Ein kulturpessimistischer Essay über die Zukunft Europas kann naturgemäß nur unerfreulich sein. Noch weniger erfreulich ist es, dass für so eine Betrachtung keine düsteren Weltuntergangsphantasien notwendig sind, sondern man nur Eins und Eins zusammenzählen und sich sehenden Auges den fassbaren Realitäten widmen muss.

Die abendländische Kultur steht vor ihrem Untergang. Und das Ende dieser Hochkultur wird vom europäischen Kontinent aus beginnen - so wie auch die zivilisatorische Eroberung der Welt einst von Europa ausging. Der Kreis schließt sich. Und nein, es ist nicht (nur) die Islamisierung, die diese Vernichtung bewerkstelligen wird, sondern es ist vor allem auch die kulturelle Degeneration des Westens selbst, die erst die Möglichkeit für den Zerfall eröffnet hat.

Die Medien sind voll von Debatten über die politische Zukunft der EU und die Aussichten für deren Überleben sind vermutlich sehr begrenzt. Aber Europa und die EU werden weniger aus politischen Gründen zerfallen, sondern weil eine innere und bereits bis in die Fundamente reichende kulturelle Erosion sich ständig weiter ausbreitet. Die diversen aktuellen Exit-Szenarien der EU sind nur die leicht erkennbaren und oberflächlichen Phänomene eines viel tieferliegenden destruktiven Prozesses. Den Exit kann man ökonomisch, politisch und rechnerisch darstellen, den Kulturverfall nicht.

Ursächlich für die Dekadenz sind ganz andere Dinge als die schwache und ergebnislose europäische Politik. Bestimmte, bisher als "Werte" bezeichnete und auch so empfundene Entitäten, die man die längste Zeit in Europa und im Westen für die Beweise und Grundsteine des Liberalen, Modernen und Progressiven gehalten hat, sind in Wahrheit die Treiber dieser kulturellen Abwärtsspirale.

Wenn man sie genauer betrachtet, dann kommen einem die meisten dieser modernistischen Werte mittlerweile vor wie die Besen aus Goethes Zauberlehrling. Leider aber lassen sie sich mit dem Spruch "Besen, Besen, seids gewesen" nicht mehr in die Ecke drängen, sie haben sich längst verselbstständigt.

Taxativ seien hier die Triggerfaktoren, die seit der denkwürdigenen sogenannten 68er-Revolution massiv am Wirken sind, angeführt:

Die Gleichstellung der Frau um jeden Preis

Die rigorose und überall leicht verfügbare Geburtenkontrolle durch die Erfindung und Verbreitung der Pille

Die damit zusammenhängende massive Reduktion der Geburtenrate

Die weitgehende Legalisierung bzw. Erleichterung der Abtreibung

Die stetige Propagierung der "Homo-Ehe" und der "Ehe für Alle"

Die überall stattfindende Relativierung und konsekutive Entwertung der klassischen Familie

Die Krise der Bildungssysteme

Alle diese hier genannten Faktoren sind nicht aus den Fingern des Autors gesogene Behauptungen, sondern leicht objektivierbar: Man kann dazu die entsprechenden europäischen Gesetzestexte und Novellen aus den letzten Jahrzehnten nachlesen und man kann mathematische Fakten wie die Geburtenrate und deren Auswirkungen leicht nachrechnen und überprüfen.

Weitere Ursachen der europäischen Dekadenz sind zwar weniger exakt messbar, aber ganz wesentlich am gesamten Verfall mitbeteiligt:

Die Zurückdrängung von traditionellen Eigenschaften wie Patriotismus, Pflicht- und Ehrgefühl, Familiensinn und gegenseitiger Hilfsbereitschaft im subsidiären Bereich

Die Schwächung der christlichen Kirchen

Die Verrechtlichung des Alltages im Sinne der Stärkung der Rechte des Einzelnen

Diese Faktoren führten zur Reduktion der allgemeinen und über alle Zeitläufte natürlichen Pflichten des Individuums und zur Ausdünnung seiner Verantwortlichkeiten. Die Pflichten gehen heute in der staatlichen Kollektivierung auf und sind dort von anonymen, sich als sozial gerierenden Gebilden übernommen werden.

Überhaupt ist das Phänomen, dass die einst personalisierten sozialen Aufgaben (wie zB die Wohltätigkeit und die Sorge um die Angehörigen) heute durch den Sozialstaat gewährleistet werden, paradoxerweise ein wesentlicher Baustein der genannten kulturellen Erosion. Die Enthebung des Einzelnen von seinen natürlichen, traditionell in seiner Familie beheimateten sozialen Pflichten, bringt beim Individuum eine Nanny-State-Mentalität hervor, die letztlich zum totalen Egoismus, zur Abhängigkeit von der stets gut gefüllten staatlichen Mutterbrust und zur Abgabe der eigenen Mündigkeit führt. Die Komfortzone ist eingerichtet, man möge bitte die Leute dort in Ruhe lassen.

Die Bürger verlieren die Fähigkeit der willentlichen Aktivität, das Soziale verkümmert und die sozio-kulturelle Verwüstung nimmt ihren unbarmherzigen Lauf. Man beruft sich auf die Aufklärung und die Säkularisierung, will nichts mehr wissen von Transzendenz und Gott und frönt der individualisierten Beliebigkeit, die man euphemistisch Liberalität nennt. Der Sinn des Lebens ist im Hier und Jetzt auf sich selbst zurückgeworfen und rotiert im Zirkelschluss - ohne Aussicht auf echte Erfüllung. Was zählt, ist der schnelle Kick.

Am Ende dieser Entwicklung stehen Nietzsche`s letzte Menschen, die sich zublinzeln und sagen: "Wir haben das Glück erfunden". Niemand von diesen Menschen will noch regieren, niemand will noch gehorchen, beides ist ihnen zu beschwerlich, so heisst es bei Nietzsche weiter in seiner prophetischen Schrift über Zarathustra.

In diese täglich größer werdende kulturdeprivierte Schneise schlägt nun mit voller Wucht eine mittelalterlich ausgerichtete, dafür aber in ihren Werte-Vorstellungen umso gefestigtere Religion: Der Islam. Europa und der Westen haben dem nichts entgegenzusetzen - außer die ständigen Verweise auf die angeblich so wunderbaren Errungenschaften der Aufklärung und eben unsere europäischen Werte. Blöd nur, dass diese Werte genau jenes Desaster, in das wir nun schlittern, erst ermöglicht haben.

Die Schwäche und die beginnende Agonie des untergehenden Europas wurden und werden von den blinzelnden Meinungsbildnern geflissentlich umgemünzt, sie heißen nun mehr denn je "Toleranz" und "Liberalismus". Das untrennbar mit der immanenten Kraftlosigkeit verbundene und bereits terminale Versagen der Politik auf all ihren Ebenen bekommt von den Euphemistikern aus allen Lagern noch rasch das Mäntelchen der Humanität umgehängt, damit das sterbende Wesen Kultur nicht ganz so nackt zugrunde gehen muss und sich einen - wenn auch geschummelten- Rest an Stolz erhalten darf. Bleibt einem nur zu sagen: Sic transit gloria mundi. Oder, wie es neudeutsch so peppig heisst: "The western decline" - er hat längst begonnen.

Manche werden sich jetzt fragen: Warum malt ein Arzt und Politiker so trostlose Visionen? Einfach erklärt: Gerade der Arzt muss sorgfältig diagnostizieren und den Dingen auf den Grund gehen. Und der ernsthafte Politiker sollte das auch. Denn nur wenn wir die Gründe und die Ursachen für die aktuellen Zustände erkennen, können wir unsere noch bestehenden wenigen Chancen ergreifen und die riesenhafte und bedrohliche Krise in einen Keim der Reconquista umwandeln.

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