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Das Lutherjahr ist eingeläutet und just zu dieser Zeit mag Thomas de Maizière keine Zurückhaltung mehr üben. Frei nach „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ließ der Bundesinnenminister seine zehn Thesen via Presse in die Welt tragen. Und welches Organ böte sich da als seriöser und verlässlicher an, als die BILD?

„Ich will mit einigen Thesen zu einer Diskussion einladen über eine Leitkultur für Deutschland“... „Wer sich seiner eigenen Kultur sicher ist, ist stark.“ (Quelle)

Nun ist schon der Begriff „Kultur“ an sich schwammig. Für die einen ist es „Kultur“, BILD zu lesen, Würstchen zu grillen und Fähnchen zu schwenken, wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt, während man sich zuflüstert, dass diese so deutsch aber nun gar nicht mehr sei.

Der andere schätzt die FAZ und lässt als „Kultur“ einzig Oper, Theater, ein Glas Rotwein und intellektuelle Gespräche gelten.

Und auch die, mit diesen Beispielen vorgeschobene, „Kultur des Pluralismus“ wäre nicht geltend zu machen, denn so sehr die intellektuelle Kultur die des Proletariats belächelt und für minderwertig hält, so sehr verachten weite Teile des Proletariats alles elitäre.

Eine „Kultur“ – das funktioniert schon innerhalb der vielen Sub-Kulturen in Deutschland nicht. Zugehörig fühlen, so meint es wohl die Aussage um „Stärke“, kann man sich zu allem und zu nichts in diesem Lande. Und bleibt, so man denn per Zufall in Deutschland geboren wurde, doch deutsch. Unabhängig von Haltung und Lebensentwurf. Auch dann, wenn man sich mehr als Grieche, Amerikaner oder Engländer fühlen sollte.

"De Maizière führt zehn Eigenschaften auf, die seiner Auffassung nach Teil einer deutschen Leitkultur sind. Etwa soziale Gewohnheiten: In Deutschland gebe man sich zur Begrüßung die Hand, zeige sein Gesicht und nenne seinen Namen. „Wir sind nicht Burka“, schreibt de Maizière." (Quelle)

Ich weiß nicht, ob Sie jetzt kurz vor den Feiertagen einkaufen waren wie ich, ob Sie in letzter Zeit mal durch die Innenstadt einer Messestadt gelaufen sind, ob Sie regelmäßig das Haus verlassen, um neue Bekanntschaften zu machen oder nicht. Sollten Sie wenigstens auf gelegentlicher Basis mit Menschen zusammentreffen, dürfte Ihnen aufgefallen sein: Zu den „sozialen Gewohnheiten“ gehört Höflichkeit sicher nicht mehr. Nicht das reichen der Hand, (so man nicht aus beruflichen Gründen quasi verpflichtet ist), nicht mal unbedingt das Nennen des Namens. Die „freundlichen“ Menschen, die mir gerade gestern den Einkaufswagen in die Hacken schoben, schickten sich jedenfalls nicht an, mir dafür freundlich die Hand zu reichen und mich im Anschluss zum Kaffee einzuladen.

Und natürlich sind wir nicht Burka. (Ich habe übrigens erst eine zu Gesicht bekommen. Und das, obwohl ich in einem „Problemviertel“ lebe).

Wir sind aber auch nicht Fußball. Man soll es kaum glauben, aber es gibt Menschen, die mögen Sport nicht sonderlich. Wir sind nicht Bratwurst, wir sind nicht Oper, wir sind nicht Bikini, wir sind nicht Minirock, wir sind nicht Latex, Lack und Leder.

„Wir“ sind auch nicht Christentum, Islam, Judaismus, Buddhismus oder Esoterik.

Ein homogenes „Wir“ existiert nämlich schlicht nicht. Das ist überhaupt erst der Anspruch, den wir mit Gesetzen an uns gestellt haben: Ein pluralistischer Staat zu sein, in dem das Individuum möglichst frei entscheiden kann. Kleidung, Religion, die Haltung zum eigenen Staat. Alles eine Frage der persönlichen Präferenz.

„Zur Leitkultur gehörten zudem Allgemeinbildung, der Leistungsgedanke, das Erbe der deutschen Geschichte mit dem besonderen Verhältnis zu Israel und der kulturelle Reichtum. Deutschland sei ein christlich geprägter, Religionen freundlich zugewandter aber weltanschaulich neutraler Staat, so de Maizière.“ (Quelle)

Schauen Sie sich um: Um die Allgemeinbildung der Masse ist es, oft je nach sozialer Herkunft, eher bescheiden bestellt. Der Leistungsgedanke? Also macht die Arbeit den Menschen und nicht der Mensch die Arbeit? Tatsächlich gibt es fleißige und faule Deutsche und beide Seiten haben, unabhängig von der Haltung de Maizières zu ihnen, ihre Existenzberechtigung. Und wie es um das Verhältnis breiter Teile der Bevölkerung zu Israel steht, dazu liest man dieser Tage genug. Die Kommentarspalten sind voll des Hasses. Alle ausweisen? Wohl kaum. Solange die Aussage nicht justiziabel ist, fällt sie unter die „Meinungsfreiheit“. Der „kulturelle Reichtum“ ist international. Unsere Demokratie ist griechisch, die Autos nicht Biodeutsch, sondern zum Teil in asiatischen Ländern gefertigt. Bier sollen die Sumerer oder Ägypter erfunden haben. Brot sollen ebenfalls die Ägypter zumindest so verfeinert haben, dass es unserer heutigen Brotbacktradition am nächsten kommt. Das Christentum – Ach, das muss ich Ihnen wohl nicht erklären, wo doch Allgemeinbildung Usus ist. Und selbst unsere verfassungsrechtlichen Grundlagen haben lange vor uns andere ausformuliert.

Und Deutschland ein weltanschaulich neutraler Staat? Sagt der Innenminister aus der „Christlich demokratischen Union“ deren Kanzlerin noch den Amtseid mit den optionalen Worten „So wahr mir Gott helfe“ schloss? Seien wir ehrlich: der Gedanke des Säkularismus hat es hierzulande nicht so weit gebracht, wie man sich das hätte wünschen dürfen. Ganz sicher aber halten sich unsere Staatsvertreter an kein Gebot der Neutralität. Wobei man hier eben auch festhalten darf, dass man entweder „Religionen freundlich zugewandt, oder aber neutral ist. Beides geht nicht.

„Die Gesellschaft sei konsensorientiert und Kompromisse konstitutiv für die Demokratie. Auch einen „aufgeklärten Patriotismus“ zählt der Christdemokrat zur Leitkultur. Ein solcher Patriot liebe sein Land ohne andere zu hassen. Schließlich seien auch die Westbindung Deutschlands, sein Bekenntnis zu Europa sowie ein gemeinsames kollektives Gedächtnis für Orte, Ereignisse und Traditionen Teil der Leitkultur.“ (Quelle)

Dass die Gesellschaft konsensorientiert ist, schließt eben nicht pluralistische Lebensweisen aus, sondern verweist lediglich darauf, dass diese zusammenfassend durch eine bestimmte Staatsvertretung dann in Kompromissform, im Sinne des Schutzes individueller Rechte, politisch repräsentiert werden. Das versteht sich in einem Rechtsstaat von selbst und bekräftigt weder die vorangegangenen „Thesen“, noch verneint es diese. „Aufgeklärter Patriotismus“ ist ein Oxymoron. Dazu schrieb ich bereits in der Vergangenheit. Selbst die freundlichste und am wenigsten völkisch ausgerichtete Idee des „Verfassungspatriotismus“ hält einer näheren Betrachtung sowie der geschichtlichen Entwicklung des Begriffes nicht stand. Nebenbei: Hier ist die Meinung von Herrn de Maizière, wie auch die Lebensidee aller anderen „guten Patrioten“ absolut irrelevant. Man kann als Deutscher oder als Einwanderer nichts oder alles vom Patriotismus halten. Keine Haltung bedingt die Staatsbürgerschaft oder verneint diese. Was viele „gute Patrioten“ von der Aufforderung, andere nicht zu hassen halten, lässt sich dieser Tage ebenso beobachten, wie die Idee der „Westbindung“, wenn man sich den zunehmenden Hass auf Amerika anschaut. Und das „Bekenntnis zu Europa“ verneinen ebenfalls die am lautesten, die mit ebensolcher Inbrunst „Patriotismus“ schreien. Alle ausweisen? Und nein, liebe Mitbürger: Ein kollektives Gedächtnis für Orte, Ereignisse und Traditionen existiert schlicht nicht. Seien sie beruhigt. Ich weiß nicht um Ihr Leben und Sie wissen nicht um meines. Manche Dinge dürfen tatsächlich bleiben, wie sie sind. Sie haben Dinge gesehen, die ich nie sehen werde und Vice versa.

An keiner der Aussagen de Maizières ließe sich ernsthaft ein Kollektiv von „Deutschen“, respektive einer deutschen Kultur, definieren. Was man an seinen Forderungen jedoch wunderbar festmachen kann, ist die Wertigkeit des Rechtsstaates. Denn alles, was „Deutsche“ verbindet, ist die Verpflichtung, gesetzestreu zu handeln. Unabhängig von Religion und Herkunft.

Und zum Glück auch unabhängig von Thesen eines Volksvertreters, der zudem auch Vertreter dieses Rechtsstaates ist, und genau weiß, dass die Verfassung keiner Meinung unterliegt und auch keiner Debatte, zu der eingeladen werden sollte.

Und zur Erinnerung, auch gerne zu Hände de Maizière abschließend Artikel 2 Absatz 1, sowie Artikel 4 des deutschen Grundgesetzes:

„„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“

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Kadee Mazoni

Kadee Mazoni bewertete diesen Eintrag 04.05.2017 21:10:29

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