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Letzte Woche war meine Omschi zu Besuch. Alle paar Monate reist sie mit dem Zug von Lunz am See an und verbringt ein paar Tage bei meinen Eltern in Wien. Bei dieser Gelegenheit entführe ich sie dann immer für einen Abend ins Theater oder Kino – und danach stürzen sich die Enkeline und ihre Granny ins Wiener Nachtleben. Als dynamisches Duo sind wir dann unschlagbar: Als charmanter Generationenmix bringen wir es jedes Mal auf mehr Getränkeeinladungen als der Mini-Rock neben uns an der Bar.

Ich liebe diese Abende. Bei einem Prosecco (oder mehreren) lausche ich dann immer gespannt Omschis Anekdoten und bin ein ums andere Mal erstaunt darüber, dass ich noch immer nicht alle kenne.

So erzählte sie mir das letzte Mal etwa eine Geschichte aus ihrer Schulzeit. Die kleine Grete – so der Name meiner Oma – wuchs mit sieben Geschwistern in einem kleinen Bauernhof in den Voralpen auf und musste über eine Stunde zu Fuß in die Schule gehen. Es waren die Nachkriegsjahre und oft reichte das Essen nicht für alle Kinder. Sie mussten dann mit knurrendem Magen zu Bett gehen.

Eines Tages betrauten die Eltern Grete und ihrer Schwester Paula eine besondere Aufgabe an: Sie sollten nach der Schule einen riesigen Laib Brot in der Bäckerei kaufen und mitnehmen – ein seltenes Festmahl für die Familie. Schon am Heimweg konnten Paula und Grete sich nicht zurück halten und brachen etwas von der knusprigen Rinde ab. Natürlich machten sie sich sogleich Sorgen, was denn die Mutter dazu sagen würde – doch dieses Problem sollte sich gleich sprichwörtlich in Luft auflösen.

Kurz bevor sie den Hof erreichten, geschah es: Der große, runde Laib fiel den Mädchen aus den Händen und rollte einen Hang hinab. Immer schneller wurde er – und schon war er weg. Die Mädchen suchten ihn stundenlang verzweifelt. Heulend liefen sie letztendlich nach Hause. Für die Familie war das verlorene Brot natürlich ein herber Verlust.

Erst eine Woche später wurde der Laib bei Mäharbeiten gefunden: Er war jedoch bereits zur Hälfte von Schnecken gefressen worden. Zumindest diese hatten ein Festmahl.

Diese Geschichte gibt mir sehr zu denken: Vor zwei Generationen war ein Stück Brot etwas ungemein Kostbares. Und nun wirft der durchschnittliche Europäer zwischen 95 und 115 Kilogramm Essen im Jahr weg, obwohl vieles davon noch genießbar wäre. Hinzu kommen noch die Berge an Lebensmitteln, die in den Supermärkten aussortiert werden.

Wir leben in einem bizarren Überfluss und sind uns dessen oft nicht bewusst. Meine Omschi hat jedoch noch ganz andere Zeiten erlebt. Doch welche wird die nächste Generation erleben? Eines sollten wir uns nur immer vor Augen halten, wenn wir das nächste Mal ein Stück hartes Brot in den Müll werfen: Für einen Niedergang braucht es sicher keine zwei Generationen.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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Hansjuergen Gaugl

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