Was ist eine „echte“ Mutter?

Vor dem Muttertag, meinem zweiten als Mutter, denke ich zurück an die Zeit, bevor der kleine Wirbelwind meine Welt schneller und aufregender, auch anstrengender, aber tausendmal schöner machte. Ich denke an jenen Moment vor zwei Jahren, als es einem Menschen beinahe gelang, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber eben nur beinahe.

Ich hatte meinen Plan, Pflegemutter zu werden, verschieben müssen, weil meine Stellvertreterin schwanger geworden war. Ein Glück, dass so was geht, lachten wir noch, mit Babybauch würde man das Mutterwerden wohl nicht einfach verschieben können, dann hätten wir ein Problem – wir, beziehungsweise mein Arbeitgeber. Ich, die alte Esoterikerin, war überzeugt, dass das schon in Ordnung sei mit dem Verschieben, mein Kind brauchte mich wohl noch nicht, und als es ein Jahr später so weit war, bestätigte mich der Anruf der Magistratsstelle in diesem Gedanken: Man hätte da ein Mäderl für mich, fast ein Jahr älter, als ich eigentlich gewünscht hatte, aber man glaube, dass wir gut zusammenpassten, ob es mir also etwas ausmache ...? Ich musste laut lachen. Natürlich machte es mir nichts aus, ich hatte ja eben dieses Jahr auf sie gewartet!

In der Privatwirtschaft tätige Pflegemütter haben keinen Anspruch auf Karenz, keinen Mutter-, keinen Kündigungssschutz. Uns geht es also wie den Freiberuflern: Wir sind vom Wohlwollen unserer Auftraggeber abhängig. Und so präsentierte ich zur Sicherheit einen sehr knapp kalkulierten Plan für meine „Babypause“: Ich wollte nach der Übernahme meines Pflegekindes meinen gesamten Jahresurlaub auf einmal nehmen und anschließend zweieinhalb Monate lang in Teilzeit arbeiten, bevor ich wieder voll einstieg. Meine beiden Stellvertreterinnen standen parat – „Natürlich, keine Frage, das schaffen wir schon!“ –, uns allen war klar, dass ich immer erreichbar sein und von den geplanten drei Tagen wahrscheinlich fünf arbeiten würde, und zwar nachts. Ich war in Sorge um meinen Job, und viele freiberufliche Mütter werden an dieser Stelle nicken und darüber nachdenken, was sie selbst alles vorauseilend in Kauf nahmen, nur um nicht „unangenehm aufzufallen“ und ja keine „Schwierigkeiten“ zu machen. Mein Netzwerk aus Großmutter, Tagesoma und Freundin stand, es konnte losgehen.

In meinem Job hatte ich gleich mehrere Vorgesetzte. Eine davon betrat in den Tagen des Wartens auf den Start meiner Pflegemutterschaft mein Zimmer in der Redaktion, in ihrem Gesicht mühsam unterdrückte Wut. Sie wirkte, als sei sie auf der Suche nach einem Mistkübel, gegen den sie treten konnte. Sicher Zores wegen irgend etwas, dachte ich, Chefsachen halt, für die sie allerdings mehr als genug Schmerzensgeld kassierte. Irgendwann kam die Sprache auf meine bevorstehende Babypause. Sie giftete mich wegen meiner baldigen Abwesenheit an, die Diskussion wurde hitziger. „Ich verstehe das nicht“, sagte ich irgendwann, „Jede werdende Mutter darf eine Weile wegbleiben, ohne dass es zum Problem gemacht wird.“ – „Du wirst aber nicht Mutter“, schleuderte sie mir mit dem Ausdruck tiefster Verachtung entgegen. „Du bildest dir da irgendwas ein, und wir müssen den Schas mitmachen.“

Es war das erste und einzige Mal, dass ich in der Redaktion weinte.

„Du wirst aber nicht Mutter.“ Wieviele Klischees, welche Grundhaltung, die doch eigentlich im geschichtlichen Halbdunkel der Mutterkreuzler vermodern sollte, welche Bosheit steckt in diesen Worten? „Du wirst aber nicht Mutter.“ Meine Erfahrung lehrt mich, dass diese Sichtweise häufiger anzutreffen ist, als ich dachte. Und mehrheitlich bei Müttern. Warum?

Ich habe meine Tochter nicht selbst zur Welt gebracht, und sie trägt auch nicht meinen Namen. Für sie und mich persönlich macht das keinen Unterschied. Auch nicht, dass ich mich im Auftrag der Stadt Wien um sie kümmere. Nun, hat das Schicksal eben einen anderen Weg gewählt, uns zusammenzubringen. Denn dass dieses Kind zu mir gehört und ich zu ihm, das steht für mich außer Frage. Pflegemutter zu sein ist die Hardcore-Variante der Elternschaft: Wir tragen nicht nur die Verantwortung für alles, was dem Kind in unserer Obhut geschieht, sondern auch dafür, was ihm davor widerfuhr. Pflegekinder bringen einen ganzen Rucksack an Erfahrungen und so manche Narbe mit, und wir, die Pflegeeltern müssen damit klarkommen – und oft genug den Preis zahlen.

Pflegekinder haben einen anderen Nachnamen, einmal im Monat sehen sie ihre leiblichen Eltern, und die Pflegeeltern müssen diese Besuche bei den Menschen, denen das Kind zuvor abgenommen wurde, „positiv begleiten“, wie es so schön heißt. Das alles hat natürlich eine höhere Ebene: Wir werden jeden Tag daran erinnert, dass die Kinder nicht unser Eigentum sind – eine Einsicht, die im Grunde alle Eltern bräuchten.

Wir sind vor dem Gesetz nicht Mütter – und doch viel mehr Mutter, als andere je sein müssen: Unsere Finanzen und Biografie werden durchleuchtet, schließlich gilt es, festzustellen, ob wir überhaupt geeignet sind, ein Kind zu erziehen. Keine biologische Mutter muss so einen Test durchlaufen. Wir müssen regelmäßig Berichte abliefern, ob auch alles gut läuft. Alles, was wir sagen oder machen, wird dokumentiert und in Aktenordnern gesammelt. Wir sparen dem Staat viel Geld, geben der Gemeinschaft dafür „funktionierende“ Mitglieder und Steuerzahler zurück. Wir müssen jeden Tag mit den Vorurteilen umgehen, die Pflegekindern auch heute noch entgegengebracht werden – selbst von Pädagogen („Achten Sie darauf, solche Kinder ritzen sich später meist“), von den Eltern anderer Kinder sowieso („Marie-Hortense*, ich möchte nicht, dass du mit diesem Kind spielst“) und weiß Gott von wem noch. Und dabei gilt es darauf zu achten, dass unsere Kleinen diese Vorurteile nicht zu früh zu spüren bekommen – wissend, dass dieser Moment unaufhaltsam näher rückt.

Zwei Jahre, nachdem mein Vorsatz Realität wurde (Im Text „Ein Kind mit Geschichte“ aus dem Jahr 2012 erläutere ich meine Motive: http://typischich.at/home/liebe/familie/727111/Kind-mit-Geschichte ), kann ich sagen: So eine Mutter zu sein, unter genau diesen Umständen, ist genau, was ich will. Ich bin weder perfekt noch habe ich alles stets im Griff. Aber in diesem Punkt unterscheide ich mich nicht von jeder anderen Mutter.

In dem Moment in der Redaktion, als ich mir von dieser Frau anhören musste, dass das, was ich vorhatte, in ihren Augen gar nicht als Muttersein galt, war ich noch verletzlich, unsicher, was die Zukunft bringen würde. Ich hatte Bammel vor meiner eigenen Entscheidung, Sorge, ob ich das alles packen würde. Ich hoffte auf Zuspruch von meiner Familie und meinen Freunden und natürlich auch auf den Rückhalt meines Arbeitgebers, den jede werdende Mutter braucht und für den sie sich fast immer mit großem Einsatz und Loyalität bedankt. Was mir in diesem Moment jedoch vermittelt wurde war, dass mein Weg ein Kind zu bekommen, nicht „galt“, sondern vielmehr als unnötige Frivolität betrachtet wurde, als „Schas“. Und dass eine, die so einen „Schas“ will, mit allem rechnen soll, nur nicht mit Unterstützung.

Diese Frau blieb übrigens nicht die einzige, die mir einreden wollte, eine Pflegemutter sei keine „echte“ Mutter. Eine Frau vom anderen Ende des weltanschaulichen Spektrums warf mir gar vor, ich hätte eine „Abkürzung“ genommen, mir ein Kind unter Umgehung von Schwangerschaft, Geburt und Babybreialter „erschlichen“– allerdings sagte sie das erst, nachdem sie erkannt hatte, dass meine Kleine weder gestört noch dumm noch hässlich ist, im Gegenteil. Davor war sie wirklich reizend zu mir gewesen.

Es heißt immer, unser Land sei so kinderfeindlich. Unser Land ist nicht kinderfeindlich. Es ist elternfeindlich. Väter und Mütter haben so viele Hürden zu überwinden, besonders in der Arbeitswelt. Warum versuchen wir dann, einander auch noch das Leben schwer zu machen?

Möglicherweise plagte die Vorgesetzte später das schlechte Gewissen. Als die Personalchefin eine Teilzeitvariante vorschlug, die für mich finanziell besser aussah als jene, die mir irgendein Idiot von der Arbeiterkammer nahegelegt hatte, stimmte sie vorbehaltlos zu, obwohl es das Unternehmen mehr kostete. Ich bedankte mich mit einem Blumenstrauß. Man will ja keine Schwierigkeiten machen.

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Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:07

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