Juncker hat eine EU-Armee vorgeschlagen. Meiner Meinung nach eine gute Idee - denn Europa muss unbedingt mehr zusammenarbeiten. Nicht nur in Sachen Sicherheit.

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Die Europäische Union steht oft in der Kritik. Oft ist diese Kritik polemisch und basiert nicht auf Fakten. Es wird nicht alles teurer, weil, sondern obwohl wir den Euro haben - Studien streiten sich eher darüber, ob der Euro ein eindeutiger Gewinn oder nur kein Verlust für die österreichische Wirtschaft war.

Ein Argument, das in Diskussionen rund um die EU auch von mir immer wieder gebracht wird, ist das Friedensargument. Manche mögen da lachen, bei den ganzen bewaffneten Konflikten und vier offiziellen Kriegen, die es gerade gibt. Aber zumindest die Mitgliedsstaaten der EU haben Frieden, seit sie dabei sind.

Währenddessen tut sich aber Einiges in Nicht-EU-Europa. Und damit meine ich nicht nur den Ukraine-Konflikt. Auch in Mazedonien wurde jüngst bekannt, dass die (von Russland unterstützte) Regierung sich die Medien, Polizei und Justiz quasi einverleibt hat. Die Opposition um den Sozialdemokraten Zoran Zaev veröffentlicht Stück für Stück Abhörprotokolle, die strukturelle Korruption auf allen Ebenen bestätigen. Dabei soll zum Beispiel die Polizeiministerin in einem Telefonat davon gesprochen haben, Sozialdemokraten aus der Verwaltung zu entfernen. Der Wortlaut: "Die werden nirgendwo mehr arbeiten. Wir sollten alles reinigen."

Und auch sonst ist nicht alles gut in Europa. Großbritannien verliert unter David Cameron an internationalem Gewicht, wie jetzt sogar schon britische Medien verkünden. Die Angst vor dem Terror ist nach Paris und Kopenhagen immer noch groß - und auch in Wien mehren sich gefühlsmäßig die Bombendrohungen.

Und nun stößt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wieder den Gedanken an, eine EU-Armee zu schaffen.

Die Empörung von allen Seiten ist groß und geht über die üblichen polemischen EU-Kritiker und Schilling-Nostalgiker weit hinaus. Dabei frage ich mich: Was spräche ernsthaft dagegen?

Wenn wir uns darauf einigen können, dass ein vereintes Europa generell eine gute Idee ist, kann man zumindest darüber reden. Dabei kann man ruhig hinzufügen, dass man die EU "in dieser Form" ablehnt, was auch ein häufiges Argument gemäßigter Freiheitlicher ist. Sie fordern oft ein "föderales Europa der Nationalstaaten" mit mehr Souveränität für die Einzelnen - und ihr Grundargument ist, dass die EU uns etwas wegnehme, ohne viel für uns zu leisten.

Und es stimmt: Die forcierte Zusammenarbeit der EU-Länder macht sich nicht immer positiv bemerkbar. Gut, wir können nun auch ausländische Raser bestrafen dank grenzübergreifender Verfolgung. Aber wir regulieren auch Glühbirnen, Staubsauger, Kaffeemaschinen und Gurken. (Fun Fact: Die Gurkenkrümmung stammt ursprünglich aus Österreich und wurde erst später zur EU-Richtlinie.)

Ja, die EU muss sich deutlich umdefinieren. Sie kann sich nicht mehr nur auf Friedensschaffung und Verordnungen kleiner bis mittlerer Natur beschränken.

Eher muss sie aktiv Frieden sichern - eine gemeinsame EU-Armee schafft mehr Sicherheit und fördert die Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaaten. Der Aufwand wäre auf Dauer vermutlich nicht viel höher - denn jetzt schon werden alle sechs Monate die "EU-Battlegroups" neu aufgestellt, um für den Notfall innerhalb von fünf Tagen ein Minimum an Truppen bereitzustellen.

Gerade jetzt führt Litauen aus Angst vor Russland die Wehrpflicht wieder ein, um im Notfall zumindest drei Tage auf die NATO warten zu können. Die Battlegroups werden da gar nicht erwähnt. Eine EU-Armee würde hier eine zusätzliche Sicherheit und eine weitere Abschreckung gegen alle potentiellen Aggressoren bedeuten. Und sie wäre vermutlich effizienter und könnte wenigstens langfristig geplant werden.

Wie sich das mit der österreichischen Neutralität versteht? Gar nicht. Genauso wie österreichische Truppen im Libanon, im Kosovo und in Bosnien. Genauso wie die sündhaft teuren Eurofighter. Genauso wie die eindeutige Positionierung in internationalen Konflikten. Das alles halte ich nicht für verwerflich, sondern für wichtig - dennoch ist die Neutralität, diese heilige Kuh in Österreich, schon lange tot.

Selbstverständlich löst eine EU-Armee an sich keine Probleme. Aber ein echtes, vereintes Europa sollte sich zu mehr Zusammenarbeit bekennen - übrigens auch im Bereich Migration, wo Italien nach wie vor im Stich gelassen wird. Oder in Sachen Nachbarschaftspolitik - denn es ist nicht so, dass uns die Missstände im Kosovo, in Mazedonien oder in der Ukraine nichts angehen würden.

Eine echte Kooperation in wesentlichen Politikbereichen würde nicht nur effizientere Politik für die Nationalstaaten bedeuten und den europäischen Gedanken stärken - sie würde auch endlich den Schilling-Nostalgikern den Wind aus den Segeln nehmen, wenn sie meinen, die EU sei nichts als Gurkenkrümmung.

Wie seht ihr das Thema EU-Armee? Was spricht ernsthaft dagegen?

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Herbert Erregger

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