Ein „abgesandelter“ Wirtschaftsstandort, nur einen Schritt vom Abgrund entfernt. Bedroht durch mangelnde Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter*innen und unerhörte Forderungen der fetten Gewerkschaften. Bedroht durch Wirtschaftsflüchtlinge, die genug Geld für Schlepper haben, aber sich bei uns eine gute Zeit machen wollen. Bedroht durch Pensionen, unrealistisch hohe Forderungen aus einer vergangenen Epoche, wo es allen besser ging. Kurz: Kriminelle Asylanten, faule Arbeitsverweigerer und gierige Alte. Sie alle missbrauchen den Sozialstaat und wollen ein leistungsfreies Luxusleben auf Kosten der Steuerzahler*innen führen. Die Essenz: Wir werden betrogen! Um unser Geld, um unsere Freiheit, um unser Glück!

Aber Gott sei Dank wird uns ein Ausweg geboten: Weniger Staat, mehr Privat! Mit einem kräftigen “Bürokratie-Abbau”, was soviel heißt wie: Menschen arbeitslos machen. Mit einer “Liberalisierung der Märkte”, was bedeutet: Freies Spiel der Kräfte, wodurch jene mit hoher Finanzkraft ihre Interessen nicht mehr gegen den Willen der Mehrheit erkämpfen müssen. Mit einer “ausgabenseitigen Reduktion”, womit die radikale Kürzung von Sozialleistungen gemeint ist.

Die Lobby des Neoliberalismus

Aber halt: Wer sagt das eigentlich? Wer sind diejenigen, die uns diese Botschaften medial verstärkt ins Ohr brüllen? Die immer neuen Studien über steigende Lohnkosten, sinkende Produktivität, rückläufige Exportquoten, steigende Verschuldung usw. usf. stammen ursprünglich von neoliberalen Thinktanks. Und von ihren Financiers im Hintergrund: Den Superreichen. Die erklärte Aufgabe dieser Pressure Groups ist es, die öffentliche Wahrnehmung in eine Richtung zu lenken, so dass jede*r ihre Botschaft versteht: es gibt einfach kein Geld mehr für den ausufernden Sozialstaat. Und es sind ebendiese Lobbyist*innen des Großkapitals, die unverhohlen eine weitere Ökonomisierung des Staates fordern, die mit tendenziösen Berechnungen die Notwendigkeit einer effizienten öffentlichen Haushaltsführung belegen. Und da wir Effizienz grundsätzlich für sinnvoll halten, weil wir ja auch privat möglichst sparsam agieren wollen, stimmen wir ihnen zu. Wir schlucken die Botschaft und singen mit: “Ja eh, wir müssen was machen”.

Doch die Wahrheit ist eine andere. Man kann einen Staat nicht wie ein Unternehmen führen. Man darf, wenn man noch alle Sinne beisammen hat, die öffentliche Verwaltung nicht mit dem Betreiben einer Autobahn-Raststätte vergleichen. Wir haben uns aus gutem Grund auf eine demokratisch legitimierte, staatliche Verwaltung geeinigt, die einen Teil unserer Arbeitsleistung einbehält um übergeordnete Maßnahmen zu ermöglichen, die uns allen zugute kommen sollen. Welche die Schwächen des Zusammenlebens ausgleicht und Geschwächte in der Not unterstützt. Durch eine Individualisierung der Verantwortlichkeit hingegen, wird das Recht der Stärkeren forciert: Wer mehr Geld hat, hat die bessere Bildung, hat die bessere Gesundheitsversorgung, hat mehr Chancen und hat mehr Privilegien. Und die Mehr-Klassen-Gesellschaft blüht auf.

Die Mär vom Aufstieg

Die verführerischen Glaubenssätze des „American Way of Life“ (vom Tellerwäscher zum Millionär) sorgen dafür, dass wir alle denken tatsächlich die Möglichkeit zu haben, uns etwas aufzubauen, wenn wir uns nur genug anstrengen. Die Realität ist nachweislich eine andere: So gut wie niemand kommt durch einfache Erwerbstätigkeit zu Wohlstand. Dennoch hängen Menschen aller sozialen Gruppen an diesem Versprechen. Und bauen ihrerseits Druck nach Unten auf. Die obere Mittelschicht, also jene, die ein geringfügig besseres Einkommen beziehen als der Durchschnitt, wird so zur Erfüllungsgehilfin der Superreichen und zur unfreiwilligen Mittäterin einer Dynamik der Unterdrückung. Die Eliten bemühen sich dabei, mit Hilfe der von ihnen kontrollierten Medien, den Eindruck zu festigen, dass ein Aufstieg real erreichbar wäre.

Die Karotte vor der Nase oder: Teile und herrsche. Die Logik dahinter: Trenne die Masse in Untergruppen und gib jeder Gruppe einen Grund, die andere irgendwie für bevorteilt zu halten. Die einen sind in dieser Logik faul, die anderen kriminell – jedenfalls agieren alle nur auf sich und den persönlichen Vorteil fokussiert. So erreicht man sehr effizient, ohne hohen Mitteleinsatz also, dass sich das Volk nicht solidarisiert. Mit dem Resultat, dass die wirklich entscheidende Frage nicht gestellt oder sehr schnell abgedreht wird: Wieso besitzen 0,1% der Menschen mehr als die Hälfte des Vermögens? Und wieso wird die Ungleichheit immer größer? Warum nähern wir uns gegenwärtig defacto den Verhältnissen der Feudalzeit? Und wieso macht die Politik nichts dagegen?

Unser System unterstützt nur eine verschwindend kleine Gruppe von Hochvermögenden, die das geraubte Produkt unserer Leistungskraft steuerminimierend dort veranlagt, wo der Staat nicht zugreifen kann (und es vielfach auch nicht möchte). Werden wir uns einer simplen Wahrheit bewusst: Jeder Konzern gehört am Ende einer Handvoll unvorstellbar reicher Menschen, die sich hinter ihren juristischen Personen verstecken und über diese Konstruktion nicht nur Einzelne sondern ganze Staaten in die Knie zwingen können. Es sind diese Konzerne, die Menschen ausbeuten und sich gegen Mindestlöhne wehren. Es sind diese Konzerne, die ihre Arbeit in die Länder des Ostens und Südens auslagern, sobald die staatlichen Subventionen enden. Es sind diese Konzerne, die hierdurch die Preise so niedrig halten können, dass kleine und mittelständische Unternehmen nicht mehr mithalten können. Ergo: Sie sind es tatsächlich, die unsere Wirtschaft ruinieren und auch unseren globalgesellschaftlichen Zusammenhalt erodieren.

Wir müssen uns wehren

Wenn wir uns diesem Kreislauf der Umverteilung von Unten nach Oben nicht entgegenstellen, werden wir innerhalb kürzester Zeit die Auflösung unserer Gesellschaft miterleben. Irgendwann werden nicht mehr nur die Stimmlosen, die Obdachlosen und die Ausländer*innen unter dem Spardiktat und der entmenschlichten Politik leiden, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen. Auch diejenigen, die sich derzeit noch als vermeintliche „Leistungsträger*innen“ und Angehörige der gehobenen Schichten in Sicherheit wiegen (lassen), erkennen spätestens dann: Ihre Mauern können gar nicht hoch genug sein, als dass sie die Frustration und das Elend der Massen nicht erreichen würde. So viele Menschen können die privaten Sicherheitsdienstleister für ihre Zwecke gar nicht rekrutieren, als dass sie nicht die Effekte einer vollends entsolidarisierten Gesellschaft treffen würden.

Wir müssen handeln:

  • Erkennen wir, dass wir alle Eins sind. Und das wir alle Betroffene der Unterdrückung sind, egal mit welchen unterschiedlichen Ausprägungen. Hören wir auf, uns spalten zu lassen, denn diese Spaltung schwächt uns.
  • Verorten wir die Gründe für die ungleiche Verteilung und die daraus resultierenden Ungerechtigkeiten dort, wo sie hingehören: Bei Kapitalismus & Neoliberalismus und seinen Anhänger*innen, Anheizer*innen und echten Profiteur*innen.
  • Beteiligen wir uns an Wahlen und stärken jene Gruppierungen und Personen, die für einen echten Systemwechsel stehen.
  • Ändern wir strukturell die Rahmenbedingungen und Spielregeln – über eine Steuerpolitik, die von allen einen entsprechenden Beitrag einverlangt. Ohne Schlupflöcher und ohne Ausnahmen.
  • Forcieren wir die Etablierung neuer alternativer Modelle – wie jenes der Gemeinwohlökonomie. Für eine Wirtschaft, die das Wohl aller Menschen im Fokus hat, nicht den Profit Einzelner.

von Sebastián Bohrn Mena

Der Artikel ist zunächst auf Políticas erschienen - unter www.facebook.com/politicasblog und www.politicas.at.

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