Jesolo, Via Dante Alighieri

CAFÉ, wo der liebe junge Kellner ist, und sie Zigaretten auch haben.

„Das beste Eis machen die Italiener, da kannst du sagen was du willst!“, sagt meine Frau. „Ja, Schatzi, genau so ist es.“ Meine Frau schleckt Eis und schaut in die Sonne. Das ist der Weltfrieden. „Warst du mit einer anderen Frau auch schon hier?“ Das ist der Weltkrieg. „Ja … also nicht genau da, weiter oben, ist schon ewig lang her.“ Meine Frau isst jetzt das Eis in der Tüte mit dem Kaffeelöfferl. Ein schönes, altes, offenes, amerikanisches Auto fährt vorbei. „Schau!“, sagt meine Frau. Ich schau. Jetzt bräuchte meine Frau eine Serviette. Jetzt ist es ihr in der Sonne fast ein bisschen zu heiß. Jetzt will sie erst in Österreich volltanken. Jetzt will sie wissen, was ich heute Abend esse. Jetzt trinkt sie Wasser und summt. Wenn meine Frau summt, denke ich immer an Tretminen.

‚Via delle Meduse‘, lese ich schräg vis à vis. Na ja. Eine Obdachlose geht vorbei, auf ihrer Plastiktasche steht ‚ambiente‘. Sie hat schmutzige Füße und gold lackierte Zehennägel. Das werde ich als Bild der Lagune im Bauch mitnehmen. Ich schreibe neben meiner Frau, das ist wie stricken in einem Ameisenhaufen. Meine Frau kann in einer Minute mehr herumwetzen als 100 Pfadfinder in einer Woche in Alt-Nagelberg. Dann will sie nur ganz kurz etwas wissen. Jetzt geht sie einstweilen was besorgen. Ich tauche auf, atme ein – und nach fünf Minuten geht sie mir ab. Je solo desto … genau. Ich suche etwas in meiner rechten Handfläche, finde aber nichts. Ich trinke den kalten Cappuccino meiner Frau. Es schmeckt so gut wie sonst nichts auf dieser Welt.

Meine Frau ist eine Hexe. Und schon wieder da. Sie hat den Impfpass vom Kater mit, nicht den vom Hund. So ist das Leben. „Ah nein, ist eh alles drinnen.“ So ist meine Frau. Wenn meine Frau in ihrer Handtasche etwas sucht, ist das lauter als der Angriff auf Pearl Harbor. Das ist meiner Frau aber wurscht. Eine wunderschöne Italienerin um die 55 setzt sich mit ihrem Mann und einem zweiten Pärchen an den Nebentisch. Sie ist blond und schaut aus wie eine AMG-Version von Nadja Tiller. Meine Frau summt auch schon lauter. Wir haben beschlossen, dass wir heute beide ‚linguine aglio olio peperoncino‘ essen werden. Meine Frau mit Parmesan, ich mit Nadja Tiller.

Es ist 17 Uhr 36. Vor einem Schuhgeschäft küssen sich drei Menschen zur Begrüßung und streicheln einen kleinen Hund. Ein Knie fährt auf einem Fahrrad vorbei. Schuhe klackern. Ein Motorrad. Die Geräusche und die Stimmen laufen ineinander wie eine CIRQUE DU SOLEIL-Choreographie. Meine Frau summt und wippt dagegen. Jetzt gähnt sie und schaut auf die Uhr. Ein Rollladen wird laut hochgezogen. Ein kleines, dickes Mädchen geht mit Mutter und Großmutter vorbei. Kanaldeckel unter Autoreifen. Die Hand meiner Frau in ihren Haaren.

Niemand kann so gut Italiener spielen wie die Italiener. Niemand kann leise so viel Lärm machen wie meine Frau. Meine Frau ist am ruhigsten, wenn sie laut schreit. Ein Staubsauger ist ganz nahe leiser als im Nebenzimmer. Eine rosa gekleidete Negerin durchschreitet den Kongo und überquert die Straße. Die Pflastersteine schmiegen sich an ihre Füße. Ich werde die Worte Neger und Negerin nicht aufgeben, solange ich atmen kann. Meine Mutter hat es mir erlaubt. Zur Belohnung geht ein schwangerer Busen vorbei. So Busen und so schwanger und so blau-weiß-quergestreift, dass mir schwindlig wird.

Als käme die Rechnung, schreit zwei Tische weiter ein kleines Kind. Die junge Leopardenmutter wiegt das Kleine sachte auf und ab und macht: „Sch, sch, sch…“ Auf meinem Schreibheft liegt ein blondes Haar, Nadja Tiller ist weg. Alles, was schön ist, tut beim Schreiben furchtbar weh, man hat immer das Gefühl, es nicht weitergeben zu können. Alles schreit im Bauch, und die Feder wird zur Leopardenmutter.

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