, dass eine der landesweit an Auflagenstärke und Prominenz führenden Gazetten sich zu solch derber Sprache veranlasst sah schlimm genug, so steigerte sich das Ganze, wenn man weiß, dass nicht etwa ein ins Fettnäpfchen getretener Durchschnittsbürger oder afrikanischer Diplomat gemeint war, sondern ausgerechnet eine der Ikonen des schwarzen Widerstandes schlechthin: Kein Geringerer als Nelson Mandela, seines Zeichens international umjubelter, nicht allzu lange aus langjähriger Haft entlassener Freiheitskämpfer, war zur Zielscheibe jener rassistischen Beleidigung geworden. Was war geschehen? Hatte er den Islam verhöhnt? Hatte er es gewagt, die Türkei und Türken zu verunglimpfen? Hatte man ihn, wie es in so manch kolonialistisches Klischee gepasst hätte, am Ende gar des Kannibalismus überführt? Nein, es war noch viel schlimmer (so fürchterlich, dass selbst ich im Hier und Jetzt mich kaum traue, es herniederzuschreiben). Mandela stand im Verdacht, die denkbar schwerste Sünde begangen, das wohl größte Verbrechen überhaupt ausgeübt zu haben: Mandela stand im Verdacht, mit der kurdischen Sache zu sympathisieren -- der Sache einer bekanntlich fiktiven Rasse (welche es wohl als einzige geschafft haben dürfte, trotz Nicht-Existenz mittels Ethnozids bekämpft zu werden). Und das kam so:

Im Jahr 1992 war man auf türkischer Seite darauf erpicht, einen würdigen Träger für den staatlich gesponserten 'Atatürk-Friedenspreis' zu finden. Dieser war 1984 von der Militärjunta eingeführt worden und sollte dem Friedensnobelpreis Konkurrenz machen; so ganz wollte es mit dem ambitionierten Ziel allerdings nicht klappen. Im Ausland wusste man ihn nicht genügend zu würdigen, schien ihn gar bewusst ignorieren zu wollen. Da kam ein Nelson Mandela, dessen Ruhm zu diesem Zeitpunkt noch warm war, ganz recht. Wie sehr würde ein Mann von solchem Format zugleich den Namen des Preises, das Andenken des Staatsvaters beflügeln, ihn in aller Munde bringen! Mandela als Werbeträger, als Ankurbler des Tourismus -- ein Wunschszenario, das offenbar großzügig darüber hinwegsehen ließ, wofür sein Name eigentlich stand. Mit unnützen Recherchen wurden weder Kosten noch Mühen vergeudet. Wozu? Schließlich hatte es für jeden auch nur halbwegs vernünftig denkenden Menschen gefälligst eine große, einmalige Ehre zu sein, von der größten Nation, der glorreichsten, reinblütigsten, tapfersten, edelsten Rasse auf Erden ausgezeichnet zu werden. Vor Dankbarkeit devot im Staube zu kriechen hatte ein jeder auch nur halbwegs vernünftig denkende Mensch ob solcher Zuwendung, vom selbsternannten Herrenmenschen Schwachen gegenüber gnädigerweise ausgeübt! Völlig undenkbar, dass ausgerechnet ein Afrikaner -- ein A-F-R-I-K-A-N-E-R, bitt' Sie, was haben die denn jemals in ihrer Geschichte erreicht -- den geringsten Grund hätte, abzulehnen. Völlig undenkbar. Man trug ihm also den Preis an, gelassen überschwengliche Dankesbotschaften, Tributzahlungen, Anschlusswünsche, weiße Elefanten für den Tiergarten Ankara erwartend. Und das Undenkbare geschah: Mandela lehnte ab.

Ganz Kleinasien war erbost über diese als Affront empfundene Absage, welche nur von seiner Begründung übertroffen wurde, in der er -- behutsam, in diplomatischer Manier gehaltener Wortwahl, aber doch -- auf die wieder einmal katastrophale menschenrechtliche Situation im Preisstifterland anspielte. Einzig die geographische Distanz rettete den Südafrikaner vor dem nun einsetzenden, generell gerne schnell auftretenden Volkszorn, vor Racheakten empörter Patrioten (deren Lieblingsbeschäftigung unverändert darin besteht, lynchmobartig, da staatlichen Rückenwind genießend, auf Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten loszugehen; selbstverständlich nur in entsprechender Überzahl von mindestens 10:1). Schnell hatte man erkannt, wo der Hase im Pfeffer lag, hatte fleißig zwischen den Zeilen des knapp gehaltenen Statements gelesen, gekonnt analysiert und interpretiert: Dieser unverschämte afrikanische Primitivling stand offenbar mit den Kurden im Bunde -- wir erinnern uns, mit staatszersetzenden, mörderischen, nicht-existenten Terroristen, denen man in den 90ern einmal mehr dabei war, den Garaus zu machen -- daher wehte also der Wind (tatsächlich existieren dahingehende solidarische Aussagen). Deswegen das ganze Theater. Deswegen Schlagzeilen wie obige. Da halfen alle Beschwichtigungen nichts, denen zufolge das nur passiert sei, weil man im Südafrika nach der Wende nicht vergessen habe, dass die Türkei unter Premier Özal (Rüstungs-)Geschäfte mit dem geächteten Apartheid-Regime gemacht habe. Sozusagen als kleine, symbolische Revanche. 1999 nahm er ihn dann doch entgegen, irrig Veränderung annehmend, was die Herrenmenschenmentalität seiner orientalischen Gönner betraf.

Als Nelson Mandela Ende 2013 95-jährig starb, widmete man ihm in der Türkei liebevolle, idealisierende Nachrufe en masse. Ebenfalls in diesen Chor stimmte die 'Hürriyet' samt detailreichen biographischen Auszügen mit ein; von der redaktionell inspirierten Lappalie 21 Jahre zuvor war hingegen keinerlei Rede mehr. Völlig undenkbar.

Was die Kurden angeht, so ist ihre Existenz von der türkischen Fachwelt mittlerweile bestätigt worden, wodurch liebevoll gehegte Bemühungen zu ihrer Auslöschung endlich an Fahrt aufnehmen konnten. Zu welch skurrilen Anekdoten die nach wie vor ungelöste Kurdistanfrage außerdem beitrug, davon ein anderes Mal mehr.

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JMorrison

JMorrison bewertete diesen Eintrag 11.01.2016 19:26:11

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