Die neue Rechte und das Gewissen der Welt

Offenbar wird alles immer schlimmer: Viele von uns arbeiten sich kaputt, aus Angst durch Arbeitslosigkeit kaputt gemacht zu werden. Einkommen sinken, Mieten steigen, die Wirtschaft kracht, die Umwelt leidet, Kriege lauern sogar schon in Europa und den Regierenden scheint man kaum trauen zu können. Hinzu kommt der Druck, in eben so einer Welt „jemand sein zu müssen“, der auf mehr und mehr Menschen schwer lastet. Krisen auf allen Ebene: Eine aussichtslose Situation? Nicht unbedingt, denn irgendwas verändert sich immer irgendwann. Die Frage ist aber „Was?“ und vor allem „Wer?“ initiiert diese Veränderung?

Fluch und Segen

Krisen stellen vor allem einen Wendepunkt dar. Auch individuell folgt der wiederholten Frustration und Enttäuschung zumeist eine Transformation. In Beziehungen verabschiedet man sich voneinander oder findet neue Wege des Zusammenseins. In einem beruflichen Verhältnis kündigt man oder handelt eine neue Position aus. So auch im Beziehungs-System ganzer Gesellschaften: Je mehr sich Krisen zuspitzen, umso eher treiben sie die Entstehung einer kritischen Masse voran. Dann gehen mehr Menschen auf die Straßen, organisieren sich, beginnen sich als Anspruchsberechtigte wahrzunehmen und klagen jene Faktoren an, die sie als verantwortlich für ihre Missstände wahrnehmen. Darin steckt enormes Potenzial, das sich in alle Richtungen entfalten kann. Wenn der geflügelte Spruch „Es geht uns halt zu gut“ (um etwas an den Missständen zu verändern) an Gültigkeit verliert, entsteht eine brodelnde Atmosphäre mit offenem Ausgang.

Gesellschaftliche Miseren führten auch schon zur Entwicklung extrem zerstörerischer kritischer Massen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts brachten die krisenhaften Umstände ein Regime hervor, dessen Brutalität eine dicke Narbe in unserem Bild von „Menschlichkeit“ hinterlassen hat. Der Nationalsozialismus wurde kaum jemals für möglich gehalten und ist auch gegenwärtig in seinem katastrophalen Ausmaß immer noch schwer zu fassen. Auch wenn nun die uns umgebenden Umstände andere und teils weniger zerrüttete sein mögen, dürfen wir die Lektion aus der Geschichte nicht vergessen. Bis heute ist das nationalsozialistische Gedankengut am Leben, wir haben es weder ganz überwunden, noch ist es so klein, als dass es vernachlässigbar wäre. Im Rückblick beschreibt Stefan Zweig, dass sich der Nationalsozialismus „vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt“ hat, wie man „immer ein bisschen gewartet“ hat, „bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug”.

Maskenparade

Aktuell stehen wir einer sich erneuernden Rechtsextremen gegenüber, die eine Art soziales Make-Over durchläuft. Ihre Mitglieder haben zu großen Teilen die Springerstiefel abgelegt, sich Haare und Bärte wachsen lassen, sich an den Unis inskribiert, Jutebeutel umgehängt oder Unternehmen gegründet. Ihre vielen Gesichter machen sie ob ihrer gewachsenen Anpassungsfähigkeit stärker. Scheinbar friedfertige „Nipster“ (Nazi-Hipster), angebliche Tierrechtler*innen, breitenwirksame „Pegida“-Initiativen oder bürgerlicher auftretende „Identitäre“: Die Rechten gründen eigene oder besetzen bestehende kulturelle Szenen, greifen damit moderne Themenwelten auf und missbrauchen diese für die Verbreitung nationalistischer und rassistischer Ideologien.

In der Außenkommunikation stellen sich viele dieser Kreise gemäßigt dar, behaupten weder rechts noch links zu stehen oder gar apolitisch und ideologiefrei zu sein. Und genau das ist immer ein markantes Kriterium, um berechtigten Verdacht zu schöpfen: Bewegungen, die vorgeben keiner Ideologie verschrieben zu sein, wollen damit immer und ausschließlich eines: Unerkannt Einfluss nehmen. Mit dieser Strategie verschleiern und relativieren politisch Agierende ihre Vorhaben, womit ihre Gesinnung hinter einer Fassade der Harmlosigkeit verschwinden soll. Die Resonanz darauf ist mächtig, weil sie so ihre Zielgruppe um Personen erweitern, die sich andernfalls nie für derartige Bündnisse interessieren würden.

Konjunkturen

Die Gleichzeitigkeit erstarkender gesellschaftlicher Probleme, mit einem Anwachsen gefühlter Einsamkeit und mangelhaftem (weil meist virtuellem) Kontakt zur „Welt da draußen“, ist mitunter explosiv. Dann sind nämlich jene, die sich innerhalb der herrschenden (Miss-)Verhältnisse marginalisiert fühlen, keinen Ausweg aus ihrer Misere sehen und kaum Anschluss- oder Teilhabemöglichkeiten finden, maximal empfänglich für die Köder gefährlicher Ideologien. Die Erfolge von „Pegida“ in Deutschland müssen uns aufhorchen lassen. Der Zulauf, den die FPÖ in Österreich verzeichnet, ebenso. Europaweit gibt es unzählige Beispiele, die das Erstarken der Rechten verzeichnen: die Front National in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, die UKIP in Großbritannien, in Griechenland die neonazistische „Goldene Morgenröte“, die trotz Mordanklage laut Umfragen auf Platz 4 der Beliebtheitsskala rangiert. In Ungarn ist die antisemitische Jobbik auf dem Vormarsch, in Lettland halten Veteranen der Waffen-SS jährlich einen polizeilich geschützte „Gedenkmarsch“ ab und auch in der Ukraine ist der „Rechte Sektor“ aktiv.

Wachsamkeit und die Bildung eines Gegengewichtes sind angebracht. Dazu müssen wir zum ersten die Köder der Rechten, zum zweiten die Fische (also ihre Zielgruppe) und zum dritten den Teich (also die Umstände, die sie unterstützen) identifizieren und ernst nehmen. Weder sind die Missstände auf der Welt, in Europa, Österreich oder unserer Nachbarschaft relativierbar (= der Teich), noch die modernen Erscheinungsformen der Rechten (= die Köder). Gleichsam ist wichtig wahrzunehmen, wer die Menschen sind, die sich zu solchen Bewegungen hingezogen fühlen und warum wir sie nicht aufgeben dürfen (= die Fische) – worauf Políticas im nächsten Beitrag näher eingehen wird. Es gibt sie zwar auch, die Rechtsextremen aus tiefster Überzeugung. Sie stellen aber bei Weitem nicht die Mehrheit der Rechten dar. Eine unserer Chancen ist deshalb jene Menschen zu erkennen, die eigentlich unter den Missständen selbst leiden und nicht ursächlich „rechts“ agieren wollen, jedoch kein anderes Ventil finden. Auch deshalb braucht es eine offene, kooperierende und starke Linke, die wiederum unsere Partizipation benötigt: Um in Zeiten dieser vielen Krisen nicht den zerstörerischen Agitator*innen jenes Machtfeld zu überlassen, auf dem über unser aller Zukunft entschieden wird.

von Elisa Ludwig

Dieser Artikel erschien zuerst auf "Políticas - Die linke Perspektive" unter www.politicas.at und www.facebook.com/politicasblog.

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