Palästina und die Wut auf Israel: Schauen wir doch mal genauer hin

Die Welt empört sich ja gerne über Israel und den Umgang des jüdischen Staates mit der palästinensischen Bevölkerung. Ich halte diese Empörung für verlogen, solange sie nicht auch den Libanon betrifft oder Syrien. Gerade hören wir beunruhigende Nachrichten aus Yarmouk in Damaskus. Die Bewohner des Palästinenser-Camps sind in Gefahr: Von hinten schiebt die Terrororganisation IS an, von vorne blockiert Assad, der die geschätzt 15.000 Palästinenser bereits seit 2012 belagert, Wasserleitungen kappen ließ und alles dafür tat, um die Menschen zu erledigen. Tausende wurden bereits von den Schergen Assads oder verschiedener Rebellen- und Terroristengruppen ermordet, jetzt erfolgt womöglich der Todesstoß für die von allen Seiten Eingeschlossenen.

Zum ersten Mal hörte ich den Namen "Yarmouk" 2013. Ich hatte in Brüssel einen Workshop im Europäischen Parlament besucht, stand nun in der Hotellobby und ärgerte mich darüber, dass mein bestelltes Flughafentaxi nicht aufgetaucht war. Ein junger Mann im Businessanzug bot mir daraufhin an, mich in seinem Taxi mitzunehmen, er fliege auch von Brüssel Airport. Er hatte selbst gerade Zores: Irgendein Arschloch hatte seinen Laptop geklaut. „Das ist insoferne heikel“, wie er während der Fahrt erzählte, „als dass ich für (er nannte eine EU-Stelle) arbeite und auf dem Laptop meine Kontakte sind.“ Zwischen den Zähnen zischte er noch ein Fluch hinterher.

Dann begann er zu erzählen. Er sei Palästinenser, lebe im Libanon. „Wie kommen Sie dazu, für die EU zu arbeiten?“, fragte ich naiv. „Weil ich Palästinenser bin“, erklärte er. „Im Libanon habe ich keine Chance auf eine höhere Karriere.“ Er sei bereits die dritte Generation seiner Familie, erzählte er, die im Libanon lebe, seine Mutter sei Libanesin. Sein Großvater war seinerzeit aus Jaffa rausgeschmissen worden, seitdem lebte die Familie im Libanon im rechtlichen Abseits. „Meine Mutter ist zwar Libanesin, aber sie darf uns ihr Haus nicht vererben, weil ich als Enkel eines Palästinensers immer noch keine libanesische Staatsbürgerschaft bekomme“, sagte er. „Die arabische Welt regt sich darüber auf, dass die Palästinenser in Gaza in einem Freiluftgefängnis leben. Doch auch in arabischen Ländern leben wir nicht besser. Fahr mal nach Yarmouk, das ist eine einzige Katastrophe. Was für eine verlogene Truppe.“

Er meinte jenes Yarmouk, das dieser Tage in den Schlagzeilen ist. „Die bringen dort Tausende um“, berichtete er, "und niemanden schert es." Ich saß ganz still daneben. Unrecht gegen Palästinenser, das ist in unserer Wahrnehmung immer an Israel gekoppelt. Israel pflanzt Siedlungen in die Palästinensergebiete, Israel schikaniert die Leute, Israel erkennt keinen Staat Palästina an, Israel macht dies, Israel macht das. Dass Palästinenser in den umliegenden arabischen Ländern nicht ankommen dürfen, in Lager gepfercht werden, keine Staatsbürgerschaft erhalten, darüber wird kaum berichtet. Warum der Libanon denn den Palästinensern nicht die Möglichkeit geben wollten, eine neue Heimat zu finden, fragte ich. „Das ist etwas kompliziert", antwortete er, "aber ein Grund ist, weil sie kein Interesse an angepassten Palästinensern haben. Nur unzufriedenen Palästinenser sind zu gebrauchen, als Waffe gegen die Israelis. Mögen tut uns niemand von denen. Aber wir sind ihnen nützlich in ihrer Hasskampagne gegen diesen jüdischen Staat, diesen Fremdkörper, den keiner will.“

Wir waren am Flughafen angekommen. Wir verabschiedeten uns freundschaftlich, dann verschwand er in der Menschenmenge. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt. Doch diesem fremden jungen Mann verdanke ich wichtige Erkenntnisse. Und eine gewisse Vorsicht, mit der ich seither Diskussionen über den Konflikt Israel/Palästina begegne.

Man könnte nun darüber diskutieren, ob es ausschließlich darum geht. Bei der Palästinenserfrage spielen so viele Aspekte mit, nicht zuletzt der Umstand, dass es auch christliche Palästinenser gibt, die schon gar niemand will. Aber was dieser junge Mann aufwarf, sind Punkte, die ich in den Diskussionen in sozialen Netzwerken und an den Stammtischen vermisse. „Eure ganzen Tiraden sind verlogen, solange ihr nicht seht, wie wir Palästinenser von allen Parteien benutzt und wie Dreck behandelt werden“, hatte mein Taxikumpan gesagt. „Solange ihr das nicht anerkennt, werdet ihr auch keine sinnvollen Ideen entwickeln, wie man uns wirklich helfen kann. Ihr in Europa schimpft ein bisschen mit und fühlt euch dann gut. Eure vielleicht gutgemeinte, aber sinnlose Empörung interessiert uns aber nicht. Informiert euch erst mal, dann könnt ihr mitreden.“

Das gebe ich hiermit weiter: Informieren wir uns erst mal. Dann reden wir weiter.

Fotocredit: Fotolia/Barry Barnes

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