Eigene Geschichte aus der Ferne - Melbourne

11. November. Unser erster Morgen in Melbourne. Nichts kommt mir an diesem Datum bemerkenswert vor. Nichteinmal der Faschingsbeginn fällt mir ein. Tatsächlich nehmen die Australier diesen Tag auch ernster. Es ist Rememberance Day. Der Erste Weltkrieg wurde mit dem Waffenstillstand von Compiègne beendet. In diesem wurde festgelegt, dass alle Kampfhandlungen am elften Tag des elften Monats um elf Uhr enden sollten. Seither wird im Commonwealth am 11. November der Kriegstoten gedacht. All das lerne ich erst einige Stunden später, vermutlich zum zweiten Mal. Als wir am Morgen aus dem Haus gehen, denke ich noch nicht daran. Ich sehe in der Tram rote Blumen an den Sakkos, Blusen und Pullover vieler Menschen, kann sie aber nicht deuten. Noch bin ich fremd in der eigenen Geschichte.

Am Rückweg von der Toorak Road, in der ich nach langer Recherche den einzig brauchbaren Tabakladen Australiens gefunden habe, komme ich zufällig am Shrine of Rememberance vorbei - dem größten Kriegsdenkmal Victorias. Schulkinder, Männer in historischen Offiziers- und Matrosenuniformen, ein Feld roter Plastikblumen mit Gedenkkarten vor dem Gebäude. Ich bin neugierig und trete ein. Im Untergeschoß der eigentlichen Gedenkstätte befindet sich ein Museum, in dem ich mich unschlüssig umschaue. Es ist nach 11 Uhr und die Veranstaltung bereits zu Ende. Die Menschenmenge beginnt sich aufzulösen.

Plötzlich kommt eine ältere Dame auf mich zu - in der Uniform einer Museumswärterin. Ob ich zum ersten Mal hier sei? Ich müsse im Kreis gehen, sagt sie. Gleich links ist alles über den Ersten Weltkrieg zu finden, dann kommt der Zweite Weltkrieg, anschließend alle Kriege danach und am Ende gibt es die Friedenssektion. Ein klares Konzept. Woher ich komme, möchte sie noch wissen. Ich zögere kurz und höre mich dann sagen: "Aus Österreich. Wir haben den Ersten Weltkrieg begonnen." Sie schaut mich eine Weile an, lächelt warmherzig und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter: "Das ist ein schönes Land. Ich habe meinen Sohn dort hingeschickt, damit er Skifahren lernt. Ursprünglich bin ich ja aus Wales." - Ich möchte mich in Zukunft am 11. November an diese kleine Begebenheit erinnern. Mein Rememberance Day.

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irmi

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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