für Kristallfrau

In Mitteleuropa war es kalt und regnerisch im Sommer 2014, haben mir die Menschen erzählt, die da gewesen sind. In Nordkarelien war es warm, nahezu drei Wochen durchgängig Sonnenschein bei 31 Grad. Es gibt ein Beweisfoto. Und man konnte in T-Shirt und kurzen Hosen herumlaufen, herumradeln, Kanu fahren, Bogen schießen, lesen, schlafen, essen, träumen, die Seele in der Hängematte baumeln lassen und - in die Sauna gehen.

Die Reiseveranstalterinnen heißen „Äksyt Ämmät“, was „verrückte Weiber“ bedeutet, und das ist Absicht, wir haben die „Emäntä“, die Wirtin, gefragt. Das Quartier heißt „Majatalo Pihlajapuu“, was soviel heißt wie „Gasthaus zur Vogelbeere“, und das ist wirklich so, ich habe die Bäume gesehen. Obwohl es eigentlich kein Gashaus ist sondern eine umgebaute Dorfschule mit einer richtigen Turnhalle daneben mit Basketballkorb, Seilen, die von der Decke hängen und Parkettboden.

Das Pihlajapuu in der Salmenkyläntie 81 gehört zum Stadtgebiet von Nurmes, auch wenn es 20 km von Nurmes entfernt liegt. Entfernungen haben in Finnland eine andere Dimension. Braucht man einen Rettungshubschrauber ist es besser von N 63 Grad 28.4340 und E 28 Grad 59.8905 zu sprechen. Denn die Salmenkyläntie (tie heißt Straße) ist lang und das Dorf ist groß, es zieht sich rund um den Viemenenjärvi. Das ist einer von den kleinen Seen der finnischen Seenplatte.

  • August: Helsinki Airport. Arrived.Hotel found.Und es gibt jede Menge salmiakki (Lakritzen) in den verschiedensten Farben und Formen – ich stehe auf Lakritzen – im Supermarkt am Bahnhof. Ich bleibe eine Nacht in Helsinki, weil die Anschlussflüge nach Kuopio eher ungünstig liegen, wenn man aus Wien kommt und ich auf Wartehallen nicht stehe. Ich mache mich auf in die Stadt und suche die Plätze, die in meinem Finnischlehrbuch vorgekommen sind: Die tuomiokirkko (Dom), den kauppatori (Marktplatz), der herrlich am Südhafen liegt. Ich kaufe mir bei einem der Stände der Einfachheit halber Nudeln mit Sauce und lasse mir an einem der Tische die Sonne auf den Kopf scheinen. Gut, dass hier alle englisch können. Mein Finnisch ist erbärmlich. Mein Englisch im übrigen auch, sonst hätte was anderes gegessen.
  • August: Kuopio Airport. Na ja, Kuopio Rollfeld mit Haus daneben trifft die Sache eher. Die Angestellten gehen zwischen den einzelnen Flugzeugen nach Hause! Ich suche eine Möglichkeit meinen Koffer zu verwahren um mir Kuopio anschauen zu können. Chancenlos, auf englisch, finnisch und spanisch. Ich suche nach dem Bus, der in die Stadt fährt. Chancenlos, auf finnisch, englisch und französisch, es ist nämlich Samstag und da fährt kein Bus. Die Pizzeria gegenüber vom Flugfeld hat offen. Sie liegt an einem der – laut Reiseführer – 188.000 Seen. Es gibt herrliche kleine Fische (Muikki) und einen Koch, der deutsch spricht und sich ungeheuer freut, dass er es an mir ausprobieren kann. Er hat fast sieben Stunden lang Zeit. Ein Kleinbus, der mit einem bestimmten Flugzeug aus Helsinki abgestimmt ist, bringt uns zu einem Holzhaus an einer unbefestigten Straße.
  • August: Heute gehen wir an den See. Der Weg dahin ist eher eine Querfeldeinpartie über Wurzeln und Gestrüpp. Dann paddeln wir über den Viemenen. Der ist einen halben Kilometer breit und drei Kilometer lang. Das Kanu wackelt gefährlich. Rundherum Wald und ab und zu einmal ein Haus in einiger Entfernung vom Ufer. „Da drüben legen wir an“, ruft Minna, unsere Emäntä. Und wir legen da drüben an. Das löst ein heftiges Telefonieren aus. Denn „unser Drüben“, war nicht „das Drüben“, das Minna meinte und wir haben Privatgrund erwischt. Das ist nicht gut in Finnland. Aber unsere Minna hat Beziehungen. Das Schwierigste am Kanu fahren ist das ein- und aussteigen vor allem, wenn die beiden im Boot einander nicht kennen. Wird schon noch werden. Am Abend gibt es Elchgulasch und wir lernen den wichtigsten Satz, wenn wir uns verirren sollten: „Missä Minna?“ (Wo ist Minna). Wenn wir das sagen, weiß jeder, dass wir Gäste der verrückten Weiber sind und bringt uns nach Hause. Wir haben es nicht ausprobiert.
  • August: Heute gehen wir Eis essen. Als gelernte Wienerin stelle ich mir unter „Eis essen gehen“ vor, dass ich ein Mal um die Ecke gehe und da ist ein Eissalon mit zwanzig verschiedenen Sorten, die auf ein Stanitzel gepackt werden. In Karelien weit gefehlt. Wir fahren mit dem Fahrrad. Angeblich 3 Kilometer. Gefühlt waren es 30. Denn es geht bergauf und bergab auf Schotterstraßen. Und wenn ich Schwung holen will beim bergab Fahren, dann ist unten eine frisch geschotterte Kurve in der ich das Rad kaum halten kann und bremsen muss. Der Eissalon ist ein Kiosk an der Bundesstraße mit Packerl-Eis, liegt allerdings an einem See mit wunderbarem Ausblick. Zurück können wir entweder den gleichen Weg fahren oder über die Bundesstraße, das ist allerdings drei Mal so weit oder ein bisschen mehr. Ich entscheide mich für die kürzere Strecke und stelle fest, dass es beim Hinfahren offenbar bergab gegangen ist. Zwei Frau hoch schieben wir die Räder über den Berg, den es ja gar nicht geben kann, denn in Finnland gibt es ja keine Berge. Von wegen. Am Abend lernen wir Blumenkohlsalat mit Schimmelkäse kennen. Karfiol, kurz blanchiert, Schimmelkäse, Essig, Öl, fertig. Schmeckt hervorragend.
  • August: Heute machen wir einen Ausflug zu den Kolis. Das sind die höchsten Berge der Gegend. Immerhin ist der Herr Koli 347 Meter hoch. Und man hat eine herrliche Aussicht über den Pielinen See. In der Ebene sind eben auch Zwerge Berge. Aber so mancher  Zwerg hat es in sich, es sind ganz glatte Felsmassive. Ich mag besonders den „bösen Koli“. Das ist der Berg von dem verurteilte Verbrecher runtergestürzt wurden. Haben sie es überlebt, waren sie unschuldig. Wenn nicht, na dann war es eh egal. Übrigens zum Abendessen gab es Muikki mit Kartoffelpüree. Ich habe gedacht das sind Sprotten und die kriegt man auch bei uns im Supermarkt und deswegen keine gekauft. Das war ein Fehler.
  • August: Heute Mittag gibt es hiervi-Bratwurst (Bratwurst vom Rentier). Wir müssen nur selber zum Grillplatz hinfinden. Das geht entweder mit dem Fahrrad um den See herum oder mit dem Kanu. Nach der Eiskioski-Tour entscheide ich mich für’s Kanu, weil von unserem Ufer aus kann man den Grillplatz sehen. Und es gibt hiervi-Bratwurst und Senf. Als einige nach dem Brot fragen oder anderen Beilagen, meint Minna: „Das hättet ihr euch vom Frühstück mitnehmen müssen, wenn ihr so was braucht.“ Am Abend gibt es Hecht in einer weißen Sauce mit Reis dazu.
  • August: Heute fahren wir an den Fluss paddeln. Da durchgehend schönes Wetter war, dürfen wir nicht grillen. Statt dessen gibt es gefülltes Brot, Weißbrot mit gelben Rüben und Schweinebraten gefüllt. „Geh ja nicht in eine finnische Sauna, sonst kannst du in Österreich nie wieder in eine Sauna gehen“, haben mich wohlmeinende und vermeintliche Finnlandkenner und Finnlandkennerinnen gewarnt. Der Ofen wird mit Holz geheizt, das ist anstrengend, weil sich immer jemand finden muss, der nachlegt. Und die Kabinen sind eng. Aber wenn so eine Sauna an einem Fluss liegt, auf dem du zuvor stundenlang gepaddelt bist, dann kann das schon was. Wer hat’s erfunden?
  • August: Heute haben wir einen freien Tag und erkunden die Gegend. Ein finnisches Dorf hat nichts mit dem zu tun, was sich die gelernte Wienerin oder Münchnerin oder Frankfurterin oder Lüneburgerin oder Berlinerin darunter vorstellt. Da gibt es ein Haus, zwei genau gegenüber und dann in einem halben Kilometer entfernt wieder eines. Ein Mal am Tag fährt der Schulbus durch. Ende. Aber das Schönste für mich: Wenn du fragst, ob es auch Pfefferminztee gibt, bekommst du eine Schere in die Hand gedrückt mit den Worten: „Geh hinten hinaus, da wächst sie.“ Zum Abendessen gibt es Heidelbeeren, denn es ist gerade Heidelbeerzeit.
  • August: Heute ist der Tag der Spiele. Zuerst lernen wir Bogenschießen hinter dem Haus. Zwei Zielscheiben werden aufgestellt und wir versuchen das Ziel in 18 Meter Entfernung zu treffen. Jemand kommt auf die Idee, dass zum Bogenschießen eigentlich ein Apfel gehört (nein, es war nicht die Germanistin, es war die Betriebswirtin). Der wird vom Buffet geholt und auf die Zielscheibe gehängt. Wer ihn trifft, darf ihn essen. Ich mag eh keine Äpfel.Nach dem Mittagessen spielen wir Kyykkä und dann Mykää. Diese Spiele können nur Menschen erfinden, die viel Platz und viel Zeit haben. Es werden Spielsteine aufgestellt und die werden mit kleinen Hölzern (Mykää) und mit großen Keulen (Kyykkä) umgeworfen.
  • August: Heute paddeln wir auf dem Pielinen. Da fühlt sich das Kanu schon um ein Stück unsicherer an als auf unserem kleinen vieminen-See. Wir liegen an einem menschenleeren Strand, denn die Schule hat bereits wieder begonnen. Und mein Versuch in ein Kajak zu steigen scheitert kläglich und kostet ein Paddel, das mein Gewicht einfach nicht ausgehalten hat.
  • August: Heute ist kultureller Tag. Wir machen einen Ausflug zum Bomba Haus, einem alten karelischen Haus, das mittlerweile ein Hotel ist. Die lange Geschichte habe ich vergessen aber, dass karelische Häuser Balkone haben, die man nicht betreten kann, habe ich mir gemerkt. Sie sind einfach da um Wohlstand zu dokumentieren. Nach dem Besuch einer ganz kleinen orthodoxen Kirche geht es zu Fuß nach Nurmes und zum Mittagessen in ein Kaffeehaus. Es gibt Käsekuchen mit Zwiebel. Schmeckt gut. Eigentlich sind sie alle gleich, die Städte der Welt. Die Einkaufsstraßen, die Kirchen, die Prunkgebäude, die sie uns zeigen. Und manche haben mehr davon, wie die Römer oder die Venezianer oder die Wiener und mache haben wenige davon, wie die Menschen in Helsinki oder Nurmes. Aber nach 10 Tagen in der komerzfreien Wildnis kann ich den Kaufrausch meiner Mitreisenden sogar ein wenig nachvollziehen und kaufe salmiakki in den unterschiedlichsten Ausprägungen und ein Kaffeehäferl auf dem Emäntä neben dem Kopf der Mutter aus „Wickie und die starken Männer“ steht, das beim Schreiben jetzt mit Kräutertee gefüllt neben mir steht.
  • August: Heute schüttet es. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Vom gegenüber liegenden Haus fällt ein zwei Meter breiter Wasserfall. Ich habe argentinischen Regen erlebt, ich habe kanarischen Regen erlebt, in Finnland ist es die doppelte Menge Wasser, die da vom Himmel kommt. Aber wen kümmert es. Wir haben eine riesige Turnhalle, in der ich mich stundenlang im Bogenschießen übe und ein Tag faulenzen schaden auch nicht. Ich muss ohnehin noch mein Buch fertig lesen. Aber dafür können wir morgen sicher grillen!
  • August: Heute machen wir einen Ausflug ins Naturschutzgebiet Raesärkät. Es sieht dort genau so aus, wie auf den Ansichtskarten, es ist echt nahezu kitschig. Kilometerweit moorige Landschaft, Wald, See in den verschiedensten Blau- und Grüntönen mit netten Wölkchen am Himmel. Es braucht zwei Freiwillige, die das Feuer für das Knackwurstgrillen machen. Ich bin bei den Freiwilligen, denn ich habe zu Hause einen Kachelofen, also kann ich Feuer machen. Habe ich geglaubt. Das Holz gibt es in einer Hütte. Allein, man muss es noch hacken. Ich bin kläglich gescheitert und habe mich zum Heidelbeerpflücken zurückgezogen. Die zweite Freiwillige, eine Lehrerin aus Bremen konnte Holz hacken. Wir haben – also gut, SIE HAT – das Feuer in Gang gekriegt. Mir ist geblieben die Würste einzuschneiden. Ich habe aber nicht einfach Schnitte gemacht sondern die Anfangsbuchstaben der Vornamen jeder einzelnen in die Wurst geschnitten. Ist doch auch was!
  • August: Hei, hei, auf Wiedersehen – ich denke es wird ein Wiedersehen geben.

Für Interessierte: http://www.aksytammat.fi/de/home/

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