Gedanken einer Bürgerin aus Traiskirchen

Ich bin eine Studentin, die in Traiskirchen wohnt, inzwischen schon über 10 Jahre. Kurz, ich bin hier aufgewachsen und fühle mich eigentlich ganz wohl hier.

Das Flüchtlingslager war immer ein Teil dieser Stadt und war bis vor einem Jahr auch nicht wirklich ein Problem oder ein großes Ärgernis. Natürlich kamen und gingen fremde Menschen immer wieder, allerdings gab es auch nie große Zwischenfälle. Gelegentlich bin ich nach dem Weg zu irgendeiner Adresse gefragt worden oder auch, ob ich Feuer hätte. Mehr war da nicht.

Letztes Jahr waren aber plötzlich spürbar mehr Menschen auf den Straßen unterwegs. Okay, dachte ich mir, der Islamische Staat fordert den ersten Tribut. Nur blieb es nicht bei diesen vielen Menschen, sondern in den Medien wurde immer wieder meine Stadt erwähnt. Schließlich gab es dann auch einen Meningitis-Fall. Davon erfahren habe ich übrigens durch die Medien und nicht hier im Ort. Ehrlich gesagt ist das eine ziemlich miese Aktion, den Bürgern gegenüber. Zumal Ebola im letzten Sommer ja auch in Afrika gewütet hat und es so gut wie keine Informationen gab. Woher kamen denn nun all diese Flüchtlinge? Einige hatten ja eine dunkle Hautfarbe. Brachten sie Ebola oder andere Krankheiten mit? Sie fahren ja auch mit der Badener Bahn – genauso wie auch ich und viele andere Menschen, die hier wohnen. Besteht eine Ansteckungsgefahr? Das soll ja durch Tröpfcheninfektion übertragen werden. Bin ich nun gefährdet? Ist es gefährlich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren? Diese und noch viele andere Fragen wurden mir von niemanden beantwortet. Leider. Die Unsicherheit wuchs.

Seit diesem Jahr sind deutlich mehr Flüchtlinge auf den Straßen. Sie gehen in kleinen Gruppen durch die Stadt, weil sie nicht wissen was sie sonst tun sollten. Sie sind da und grundsätzlich auch nur Menschen, so wie ich auch einer bin. Mir sind die politischen Hintergründe durchaus bewusst. Ich sehe vor allem viele junge Menschen – maximal 20 Jahre alt. Und ich frage mich: Wie muss es einem solchen Menschen ergangen sein, der alles zurücklassen musste um zu fliehen? Ehrlich gesagt, ich bekomme schon Bauchschmerzen, wenn ich nur daran denke, in Graz oder in Salzburg zu studieren, statt in Wien. Sie fragen mich, ob man in der Pizzaria Brot kaufen kann. Ich rate ihnen zum Hofer oder in eine Bäckerei zu gehen, da dort das Essen billiger sei. Ich versuche ihnen zu erklären, wie sie zu den entsprechenden Geschäften kommen. Schwierig, nicht alle können gut genug Englisch. Dann sehe ich sie vor der Apotheke stehen – ratlos, weil sie unsere Zeitangabe (14-18 Uhr) nicht lesen können. Ich erkläre ihnen, dass die Apotheke erst in einer Stunde öffnet. Bewohner aus Traiskirchen erzählen mir, dass diese Menschen in ihren Gärten schlafen würden, wenn sie keine Hunde hätten, die sie vertreiben. Oder auch, dass sie Früchte von Bäumen in eingezäunten Gärten pflücken würden. Gleichzeitig werden die Menschentrauben mehr und größer, die da durch den Ort spazieren.

Dann kommen noch die Medienberichte dazu. Man könne Traiskirchen nicht entlasten, die Länder blockieren. Aha, denke ich mir. Aber die Flüchtlinge hier in menschenunwürdigsten Zuständen leben lassen ist in Ordnung? Ihnen kein Dach über dem Kopf (oder zumindest ein Zelt) zu gewähren, ihnen Nahrung, sanitäre Anlagen und medizinische Versorgung zu verweigern ebenso? “Ärzte ohne Grenzen” dürfen nicht in das Lager und helfen. Gleichzeitig müssen hochschwangere Frauen ihre Kinder sozusagen auf “offener Straße” gebären.

Die Fronten verhärten sich zunehmend. Es ist auch für mich schwierig, eine möglichst neutrale Haltung zu bewahren, da ich ja durch diese Situation direkt betroffen bin. 4500 Menschen (oder mehr?) befinden sich nun in diesem „Lager“. Die Situation erinnert mich an Missstände, die gegen den Tierschutz verstoßen – an Bilder von Animal-Hoarding-Fällen, wo ein Mensch 50 Katzen in einer 40m²-Wohnung gehalten hat. Oder auch 1000 Wellensittiche auf 35m². Es sind zu viele! Wie nennt man solche Zustände bei Menschen? People Hoarding?

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einer Katastrophe. Genauso wie auch die Caritas oder das Rote Kreuz – und wie diese Organisationen alle heißen. Hut ab, ihr macht wirklich tolle Arbeit! Mich erschüttert besonders, dass diese Menschen hier nicht einmal den Zugang zu so selbstverständlichen Dingen, wie etwa Leitungswasser, haben. Ich muss einfach nur den Hahn aufdrehen und kann so viel trinken, bis ich nicht mehr kann. Und ich war wirklich erschüttert, als ein Flüchtling mich gebeten hat, seine Wasserflaschen aufzufüllen. Und dankbar dafür war. Dankbar, für etwas das hier ein viel zu unterschätztes Grundrecht ist. Mir war zum Heulen zumute.

Dennoch frage ich mich auch, wie es hier wohl weitergehen wird. Wir haben August. Das Lager befindet sich in der Nähe von zwei Schulen. Was passiert, wenn die Schule wieder beginnt? Beginnt dann noch mehr Hetze gegen diese „Schmarotzer, die hier nur des Geldes wegen“ herkommen? Ja, diese und andere Kommentare hört und liest man von vielen Seiten. Früher bin ich gerne rausgegangen. Spazieren gehen, laufen, einfach Bewegung machen. Inzwischen freut es mich nicht mehr. Oder anders gesagt, ich traue mich teilweise auch nicht mehr. Nein, ich habe keine direkte Angst vor den Menschen, die hier umhergehen. Aber es ist gerade sehr heiß und ich merke, wie mich die Hitze selber “gaga” im Kopf werden lässt. Nur: Ich kann mich zurückziehen und eine kühle Dusche nehmen, den Ventilator einschalten. Vor allem aber habe ich die Möglichkeit, mich nicht der Sonne aussetzen zu müssen. Genauso wie ich bei Regen, Sturm und Gewitter ein Dach über dem Kopf habe – und nicht nur Zeltplanen, falls überhaupt etwas!

Bei aller Empathie für die Menschen kann ich mich des Gefühls von Überfremdung nicht erwehren. Nein, ich bin nicht ausländerfeindlich oder sowas. Im Gegenteil. Dennoch frage ich mich manchmal, ob ich mich hier noch in meiner Stadt befinde. Ich gebe den Flüchtlingen keine Schuld. Sie sind vor dem Krieg geflohen. Ich weiß nicht, was Krieg ist, ich habe ihn nie erlebt. Die Vorstellung, hier würde Krieg ausbrechen macht mir Angst. Wie muss es dann Menschen gehen, die Krieg, Hass, Gewalt und eventuell auch Folter am eigenen Leib erfahren haben? Dennoch, es sind zu viele. Das erzeugt eine latente Angst vor Epidemien, Seuchen oder Krankheiten, die hier eigentlich als ausgerottet gelten. Eigentlich, aber nur eigentlich eben. Es gab einen Meningitis-Fall im letzten Sommer. Wie wird das übertragen? Wieder stelle ich mir die Fragen: Bin ich gefährdet, wenn ich mich im öffentlichen Raum bewege? Ich habe ein rudimentäres medizinisches Verständnis und weiß, dass vieles durch die Medien “gehypt” wird. Aber wie viel wird denn in diesem Lager totgeschwiegen? Wie viel dringt nicht nach draußen? Oder eben: Wie viel schon? Diese Menschen fahren ja auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, gehen in dieselben Geschäfte einkaufen oder auf den Spielplatz. Wie groß ist die Ansteckungsgefahr?

Fragen über Fragen, auf die ich keine Antworten bekomme. Dadurch wachsen das Unwohlsein und die Angst. Die Angst vor Kriminalität, Aggression und Gewalt (von welcher Seite auch immer) wächst ebenso. Wenn ich mir denke, dass ich mich schon auf Sportwochen in der Schule sehr unwohl gefühlt habe, weil ich da mit einigen anderen in einem Zimmer eingepfercht wurde... Wie muss es denn dann diesen Menschen hier gehen? Das ist belastend, sehr sogar. Viele wollen sich ja umbringen. Legen sich auf die Straße, um von einem Auto überfahren zu werden. Oder versuchen selber Suizid zu begehen. Wie muss es einem Menschen gehen, dass er zu so einer Tat fähig ist? Zudem kommt immer wieder der Gedanke der Eskalation. Was passiert dann? Zündet jemand das Lager an? Oder kommt es zu einem Art Bürgerkrieg? Ich weiß es nicht, ich habe auch Angst diese Gedanken weiter fortzuführen. Dennoch gebe ich hier nicht den Flüchtlingen die Schuld dafür. Sie sind ja genau vor diesem Zustand geflohen und verhalten sich mir gegenüber sehr höflich, respektvoll und dankbar. Das finde ich bewundernswert. Sehr sogar, wenn ich länger darüber nachdenke.

Warum sind denn diese Zustände hier so? Politischer Unwille? Politische Machtlosigkeit? Aber warum ist Österreich dann mit dem Flüchtlingsstrom in den 90er-Jahren so gut zu recht gekommen? Das Vertrauen in die derzeitig amtierenden Politiker wandelt sich in Misstrauen. Ausgenommen unseren Bürgermeister. Der tut soweit ich weiß, alles was in seiner Macht steht. Hierfür zolle ich ihm meinen Respekt! All jene Politiker/-innen, die nicht in der Lage sind, etwas zu ändern, um die Situation zu verbessern – sei es nun durch die Öffnung für NGO's oder durch eine deutlich bessere Verteilung auf die Gemeinden – sind in meinen Augen durchgefallen. Wofür zahle ich (und viele anderen!) Steuern? Damit sich diese Leute über die Bevölkerung Traiskirchens lustig machen?

Kurz zusammengefasst: Die Angst vor Kriminalität sowie auch vor einer Seuche oder Epidemie, die sich auf die Bevölkerung ausbreitet, ist da. Genauso aber auch Unverständnis – oder besser gesagt eine immer größere Wut – den Politikern gegenüber, die diese Lage dermaßen eskalieren lassen. Wie wird es also weitergehen? Was passiert im Winter? Wann werden diese und die vielen anderen Fragen beantwortet?

Eine nachdenkliche, aber auch besorgte Bürgerin aus Traiskirchen

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dohle

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Claudia Tabachnik

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billi57

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