Während meiner Ausbildung zum Seniorenanimateur stellte sich schnell heraus, welche Schwerpunkte für mich in der Arbeit mit alten Menschen in Frage kamen. Biographiearbeit und in weiterer Folge Seniorentheater beschäftigten mich über viele Wochen. Ich überlegte mir, ein Filmprojekt umzusetzen. Hierfür galt es, alte Menschen zu finden, die gerne über ihr Leben erzählen wollten.

Es war ein großes Glück, dass ein guter Freund von mir ein glänzender Kameramann ist. Seine Mutter lebte schon seit einigen Jahren in einem Seniorenheim. Hier setzte ich an. Zusammen mit einer Kollegin konzentrierte ich mich darauf, alte Menschen mit ihren Erinnerungen in Kontakt zu bringen. Nach anfänglicher Skepsis uns gegenüber sprudelte es nur so aus den alten Menschen heraus. Im Vorfeld der Dreharbeiten gab es einige wunderschöne Stunden, wo sich herauskristallisierte, worüber die alten Menschen gerne vor der Kamera erzählen wollten.

Der Film ist fantastisch. Die alten Menschen erzählen mit so viel Energie und Freude! Und es ist ihnen anzusehen, dass sie gerne mal im Mittelpunkt stehen. Ich habe die Dokumentation authentisches Theater genannt. Das trifft es ziemlich genau. Erst nach den Dreharbeiten habe ich herausgefunden, dass es diesen Begriff sogar schon gab, also nicht von mir „erfunden“ worden ist. Doch Seniorentheater und Erinnerungstheater sind weitere Möglichkeiten, das Kind beim Namen zu nennen.

Ich habe nach meiner Ausbildung mit vielen Menschen gesprochen, die einen Bezug zum Seniorentheater haben. Darunter eine Dame, deren Diplomarbeit sich der Thematik widmete. Freilich habe ich so gut wie allen mir bekannten Seniorenheimen sowie Tageszentren und Pensionistenverbänden mein Konzept geschickt, ohne ins Detail zu gehen. Ein Konzept, Seniorentheater zu etablieren. In manchen Ländern ist Seniorentheater durchaus schon fester Bestandteil der Kultur, in anderen Ländern passiert wenig. Österreich gehört zur zweiten Gruppe.

Es gibt immer wieder Projekte von Einzelpersonen oder Theatergruppen, die auch im Bereich des Seniorentheaters arbeiten oder gearbeitet haben. Doch gibt es keine Regelmäßigkeit und nur vereinzelte Angebote für Seniorinnen und Senioren, ihre Erinnerungen auf einer Bühne zu präsentieren. Diese Bühne muss gar nicht mal unbedingt ein „klassisches“ Theater, es kann genau so ein Veranstaltungssaal in einem Seniorenheim sein. Aber selbst die angeblich „progressivsten“ Seniorenheime ließen nicht von sich hören oder fanden die Idee eines Seniorentheaters möglicherweise wenig zielführend. Dabei sind es gerade die Erinnerungen, die bei so gut wie allen alten Menschen besonders lebendig sind. Wann immer ich mir den Film ansehe, frage ich mich, was aus diesen wunderbaren Menschen geworden ist. Für ein paar Tage haben sie aus dem Vollen schöpfen können.

Biographiearbeit und deren künstlerisch wertvollste Ausprägung, also das Seniorentheater, sollten einen Stellenwert in der österreichischen Kulturszene erhalten. Allein kann ich nichts aus dem Hut zaubern. Eine andere Idee, die in eine ganz ähnliche Richtung geht, habe ich stets im Hinterkopf, aber es ist schwer vorhersehbar, ob sie sich irgendwann verwirklichen lässt. Ich wäre ein sehr engagierter Seniorenanimateur, wenn man mir die Chance gäbe, mich zu beweisen. Mir ginge es darum, den alten Menschen von Mensch zu Mensch zu begegnen und sie nicht ausschließlich in Gruppen malen, basteln, singen, turnen oder spielen zu lassen. Seniorentheater ermöglicht alten Menschen, SOWOHL einander in kleinen Gruppen zu begegnen und sich auszutauschen ALS AUCH mit mir in Einzelgesprächen nach ihren Erinnerungsschätzen zu tauchen. Diese ganz persönliche Wertschätzung scheint mir unendlich wichtig zu sein.

Seniorentheater kann alte Menschen neu aufblühen lassen, davon bin ich überzeugt. Doch Geld ist hierfür – so scheint´s – keines da. So gut könnte ein Konzept gar nicht sein. Ich bin jederzeit bereit, in diesem Kontext tätig zu werden, wenn wer bereit ist, dieses Abenteuer zu unterstützen.

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