Die Vorweihnachtszeit 18, die Vorweihnachtszeit 19: Eine schlechte Zeit für Klassiker

Am 20.12.2018 verstarb der Zeichner und Dichter F.W. Bernstein, vielleicht einer der klügsten Köpfe der „Neuen Frankfurter Schule“, der sich nicht nur durch seinen Zweizeiler „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche“ unsterblich gemacht hat. Auch seine - na ja: Biographie „Richard Wagners Fahrt ins Glück: sein Leben in Bildern und Versen“ ist uneingeschränkt zu empfehlen; seine Gedichte sind eh von klassischer Eleganz, wie das folgende „Gebet“ aus dem Band „Frische Gedichte“: „Ich war noch zu klein, / um beim Führer ein richtiger Nazi zu sein. / Und nach dem Krieg, nach all den Toten, / da war‘s verboten. / Neue Nazis, da ham wir sie nun. / Was tun? / Verständnis zeigen? / Verachtung? Abscheu? Ängstlich schweigen? / Ach was: / Hier hilft nur Hass!“

Wie Recht er hat.

Einen Tag später verstarb Wolfgang Pohrt, einer der wichtigsten politischen Autoren der Bundesrepublik, von dem gerade eine Werkausgabe in der edition tiamat erscheint. In den Jahren nach 1990, als ich seine klugen Artikel in „konkret“ las, nahm er es mit dem wiedervereinigten Deutschland („Das wiedervereinigte Deutschland wäre demnach eine Gesellschaft von ressentimentgeladenen Enttäuschten, hadernd mit ihrem Schicksal, mit Gott und der Welt. Die Nation, die sie haben wollten, hat ihnen nichts gebracht, zumal sie einander partout nicht mögen.“ ), seinen rassistischen Mördern („Daß es ein Fehler war, im Jahr 1938 die Synagogen niederzubrennen, jüdische Geschäfte zu zerstören, die Juden durch die Straßen zu hetzen und zu erschlagen, begriffen die Landsleute erst, als ihre eigenen Städte wie die niedergebrannten Synagogen aussahen und sie selber auf der Flucht waren. Es wäre lehrreich für die Deutschen, die fühlen müssen, da sie nicht hören mögen, und es wäre ein Triumph der Gerechtigkeit obendrein, würde das ausländerfreie Hoyerswerda bald den mit Brandsätzen und Stahlkugeln attackierten Ausländerwohnheimen dort gleichen, und die Einheimischen müßten fliehen von dort, wie die Ausländer fliehen mußten.“ ), seiner Friedens- („die Nazi-Parole ‚‘Kein Blut für Öl‘“ ) und Kriegsbewegung („Wer vor einem halben Jahr hätte voraussagen müssen, welches Volk das bevorzugte Haßobjekt der deutschen Medien werden würde, hätte vielleicht auf die Polen oder auch die Tschechen, aber bestimmt nicht auf die Serben getippt,denn nach Jugoslawien ist es ein weiter Weg (...) und sogar die Nazis waren realistisch genug, sich ihre Feinde zunächst nach Maßgabe der Erreichbarkeit auszusuchen.“ ) locker auf. Und noch immer sind seine Texte aktuell: „Die zentrale Lüge des Geredes von den verschiedenen Kulturen besteht also darin, daß es Einwanderer zu Angehörigen einer anderen Kultur erklärt, obgleich diese Einwanderer sich in allen Dingen von Belang überhaupt nicht von den Einheimischen unterscheiden müßten. Wenn sie es doch tun, liegt das nicht an ihrer Herkunft, sondern an den Bedingungen im Einwanderungsland, an den Erwartungen nämlich, die man in der Bundesrepublik an die Einwanderer richtet. Weil sie als Einwanderer nicht akzeptiert werden, sondern Ausländer bleiben sollen, müssen sie hier die Exoten spielen. (…) Denn in keinem der Herkunftsländer von Einwanderern dominiert noch unangefochten eine auf Tradition basierende geschlossene Lebensform mit festen Sitten, Bräuchen, Trachten, Festen, was schon daraus ersichtlich wird, daß diese Länder zu Auswanderungsländern geworden sind.“ Als die „Achse des Guten“ noch nicht als Triggermedium für den rechtsradikalen Kommentatorenmob fungierte, konnte man dort 2013 Pohrts Einschätzung lesen, die „Islamophobie“ sei „eine Art Aufbautraining für schwächelnden Antisemitismus“, welche sich heute, da immer offener von „globalen Eliten“ geraunt wird, welche angeblich hinter „Flüchtlingswellen“ und „Klimareligion“ steckten, zu bewahrheiten scheint.

Und als wäre der frühe ( verglichen mit Trenker! Riefenstahl !! Jünger!!! ) Abgang dieser beiden Klassiker nicht schon deprimierend genug, starb ein Jahr später, am 20.12.2019, Hermann L. Gremliza, der fast ein halbes Jahrhundert lang die wichtigste deutsche Zeitschrift herausgegeben hat. Durch seine Leitartikel, mehr noch aber seinen „Express“, in dem er das auseinandernahm, was in der bürgerlichen Presse an schiefen Sätzen zusammengebaut wird, darf man lernen, was, wenn man die deutsche Sprache nur beherrscht, in und mit ihr gesagt werden kann. Einer meiner Lieblinge stammt aus dem Jahr 1980, als Gremliza sich und seine Leser regelmäßig mit den Stilblüten eines – längst vergessenen – Autors der „Zeit“ (wohl schon damals eine bewährte Einschlafhilfe für Studienräte) erfreute: „Turbulente Zeiten: James Last nennt Mozarts Violinkonzert musikalisch absolut wertlos, Johannes Mario Simmel will den »Faust« umschreiben, Mike Krüger findet Caruso stimmlich dürftig, Opa Kuchinke will Niki Lauda ausbremsen und Theo Sommer sagt über die Sprache kommunistischer Funktionäre: „Das Deutsch ist fürchterlich: ein Papierdeutsch“ ... Alles darfst du werden, Theo, alt, kahl und drogenabhängig. Aber nicht frech.“

Tröstlich aber für Sommer, dass er im Text eines Klassikers überlebt.

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Don Quijote

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pirandello

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