Darf man sich über Feminismus lustig machen?

Oder „Die Welt“ hat eine Scheibe

Jan Böhmermann hat es wieder getan.

Tabubruch.

Diesmal hat er sich über den Feminismus lustig gemacht. Das heißt, klugerweise hat er seiner Mitarbeiterin Giulia Becker die Gelegenheit gegeben, ihr komödiantisches ebenso wie ihr gesangliches Talent zur Schau zu stellen, um sich über einen Feminismus lustig zu machen, der heutzutage schon Microagressionen und Star Wars-Spielzeug heranziehen muss, um seine Opferrolle herbei zu fabulieren.

Neo Magazin Royale https://www.youtube.com/watch?v=At9bBaPJ5-8

Ihr adeleartiger Song liest sich wie eine Ansammlung der kritikwürdigsten Jammer-Tweets, die unter dem Hashtag #Aufschrei zu finden sind.

»Hab lange überlegt, ob ich mich an der Uni für Maschinenbau einschreibe. Man sagte mir, Ihr NC ist zwar ganz gut, doch Sie haben leider eine Scheide«

Wir leben in einer Zeit, wo Prof. Tim Hunt, der für seine Arbeit in der Krebsforschung mit dem Biologie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, aufgrund eines vermeintlich sexistischen Witzes (der einen sehr persönlichen Hintergrund hat, weil er auf die Anbahnung seiner eigenen Ehe mit Mary Collins, einer Professorin für Immunologie anspielt) zum Rücktritt von seiner Lehrtätigkeit vom University College, London gezwungen wird, auch wenn er in seiner dann folgenden Rede, der Frankfurter Allgemeinen zu folge gesagt haben soll:

»Ich bin beeindruckt von der wirtschaftlichen Entwicklung in Korea. Und Wissenschaftlerinnen haben ohne Zweifel eine wichtige Rolle dabei gespielt.“ Die Naturwissenschaft brauche Frauen, fuhr Hunt fort und rief die Anwesenden auf, sich nicht durch Hindernisse und „Monster wie mich“ von den Naturwissenschaften abhalten zu lassen.«

In einer Zeit, wo die Political Correctness also dafür sorgt, dass ein Nobelpreisträger ohne Anhörung, im Zweifel gegen den Angeklagten seinen Job und seine Ehrenämter verliert (und das sogar mit vollstem Unverständnis von Alice Schwarzer), soll es also so sein, dass eine Frau wegen ihrer Scheide vom Maschinenbaustudium abgehalten wird? Nicht wirklich, oder?

Das klingt doch eher wie diese billige Ausrede mit der viele Feministinnen ihr Scheitern auch heute noch auf ein ominöses, aber leider so gar nicht mehr plausibles Patriarchat abschieben wollen. Sie wollten gerne, wenn sie dürften wie sie möglicherweise könnten, auch wenn immer mehr Frauen im öffentlichen Leben zeigen, dass es auch als Frau möglich ist, erfolgreich zu sein ohne seine gepimpten Geschlechtsmerkmale in die Kamera zu halten.

Die Satire des Neo-Magazin-Videos funktioniert, weil es genau jene Frauen zu bestätigen scheint, die glauben, den wütenden weißen Mann jederzeit als Grund für ihr Scheitern verantwortlich machen zu können.

In ihrer Lust sich zum Opfer zu machen, übersehen sie allerdings die absurd übersteigerte Art und Weise, die einen eigentlich nur darüber lachen lassen kann. Selbst meine siebzehnjährige Tochter erkennt das. Aber die hat sich auch nicht vom Boxen und anderen Jungenbeschäftigungen abhalten lassen und würde einem Professor, der ihr sagt "als Frau kannst du das leider nicht" vermutlich einfach den Stinkefinger zeigen und das Gegenteil beweisen, anstatt den Schwanz, äh, die Scheide einzuklemmen und auf Mitleid zu hoffen.

Aber dem Team um Jan Böhmermann ist es mal wieder großartig gelungen, die Grenzen zur Satire zu verwischen. Die Reaktionen sprechen für sich. Wieder erregen sich die Geister auf beiden Seiten.

FeministInnen wie AntifeministInnen springen gleichermaßen auf dieses Video an

Von Männern liest man so Sachen wie »Da ich dem öffentlichen-rechtlichen Zwangspropagandamedien derartige Kritik an Frauen bzw. Feministinnen jedoch nicht einmal im Ansatz zutraue (schon gar nicht in der vorbildlichen Staatserziehungssendung Böhmermann, der für seine besondere Systemtreue bekannt ist), gehe ich davon aus, dass das Lied das typische Opfergeplärre einer Frau darstellt, um regierungstreu der Bevölkerung gehirnwäschemäßig weiter einzuhämmern, was für unglaublich bemitleidenswerte Opfer Frauen doch sind.«

Zugegeben, das klingt etwas paranoid, aber wenn man sich etwas länger mit dem Herumgeheule einiger Internetfeministinnen beschäftigt, ist der Zweifel leider nachvollziehbar. Vor allem, wenn sich Frauen wie Marcia Scharf im feministischen Onlinemagazin editionf durch dieses Video bestätigt sehen, welche schreibt: »Giulia Becker ist die Künstlerin hinter dem Lied und beschwert sich im Song, dass sie im Job von ihren Kollegen nicht ernst genommen wird. Zuerst denkt sie, es liege an ihrer Figur, dann merkt sie, das es daran liegt, dass sie eine Frau ist und eine Scheide hat. Oh mein Gott, Hilfe!« Bis hierhin könnte man fast vermuten, Frau Scharf würde die Ironie verstehen, aber dann gibt sie sich als SprachhistorikerIn: »Dass im Song so oft das Wort „Scheide” verwendet wird, thematisiert den immer noch so alltäglichen Gebrauch eben dieses Wortes, das aus Zeiten des Mittelalters kommt und eigentlich ein Begriff für die Aufbewahrung von Hieb- und Stichwaffen ist. Also kein geeignetes Wort für das weibliche Geschlechtsteil, sollte man meinen.«

Hier fühlt man sich an Hape Kerkelings »Hurz« erinnert.

Spätestens mit ihrem Fazit »Wir in der Redaktion haben heute auf jeden Fall einen Ohrwurm und finden das Video ganz phänomenal.« bestätigt sie die Kritiker.

Es liegt es in der Natur der Ironie, dass sie von jenem, der mit ihr auf den Arm genommen wird, nicht unbedingt erkannt wird. Im Fall des Schmähgedichtes hat ihm das einen Besuch der Staatsanwaltschaft beschert. Auch sein »Grab em by the Pussy« hatte sicherlich das Potential, viele Trump-Anhänger in Stimmung zu bringen.

Wäre es anders, würde man ihm vermutlich vorwerfen, dass seine Satire plump und oberflächlich ist. Ohne diese Ambivalenz würde er damit nicht immer wieder Diskussionen auslösen.

Erschreckend ist eigentlich nur, dass jene, die sich aufregen oder in ihrem Weltbild bestätigt finden, selbst am Ende des Stückes, wo der Text die Sinnentleerheit einiger #Aufschrei-Tweets weit hinter sich läst, nicht aufmerkt, dass dieses Stück unmöglich ernst gemeint sein kann. Vermutlich ist der Feminismus so sakrosankt, dass es einfach unvorstellbar wirkt, dass man sich über den Opferhabitus einer Anne Wizorek, einer Antje Schrupp oder einer Mädchenmanschaft lustig machen könnte, aber mal ehrlich: Welche andere plausible Interpretation lässt das Finale bitte zu, wenn Frau Becker singt:

»Worüber wurd noch nie ein Witz gemacht? - EINE SCHEIDE

Wovor haben die alten weißen Männer im Fernsehen Angst? - EINE SCHEIDE

Wer hat den dritten Teil von Bridget Jones geschrieben? - EINE SCHEIDE

Wer hat John F Kennedy erschossen? - EINE SCHEIDE!

Und wer hat an der Uhr gedreht? - EINE SCHEIDE!

Was reimt sich auf eine Weide? - EINE SCHEIDE

Wer hat das Gras weggeraucht?- EINE SCHEIDE

Wer hat dem Maulwurf auf den Kopf gemacht? - EINE SCHEIDE

Unsere Erde ist- EINE SCHEIDE«

Das sind Sachen, die entweder faktisch falsch sind, oder man braucht schon verdammt viel Liebe für seine Opferrolle, dass hier irgendein sinnvoller Zusammenhang herbeiinterpretiert werden kann. Vermutlich würde diese Liste in der Maxiversion des Songs noch fortgesetzt mit Floskeln wie:

»Wer hat am Montagmorgen Schuld? - EINE SCHEIDE!

»Wer verursacht Nordkoreas Bombentest? - EINE SCHEIDE!

»Wer hat die Kokosnuss geklaut? - EINE SCHEIDE!«

"Was haben alle, die diesen Text ernst nehmen? - EINE SCHEIBE (zu wenig Hirnmasse)"

Eigentlich kann das bei jedem vernüftbegabten Menschen nur Kopfschütteln erzeugen.

Allen, die glauben, Frau Becker wollte wirklich ihre Opferrolle zelebrieren, sei ihr erster (von mir zu mindestens bewust wahrgenommener) Auftritt bei Jan Böhmermann empfohlen.

In Folge 50 des Neomagazin Royle spielt Frau Becker die Persiflage jener selbstgefälligen Internetkolumnistinnen, die mit grenzenloser Selbstüberschätzung glauben, jede Woche das gesammelte Weltwissen einer Siebenjährigen an die Menschen bringen zu müssen. Ihre Fake-Biografie heißt »Die Kunst, ich zu sein« und Böhmermann kündigt sie als die meinungsstarke Kolumnistin an, die sich mit Dingen auskennt, die junge Leute gut finden, die vor allem »wahnsinnig toll schreiben kann«, aber schon im Interview bekommt sie keine zwei zusammenhängende Sätze raus. In ihrer anschließenden Videokolumne sagt sie dann so denkwürdige Sätze wie »wußten sie dass 185% aller deutschen Frauen Opfer von häuslicher Gewalt werden? Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diese Zahl komme, aber ich finde, die sieht echt seriös aus, wenn man in Helvetica Größe 14 schreibt.«

Schon da tritt sie mal so nebenbei dem Opferfeminismus elegant zwischen die Beine, welcher mit zweifelhaften Studien gerne wieder die Opferrolle festigen will.

Erzählmirnix https://twitter.com/erzaehlmirnix?lang=de

Klar, wenn man unbedingt will, kann man sich über »Verdammte Schei*e« als Hymne des Opferfeminismus aufregen, oder sich als bedauernswertes Scheidenwesen in seinem Weltbild bestätigt sehen, aber ich vermute Herr Böhmermann und Frau Becker amüsieren sich köstlich über die Ernsthaftigkeit, mit der sich einige über dieses Lied ereifern und editionf ist nicht die einzige Publikation, welche die Ironie dahinter nicht sehen kann.

Bei der eigentlich nicht für ihre feministische Weltsicht bekannten Tageszeitung »Die Welt« darf Clara Ott hinter dem Lied eine »zynische Abrechnung mit Alltagssexismus« vermuten. Auch wenn ein Video in dem ein Brötchen als Insignie der Scheide zelebriert wird, eigentlich viel zu absurd ist. Woher glauben diese Leute, kommen die »Mitschnitte« aus der Redaktionskonferenz? Glauben sie, dass Team Wallraff als Rache für den #verafake hier Böhmermanns Sexismus enthüllt hat?

Wer mal auf Zeit online Frau Beckers Text über ihre Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch bei Jan Böhmermann liest (Da es zeitlich zu mindestens gut paßt vermute ich, dass es genau von jenem erfolgreichen Bewerbungsgespräch handelt), der sieht, dass sie zu weit mehr Selbstreflexion in der Lage ist, als jene Heulsuse welche sie in dem Scheiden-Video darstellt. Da liest man Sätze wie »Unruhig tigerte ich durch meine Ein-Zimmer-Wohnung und machte mir Sorgen um Lücken im Lebenslauf und unbequeme Fragen zu meinem Langzeitstudium.« oder »Und vielleicht war es genau das, was ich in dieser fahrigen Verfassung brauchte. Einen ehrlichen Kumpel, der mich mit an die Theke nimmt und mir kommentarlos ein volles Pinnchen entgegenschiebt. Der mich darauf hinweist, dass ich über die biologisch korrekte Anzahl an Gliedmaßen verfüge, nicht in hiesigen Mülleimern nach Pfandflaschen tauchen muss. Dass ich nicht gerade den Eindruck erwecke, als würde ich in naher, geschweige denn ferner Zukunft vom Fleisch fallen, und dass es folglich keinen nennenswerten Grund gibt, sich verrückt zu machen.« Und damit endet »Es ist aber auch nicht wichtig, der minzige Dopaminbote (der Pfeffi, mit dem sie sich Mut für das Vorstellungsgespräch antrinkt) erfüllte seinen Zweck: Mit jedem Schluck wurde mir ein bisschen egaler, ob die Firma, bei der ich mich vorstellen würde, jung genug für eine adipöse, temporär lustige, aber nur mäßig seriöse Frau im Lionel-Richie-Shirt war.«

Sorry, liebe Feministinnen, aber da war offensichtlich nichts mit Frustessen, weil die Redaktion so böse war. Frau Becker war schon beim Poetrie Slam 2009 etwas fülliger.

Wer hat das Video gedreht? Team Wallraff oder das Team vom Neo Magazine?

Wenn Jan Böhmerman und Ralf Kabelka bei dem »Mitarbeitergespräch« irgendwelche Männerzoten vom Telepromter ablesen, und Frau Becker im Video despektierlich mit Papierkugeln beschmeißen oder Blowjob Witze reissen, dann kann es vermutlich nur der Fantasie einer Feministin entspringen, dass das den Redaktions-Realität widerspiegelt. Wenn das Opfer in dem Video glaubt »Ich werde immer übersehen auch wenn ich am besten schreibe« entdecken sie sich wieder diese Frauen und erklären es zum Zeichen des Alltagssexismus.

Bei Männern wird mit so eine Geisteshaltung gerne pathologisiert, als Narzismus mit Hang zum Größenwahn. Und ein Mann, der sich beklagt »Würd so gern zeigen, dass mehr in mir steckt als nur Gebäck doch will ich mal was größeres machen, drehen sich plötzlich alle weg« würde vermutlich nur zu hören bekommen »Dann jammer nicht und sorge dafür dass man dich sieht.« Ist ja nicht so dass Männer mit tollen Ideen nicht an ignoranten Kollegen oder Vorgesetzten scheitern.

Was für ein Vorbild

Zugegeben, Frau Becker wäre vermutlich wirklich ein großartiges Vorbild für FeministInnen und junge annorektische GNTM-Anhängerinnen, aber nicht, weil sie sich als Opfer feiert, sondern weil sie sich über diese vermeintlichen Opfer lustig macht, die in jeder Baumrinde, jeder Blume und jeder Honigmelone nur das Zeichen ihrer Unterdrückung sehen, anstatt etwas gegen diesen Zustand zu tun.

Frau Becker kann diesem Jammerfeminismus, der sein Scheitern einfach nur auf die Geschlechtsorgane schiebt, offensichtlich nicht viel abgewinnen.

Wenn Frauen daraus jetzt eine Hymne gegen den Alltagssexismus machen wollen, lässt mich nur an den alten Erich Kästner denken:

„Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“

Ich vermute, wenn Giulia Becker wirklich mal eine Feminismushymne schreiben würde, dann wäre es vermutlich eher ein Empowerment Song wie »Neue Männer braucht das Land«, »Weil ich ein Mädchen bin«, »Non, je ne regrette rien« oder »it’s raining men«.

Das sie die Stimme dazu hätte zeigt das Video ja.

Und für alle, die sich immer noch daran festhalten wollen, dass Frau Becker doch ihre Fürsprecherin ist, denen empfehle ich mal den Artikel von Spiegel Online:

Benachteiligung im Job - So kommen Sie raus aus der Opferrolle.

Fazit des Artikels:

"In die Opferrolle kommt man leichter hinein als hinaus. Aber niemand ist in ihr gefangen. Wer sich bewusst ist, dass er sich gerade in die Rolle des Opfers begibt, hat schon den ersten Schritt zum Ausbruch getan. Ab jetzt gilt: Sie entscheiden, wie Sie mit welcher Situation umgehen. Wenn Sie Verantwortung übernehmen, übernehmen Sie auch Kontrolle."

Ist zwar eigentlich für Männer geschrieben, gilt aber im Zuge der Gleichberechtigung auch für Frauen.

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