Halleluja, es ist passiert. Österreich hat einen neuen Bundeskanzler. Und was für einen! Christian Kern, gerade eben noch Chef der Österreichischen Bundesbahnen, begeistert Politiker und Journalisten gleichermaßen. In seinem ZIB2-Interview – und ja, es ist was Besonderes, den Bundeskanzler in einem Fernsehstudio zu sehen – und in der Pressekonferenz nach der Angelobung sprach Kern aus, was viele dachten: Der bisherige Politikstil kotzt die Leute ziemlich an.

„Kern hat verstanden. Und jetzt: An die Arbeit“ titelt Georg Renner in der aktuellen NZZ.at. Das Gefühl haben gerade viele Beobachter. Es tut gut, jemanden zu haben, der zumindest nicht dieselben Fehler wie Faymann machen dürfte – sich am Boulevard klammern, die Schuld für den Stillstand auf andere schieben, fehlendes außenpolitisches Engagement, etc. Aber wir haben halt nichts davon, wenn der neue Kanzler nicht liefert.

Ich glaube allerdings nicht, dass daraus wirklich was wird.

Nicht, weil ich Kern keine Chance geben möchte oder aus Prinzip sudern will. Es gibt aber ein paar strukturelle Probleme in Österreich, die sich durch einen (dennoch dringend notwendigen) Kanzlerwechsel nicht in Luft aufgelöst haben. Das sind im Wesentlichen die Konservativen und das fehlende Geld.

Die Konservativen

Mit den Konservativen meine ich allerdings nicht nur die ÖVP – auf die komme ich gleich zu sprechen. Generell ist mein Eindruck der, dass wir es in Österreich mit einer konservativen Mehrheit zu tun haben anstatt mit einer progressiven (oder gar liberalen). Ich verwende diese Begriffe, weil ich „links“ und „rechts“ für zu unscharf und ideologisch aufgeladen halte.

Warum das ein Problem für Christian Kern ist? Wegen Reformen. Konservative – und in Österreich gibt es sehr viele Menschen, auf die das zutrifft – fürchten sich zum Beispiel schon eher vor den „ideologisch motivierten“ Reformen, die die SPÖ in vielen Bereichen vorschlägt. Mit Vermögenssteuern fühlen sie sich im Traum vom Millionärsdasein bedroht, die Ganztagsschule sei etwas „Indoktrinierendes“ und brauche man sowieso nicht. Auch bei der Debatte um die Abschaffung der Wehrpflicht zeigte sich, dass eine große Mehrheit in Österreich nicht unbedingt für progressive Inhalte zu haben ist. Das könnte es Kern schwer machen, etwas zu bewegen.

Die ÖVP

Aber nun zur konservativen Partei. Schon bevor Christian Kern Bundeskanzler wurde, kroch Reinhold Lopatka aus seinem Loch. Der Klubchef der ÖVP, dessen Politikverständnis auf gegenseitigem Niedermachen beruht, kritisierte den Kanzler schon, bevor er überhaupt fix war. Was sagt uns das über den Zustand der Koalition?

Zumindest nichts Gutes. Denn SPÖ und ÖVP können nach wie vor nicht miteinander. Zu groß sind die Differenzen in Meinung und Ideologie – gerade auch beim alles überschattenden Flüchtlingsthema. Faymann ist mit seiner Erbschafts- und Vermögenssteuer gescheitert, auch die Gesamt- oder Ganztagsschule wird nicht umgesetzt. Hier könnte Kern Taktgeber sein – aber die ÖVP wird ihn nicht lassen.

Besonders deutlich wurde die aufgeregte Stimmung zwischen den beiden Koalitionsparteien übrigens beim TV-Duell zwischen Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, den beiden Präsidentschaftskandidaten. Keines der Zweierduelle war so untergriffig und anstrengend wie das der „Partner“. Das zeigt eigentlich alles, was man über die Regierung wissen muss:

Das fehlende Geld

Aber ein unwilliger Koalitionspartner allein ist noch keine Entschuldigung für den Stillstand. Schließlich hat die SPÖ auch Ressorts, in denen sie ohne permanente Absprache arbeiten kann. Der neue Verkehrsminister Leichtfried verspricht zum Beispiel laut „Standard“-Portrait Milliardeninvestitionen in die Bahn. Das klingt gut und steigert die Lebensqualität vieler Menschen – aber woher kommt eigentlich das Geld dafür?

Österreich wirtschaftet nicht unbedingt nachhaltig. Die hohen Staatsschulden werden bald zum Problem, und Geschichten wie das Milliardengrab Hypo Alpe Adria machen den Handlungsspielraum nicht unbedingt größer. Gleichzeitig aber verspricht „die Politik“ – und das ist auf fast allen Ebenen gemeint, ein genereller Befund – immer wieder Investitionen, um diverse Lebensbereiche besser zu machen. Investitionen sind notwendig, auch für Flüchtlingsunterkünfte und Integration. Aber haben wir das Geld dafür?

Was möglich wäre

Kern erwartet also eine undankbare Aufgabe. Mit einem unwilligen Koalitionspartner soll er einem skeptischen Volk großartige Reformen präsentieren – und das mit einem sehr bescheidenen Budget. Die Ausgangslage könnte besser sein.

Was jetzt helfen würde: Eine ÖVP, die sich darauf einlässt. Die Zeit, in der Wählerstimmen nur zwischen Rot und Schwarz hin und her wandern, ist lange vorbei – geht nichts weiter, gewinnt die FPÖ. Zusammen mit Kern könnte die ÖVP an einem „New Deal“ arbeiten. An einem Katalog an Wirtschaftsreformen, die auf lange Sicht wieder Investitionen und eine handlungsfähige Politik ermöglichen. Den schwarzen Peter für den bisherigen Stillstand könnte sie Faymann zuschieben – auch das wäre also kein Problem. Und auch den Menschen wäre damit geholfen.

Es ist also nicht unmöglich, dass wir im Nachhinein sehr glücklich mit Kanzler Kern sein werden. Aber als gelernter Österreicher tue ich mir schwer, daran zu glauben.

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