„Deutsch-Stand!“ oder: Warum haben wir Österreicher so ein Problem mit "Piefkinesisch"?

Wir Österreicher haben ja bekanntlich ein Problem mit der bundesdeutschen Aussprache allgemein und bundesdeutschen Begriffen im Besonderen. Es muss etwas mit dem Verlust unseres Status als Großnation zu tun haben, möglicherweise mit unserem schlechten Gewissen, weil wir doch Nazideutschland mitverbrochen haben und uns zackiges Preußisch daran erinnert. An der Oberfläche unseres Bewusstseins ist es aber garantiert die Tatsache, dass führende Organe der Alltagskultur das "Piefkinesisch" in unseren Köpfen implantieren und die Sprache unserer Kinder schleichend verändern. Kurz: Unser gutes, altes Österreichisch droht auszusterben!

Also werfen wir uns im Gespräch schützend über unsere „Nockerln“ und unser „Schlagobers“. Fällt in einer Gruppe der Begriff „Junge“ für Bub oder „Pickel“ für Wimmerl, erkennt man den Österreicher daran, dass sein Gesicht die Farbe eines Feuerwehrwagens annimmt und sich aus seinen Ohren feiner Rauch kräuselt. Ganze Schwaden erscheinen, fällt der Ausdruck „ab und an“, und die „Marmelade“ würden wir wohl mit unserem Leben verteidigen, wenn das nicht so drastische Folgen haben könnte. Dieses Bedürfnis nach Sprachschutz geht so weit, dass mancher Wiener selbst seine Landsleute anherrscht: „Des haaßt ned Kartoffe, des haaßt Erdäpfe“, und dabei übersieht, dass westlich von St.Pölten keiner mehr „Erdäpfe“ sagt. „Paradeiser“ übrigens auch nicht.

Sie können sich also vorstellen, dass es für mich als Österreicherin nicht einfach war, nach Deutschland zu ziehen. Es gibt Worte, die konnte ich lange nicht aussprechen, ohne dass sich dabei mein Gesicht schmerzlich verzerrte, als stäche jemand gerade mit einer Nadel in Stypropor. „Tüte“ ist so ein Wort, und zwar ausschließlich, wenn es sich dabei um ein Sackerl handelt. Als Eis-Stanitzel verursacht die „Tüte“ interessanterweise keine Schmerzen. In der ersten Woche litt ich im Supermarkt Höllenqualen. „Bitte ein Sackerl.“ – „Äh ...?“ – „Ach ja. Bitte eine (gnnnnn) T-t-üüüte.“ In der zweiten Woche konnte ich bereits sagen: „Bitte noch eine ... eine ... T-t-ü-üüü-te, uff!“ Inzwischen bin ich assimiliert: „Eine Tüte bitte.“ Keine Schmerzen.

Meine Kleine dagegen ist längst eine Einheimische. Jedes Mal, wenn sie eine schwarz-rot-goldene Fahne sieht, schreit sie „Deutsch-Stand!“ und macht die Welle. Schuld ist die Fußball-WM, die voriges Jahr auch den Kindergarten erfasste und ihren Höhepunkt beim Sieg Deutschlands erlebte. Das Kind ist eine echte Hamburger Deern. Sie sagt „Kuck mal“, "Nee" und "Doof", und ich zucke immerhin nicht mehr zusammen. Dass ich trotzdem noch in der Eingewöhnungsphase bin, erkannte ich daran, dass ich vor Lachen vom Sessel fiel, als sie ihr Pausenbrot zur „Klappstulle“ erklärte. Nein, nicht Sessel – Stuhl sagt man hier im Norden. Und man geht auch nicht zu Fuß, man läuft. In Hamburg sagt man außerdem nicht „die Kleine“, sondern „die Lütte“. Und „Hose“ heißt „Büx“. Das finde ich ganz süß.

Manchmal schreien die Leute im Geschäft entzückt auf: „Sind Sie aus Österreich? Wie charmant! Sagen Sie doch nochmal was!“ Und dann geniere ich mich, weil die Hamburger so lieb sind. Hier würde niemand auf die Idee kommen, mich anzublaffen: „Das heißt nich’ Sackal, das heißt Tüte!“ Wir Österreicher fühlen uns offensichtlich in unserer Existenz derart bedroht, dass sprachlicher Snobismus zur Notwehr erhoben wird, und ein bisschen Brutalität darf dabei ruhig dabei sein, das werden’s schon aushalten, die Piefke, haha, gell? Dem Österreicher kommt gar nicht in den Sinn, dass er dabei diskriminierend oder zumindest unhöflich, mitunter schlicht peinlich sein könnte in seiner wackeren „Gegenwehr“ … Vielleicht ist es ja gar nicht unsere Selbsterhaltungstrieb, der uns zu Sprachfaschisten macht. Vielleicht sind wir einfach nur etwas kleinkariert und blöd. Nee, doof.

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