Zwölfter Hauptsatz

Glück ist das einzige

was sich verdoppelt

wenn man es teilt Schweitzer

Das ist ein Spruch für Kalenderblätter, im besten und im doppelten Sinn. Ein Lottogewinn verdoppelt sich nicht, wenn man ihn teilt. Er ist aber auch kein Glück. Wovon Schweitzer ganz offensichtlich genug hatte, daran mangelt es immer mehr Menschen: Lebenssinn. Wer ihn früh fand, für den ist das Leben Glück, das man teilen kann. Wer ihn sucht, für den kann die Suche Abenteuer und Glück sein. Wer nur seine Tage abbummelt und verbringt und verludert, kann kein Glück finden. Zum Glück hat unsere westliche Zivilisation alle existentiellen Probleme gelöst, so dass auch Menschen Lebenssinne haben können, deren unmittelbarer Nutzen für die anderen nicht gleich zu erkennen ist. Nutzen ist ohnehin eine zu kurz gedachte Beurteilung, kein Mensch taugt nichts. Der Reichtum der Gesellschaft zahlt sich für den einzelnen aus. Welches bessere Ziel könnte andererseits eine Gemeinschaft haben, als das Glück jedes einzelnen?

Es scheint sogar die Umkehrung zu stimmen: die Unzufriedenheit, die sich aus dem Weiterwirken fundamentaler, existentieller Probleme ergibt, wird von vielen Betroffenen als Unglück empfunden, dessen Ursachen sie immer wieder außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft suchen, aber selten finden. Gemeinschaften, Gesellschaften und Kulturen unterscheiden sich sicher in vielen Punkten. Aber sie haben doch auch mehr als eine Gemeinsamkeit: das Individuum kann erst aus der Masse heraustreten, wenn es von der unmittelbaren Sorge um das tägliche Brot entbunden ist. Mit leerem Magen kann man weder studieren noch demokratisch denken. Exzesse sind nur erklärbar, weil unglückliche Menschen verführbarer sind: hinter jedem Ende ihres Unglücks vermuten sie das Glück. nur so ist verständlich, dass unglückliche Menschen von einem ins nächste Unglück stürzen.

Streng genommen stimmt das natürlich nicht, denn das Glück eines hungernden Menschen kann ein Stück Brot sein, das Glück eines satten der Verzicht auf ein Stück Brot. Aber diese streng genommene Gedankenführung ist doch reichlich zynisch. Ein Stück Brot ist kein Glück, sondern sollte selbstverständliche Voraussetzung menschlichen Seins sein. Würden wir ein Stück Brot als Glück anerkennen, wäre uns und den Betroffenen die Motivation genommen, für bessere Verhältnisse zu sorgen.

Vater Schweitzer, Mutter Tereza, Bruder King und andere Heilige der Neuzeit sind die Kronzeugen dafür, dass höchstes und höchst teilbares Glück das Wirken für andere ist. Dabei brauchen wir dank dieser Vorbilder keine Heiligen mehr. Heiligkeit ist ja nur ein weiteres Attribut für Güte, Glück und Hoffnung. Das Charisma der Güte bessert uns schon. Der Sozialstaat hat nicht nur die Nehmerseite, die immer beachtet und kritisiert wird, sondern auch die viel größere und schönere Geberseite. Wenn wir uns freuen können, dass alle existentiellen Probleme gelöst wurden, heißt das nichts anders, als dass wir sie gelöst haben. Die bürokratisch-finanztechnische Verschleierung der Güte lässt uns vergessen, dass wir jeden Monat einen Armen speisen und tränken, ihm Obdach und Halt geben. Sobald wir ironisch in diese biblische Sprache verfallen, wird uns klar, dass wir ethische Forderungen höchster Qualität erfüllen. Und das ist nicht etwa nur im christlichen Abendland so, sondern überall dort, wo Wohlstand herrscht. Man kann nur ein Brot teilen, das man hat. Alle Kulturen und ihre Gedankengebäude streben die Güte und das Glück als Ziel an und weisen sie gleichzeitig als Hauptlebensmethodik aus.

Immer wenn von Armut auf der Welt die Rede ist, macht jemand den Vorschlag, dass man doch einfach nur den Reichtum teilen müsste. Das zeigt, dass in allen Menschen dieser Teilungsgedanke tief verwurzelt ist, kulturell implantiert und immer abrufbar. Erst in letzter Zeit ist uns bewusst geworden, dass diese Art von Barmherzigkeit auch eine Abhängigkeit erzeugt, die für den Nehmer weitaus schlimmer ist als Armut, weil sie ihn nämlich lähmt, ohne dass sie sein Problem löst. Jede Problemlösung ist nun einmal dilemmatisch.

Der zweite Sinn des schönen Satzes von Schweitzer, nach dem Welthaushalt, ist der Seelenhaushalt jedes einzelnen. Wenn das Böse nicht substantiell ist, sondern die Auslassung des Guten – und wie wir gesehen haben normalen -, die Summe aller falschen Entscheidungen, dann ist seine Auslassung identisch mit Glück. Das würde einerseits heißen, dass man nur richtige Entscheidungen treffen darf. Davon abgesehen, dass dies wünschenswert wäre, ist es leider Unfug. Es ist so, als wollte man einem Menschen, der vor einer Weggabel steht, raten: ‚Nimm den richtigen Weg‘. Das geht leider nicht. Aber es gibt andererseits viele moralische Handreichungen, die uns zur Verfügung stehen, um das Böse zu meiden, was nur heißt, das Gute nicht zu unterlassen. seit Anbeginn der Menschheit oder des Denkens gibt es Analogerzählungen. Sie ermutigen, es so zu tun, wie der Held der Geschichte, des Bildes oder des Liedes, des Tanzes oder der Trance. Sodann wurden stets gute Geister projiziert, denen wir rechenschaftpflichtig sind. Niemand kann ausmachen, ob wir sie an die Wand gemalt haben oder ob sie da schon vor uns standen. Je weiter sich Kommunikation entwickelt, desto größer wird der berechtigte Glaube, dass es einen Sinn hinter all dem Unsinn gibt. Die Verschwörungstheorien sind übrigens nur die Umkehrung des Urvertrauens, das wir alle nicht nur haben, sondern auch brauchen. Und schließlich kann man sich all das, was jeder Mensch und die Menschheit braucht, auch immer wieder gedanklich erschließen. Dazu gibt es, und hier schließt sich der Kreis, eine Riesenmenge an Daten, wie man heute sagt, die Bibliothek des Guten, bestehend aus Gedanken, Geist und Güte. Man kann das Gute analog aufnehmen, durch die Kunst etwa, oder digital, durch Religion und Philosophie vermittelt. Niemand sollte entscheiden, was besser oder schlechter ist. Unsere Wege sind so vorgeformt, dass sie uns oft und immer öfter als immer schon vorhanden erscheinen. Wir hängen mehr von unseren Eltern ab, als wir glauben wollen. Unser Leben wird, je älter wir werden, desto algorithmischer.

All die Angst vor dem Fremden und vor sich selbst, jeder billige Rachegedanke, durch dessen Ausführung das Böse rein arithmetisch gestärkt wird, jede Rechthaberei und Glaube an Wahrheiten - Religion ist Weg, nicht Wahrheit -, all das führt uns vom Guten, und damit vom Glück weg. Wer böse ist, schadet sich selbst am meisten. Und das gilt natürlich auch umgekehrt: wer gut ist, nutzt sich am meisten. Die Lösung des Allmendedilemmas und gleichzeitig die beste Glücksformel ist: man hilft sich am besten, wenn man anderen hilft.

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robby

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sisterect

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