Zur sehr deutschen Rezeption von "Dresden 2016" – „Unpatriotisch!“, „Einigkeit und Recht und Freiheit – nicht Spaltung!“, „Eskalation in Dresden“, „Pöbeleien bei Einheitsfeier“

Was war passiert?

Letzter Montag war Feiertag, der der deutschen Einheit.

Und da wurde die zur Teilnahme an den begleitenden Feierlichkeiten nach Dresden gereiste deutsche Staatselite dort unbotmässig empfangen. Von wenigen hundert Demonstranten. “Haut ab!“, „Lügenpack!“, „Merkel muss weg!“ und, vereinzelt, „Volksverräter!“ ist das, was dazu nachzuhören und -lesen ist. Trillerpfeifen gab es auch. Eine ihren Gemahl begleitende Ministergattin brach darob in Tränen aus, und Herr Lammert beschwor dann in seiner Rede die „Mindestanforderungen an die Zivilisation“.

Nein, hier jetzt nicht Brecht.

Erstens kennt es jeder, das Bonmot von der armen Regierung, die sich doch besser ein neues Volk wählen möge.

Und zweitens war es in Dresden nicht „das“ Volk, welches die schönen Feierlichkeiten gestört hatte.

Sondern gerademal ein Teil davon, und auch bestimmt nicht der sympathischste.

Und doch stellt sich die Frage:

Warum die Aufregung?

Wieso das fast unisono „staatstragende“ Echo auf dieses Ereignis der "Majestätsbeleidigung" in den Medien?

Früher warf man zu Kaisers Geburtstag die Hüte in die Luft, und wessen Hut nicht hoch genug flog, oder wer gar abseits stand, lief Gefahr, als Vaterlandsverräter zu gelten.

Dass das Volk, also "die da unten“, ob als ganzes oder Teile davon ehrerbietig mit "denen da oben“ umzugehen hätten, ist guter deutscher Ton.

Und wenn es doch mal zu Ausreissern kam, suchte man baldigst pflichtschuldig um Genugtuung nach:

So änderte die bis dato „Kastanienallee“ in Düsseldorf ihren Namen in „Königsallee“ zu Ehren des selbigen, nachdem 1848 ebendort mit Pferdeäpfeln nach dem preussischen König geworfen worden war.

Nichts liegt mir ferner, als die paar Hundert „Pöbler“ von Dresden als Widerständler zu verklären oder in den Rang von Freiheitskämpfern zu heben.

Trotzdem nochmal die Frage, was denn an „Dresden 2016“ so schlimm war. Das Gejammer darüber erscheint mir doch recht deutsch.

In einer Demokratie sollten „die da oben“ die Zumutung aushalten können, nicht von Allen geliebt zu werden.

Drohungen gegen Leib und Leben sind eine Sache, die Äusserung des Wunsches, man solle abhauen, eine ganz andere. Wieso sollten/müssten Politiker vor letzterem von vornherein geschützt werden (müssen)? Auch wenn die, die so ihre Abneigung und Antipathie kundtun, nicht immer die Hellsten und Sympathischsten sind.

Und selbst, wenn sie sich in der Annahme wähnen, sie seien „das“ Volk…

Genau dazu in SWR2: „Kampfbegriff mit Vorgeschichte: Wir sind das Volk — Wer ist das Volk?“ www.swr.de/swr2/programm/sendungen/journal/wir-sind-das-volk-wer-ist-das-volk-kampfbegriff-mit-vorgeschichte/-/id=659282/did=18261660/nid=659282/11uwe5w/index.html

Ein leider sehr treffendes, exemplarisches Beispiel zum dümmst-möglichen Umgang mit dem Problem.

Gregor Papsch versteigt sich dort ab 4:25:

„Der Begriff Volk erscheint doch eigentlich antiquiert. Das denken wir zumindest. Seit 1945 scheint er ja endgültig diskreditiert zu sein. Warum erlebt er gerade jetzt sein Comeback?“

Haben wir richtig gehört, Herr Papsch? „Volk“ ist „bäh“, weil einem die Konnotierung, mit der dieses Wort heute oft in Anschlag gebracht wird, nicht gefällt? Die aus einer solchen Haltung sprechende Ignoranz und Geschichtsvergessenheit eines Journalisten, immerhin bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, ist schon erstaunlich. Insinuiert sie doch, dass der Gebrauch des Begriffes „Volk“ den, der ihn benutzt, als antiquiert oder, weil nach 1945, als sich selbst diskreditierend erscheinen lässt.

Schaumermal.

— Es gab Zeiten, da wurden die ersten Artikel des Grundgesetzes noch auswendig gelernt.

Selbst der, der das nicht musste oder das Gelernte im Detail wieder vergessen hat, weiss eines:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Art. 20). Ob dem nun (immer) so ist oder nicht, zumindestens als Verpflichtung wird klargestellt, wer der Souverän ist: Das Volk. Wer denn sonst, Herr Papsch?

— „Dresden 2016“ fand ja als Feier eines Ereignisses statt, das allerorten als „friedliche Revolution“ gehyped wird, als etwas, was eben nur Deutsche so toll hinkriegen können…..Was bitteschön, Herr Papsch, war denn die Parole, die den Untergang der DDR begleitete? „Freiheit“, „Selbstbestimmung“? Oder doch: „Wir sind das Volk“? Schon mal gehört?

„Ihr seid das Volk, ich bin Volker“, so der flapsig-hilflose Spruch auf Seiten derer, die schon früh spürten, dass es von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind das Volk“ bei viel zu vielen nicht sehr weit sein würde.

Trotzdem ginge es völlig an der Realität vorbei, wenn man „Volk“ als von vornherein „rechts“ einordnen — und daher am besten gleich „entsorgen“ wollte.

Probe auf`s Exempel?

„Zionistischer Genozid am palästinensischen ….“

„Freiheitskampf der …. des Trikont“

„Sieg im …. krieg!“

Poetisch verklärte Che Guevara die Solidarität zur „Zärtlichkeit der …. “. Wer, etwas prosaischer, der DKP nahestand, las die „Deutsche …. Zeitung“, wer`s dagegen mit dem KBW hielt, die „Kommunistische …. Zeitung“.

Alles vielbemühte und vielverwendete genuin „linke“ oder linke Parolen und Begriffe. Überlebt haben davon nicht allzuviele, ausser der ersten natürlich: Dissen von Israel als jüdischem Staat ist immer aktuell. Trotzdem: Wer in die Leerstellen jeweils „Volk“, ggfs. im Plural eingesetzt hat, der hat alles richtig gemacht.

Man wird das „Volk“ also nicht dadurch los, dass man es bequemerweise als von vornherein „rechts“ verteufelt.

Und „il populo“ (avanti populo!) und „le peuple“("Die Freiheit führt das Volk an";) nicht, und "el pueblo (unido)" schon gar nicht…

Wenn nun eine Frau Petry meint den Begriff „völkisch“ aus dem sprachlichen Giftschrank „befreien“ zu müssen, dann wird sie dabei wenig Spass haben:

dieses Wort ist mausetot.

Deswegen aber gleich das „Volk“ totschlagen / in eben den sprachlichen Giftschrank mit einsperren zu wollen, mag zwar als bequem erscheinen, ist aber völlig kontraproduktiv.

Wie wäre es denn, wenn man sich statt solchem „Aus der Sprache, aus dem Sinn“ daran machen würde zu versuchen, das „Volk“ von denen zurückzugewinnen, die es von links geklaut haben?

Avanti populo!

PS: Bleibt zum Schluss die Frage, wieso immer wieder, und wieso immer wieder vor allem im Osten die gefühlte Notwendigkeit, "denen da oben" die Legitimität absprechen zu müssen und stattdessen sich selbst als die Vorhut des "eigentlichen" Volkes bzw. Vollstrecker dessen "eigentlichen" Willens zu sehen und zu gerieren? Nach der Euphorie von `89 kam die Übernahme `90: Das Volk, weder im Westen noch im Osten, hatte die geringste Chance erhalten, über seine "Verfasstheit" mitzubestimmen.

"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

Kein utopisches Ansinnen von Spinnern, die von Realpolitik keine Ahnung hätten, sondern der Wortlaut von Art. 146, immerhin GG...

Realisiert worden ist davon nur der erste Teil: das GG gilt in der Tat für das (inzwischen gar nicht mehr so) "neue" Deutschland.

Von der Verfassung, "die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist", war nie (wieder) die Rede.

Und über mehr als absehbare Zeit hinaus wird davon auch nie wieder die Rede sein.

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Matt Elger

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Margaretha G

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