Der Praterstern ist mittlerweile Wiens berüchtigtster Ort. Sein Vater, der Karlsplatz, ist dafür zu einer wahren Idylle geworden. Eine kurze Geschichte vom Verdrängen.

Ich war mal ein Anrainer. Jemand, der in der Nähe von einem „Hotspot“ lebt, namentlich dem Wiener Karlsplatz, gerne „Karli“ genannt. Der stand ja mal sinnbildlich für die Wiener Drogenszene. Wegen der zentralen Lage, als Knotenpunkt von 3 U-Bahnen (die einzige derartige Station), Straßenbahnen und Bussen, aber auch weil die Grünanlage viele, sehr viele Verstecke geboten hat. Im unteren Bereich der Karlsplatzpassage und im gesamten Parkbereich hatte sie sich eingenistet. In unmittelbarer Nähe zu einer Volksschule, der Technischen Universität und der Oper. Der Stadtverwaltung war das natürlich seit je her ein Dorn im Auge, Touristen bot das kein sonderlich ansehnliches Bild. Der Karlsplatz war weit über seine Grenzen hinaus bekannt. Wenn ich beim Kennenlernen von Menschen aus Wien oder den Bundesländern auf die Fragen nach dem Wohnort mit „beim Karlsplatz“ geantwortet habe, kamen oft bestürzte Blicke. „Ghetto“,„ist ja ur gefährlich dort“, „hast du keine Angst“?

Nein, eigentlich nicht. Das Lesen von Zeitungsberichten und Gesprächen über den Karlsplatz hat mit mehr Sorgen bereitet als die Anwesenheit vor Ort. Bis zum Umsatteln aufs Fahrrad bin ich jeden (Schul-)Tag mindestens zwei Mal vorbeigegangen. Am Wochenende auch oft genug, wie gesagt, der Knotenpunkt schlechthin für die Wiener Linien. Außerdem habe ich den Park intensiv genützt, eine kurze Zeit lang als der vermutlich untalentierteste und -motivierteste Skateboarder der Welt, der mehr rumgesessen als gefahren ist, aber hauptsächlich zum Basketballspielen.

Passiert ist mir in all den Jahren wenig. Vielleicht habe ich das damals auch einfach anders wahrgenommen. Einmal hat sich ein Drogensüchtiger beim McDonald’s unsanft an mir vorbeigedrängt; ich, damals um die 16, reagiere bis heute höchstallergisch auf Vordrängeln und habe ihn entsprechend rüde zurechtgewiesen. Eine aggressive Drohung, mich „abzufeidl’n“ (vulgo: „abzustechen“) war die Folge. Messer habe ich keins gesehen, „Gusch“ war ich trotzdem. Ein anderes Mal haben sich zwei Junkies im Käfig, der damals noch kein Käfig war (übrigens ein architektonischer Fail sondergleichen, wer plant in Wien die Basketball- und Fußballplätze bitte?) meinen Basketball ausgeborgt, was irgendwie unangenehm war, als einer der beiden plötzlich laut „I bliat“ („Ich blute“) ausgerufen hat. Auch zwei ziemlich aggressiven Jugendlichen habe ich mal meinen Ball „geborgt“ (es war denkbar unfreiwillig), als ich ihn zurückhaben wollte, gab es statt Ball einen ziemlich festen Schlag auf den Unterkiefer. Die letzte unangenehme Begegnung war mit zwei zwielichtigen Gestalten in meinem Wohnhaus; auf die Frage, was sie denn da machen, kam ein „wir wortn auf an Freind“ – „wer soll das sein“? – „der Dragan, der wohnt erst seit Kurzem do“ – „ich kenne keinen Dragan und ich kenne alle Hausbewohner hier“ – „na guat, erwischt. Wir rauchn nur an Ofn (eine „Haschzigarette“).“ Angesichts des zunehmend unangenehmen Tonfalls bin ich dann doch von dannen gezogen, als ich vom Einkaufen zurückkam lagen – mal wieder – Spritzen und sonstige Utensilien herum.

Seit ein paar Jahren ist das alles Vergangenheit. Die Stadt Wien wollte den Karlsplatz 2008, vor der EM, und zwei Jahre später noch einmal drogenfrei machen. Die Parkanlage wurde umgestaltet, weniger schwer einsehbare Orte, weniger grün, die ohnehin nie genützten Bänke beim Abgang von der Volksschule zur Passage sind der neuen Polizeistation gewichen. Eine Schutzzone wurde eingeführt. Die Karlsplatzpassage wurde umgestaltet, freundlicher, heller, etwas breiter. Selbst das WC kann man dort mittlerweile bedenkenlos aufsuchen.

Damals wurde davor gewarnt, dass die Drogenszene durch die Verdrängung vom Karlsplatz zersplittert und unüberschaubar wird. Was sich wenig überraschend bewahrheiten sollte, sie hat sich in der Tat nicht aufgelöst, sondern ist weitergezogen. Auch zum Praterstern, auch entlang der U6. Das Problem wurde also nicht behoben, sondern verlagert, vielleicht sogar vergrößert. Wie so oft, ja eigentlich immer, war Symptombekämpfung auch hier einfacher und vor allem schneller möglich. Man hat sich ein Ei gelegt.

So ist der Praterstern der neue Karlsplatz. Hat seinen Platz als berüchtigtster Ort der Stadt eingenommen. Zur Drogenszene kommen Flüchtlinge mit viel Zeit und wenig Perspektiven, Obdachlose, Alkoholiker und Nachtschwärmer. Am Karlsplatz trafen sich hingegen vornehmlich "Giftler", die großteils unter sich geblieben sind und nur das Eine im Sinne hatten; richtig passiert ist ja eigentlich nicht viel, wenn ein Krankenwagen kam – und er kam oft –, lag das eher selten an Schlägereien und Messerstechereien. Ab einer gewissen Uhrzeit war es immer komplett ruhig, während es am Praterstern auch in der Nacht weiter brodelt. Wie unsicher er tatsächlich ist, lässt sich von außen schwer sagen, zumal ich kein Anrainer bin, sondern allenfalls sonntags den BILLA aufsuche oder am Weg zur Praterallee beziehungsweise der Alten Donau vorbeifahre.

Niemand scheint so recht zu wissen, wie es mit dem Praterstern weitergeht. Aber: Wenn ich jetzt von „Maßnahmen“, „Sicherheitstreffen“ und dergleichen lese, ruft das Erinnerungen wach. Fest steht: Selbst wenn dort eines Tages Ruhe einkehren sollte, tritt eben ein anderer Ort an die Stelle vom Praterstern. Dann wird der Karlsplatz zum Urgroßvater, an den sich kaum noch jemand erinnern kann.

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Margaretha G

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