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Im Zusammenhang mit den Gräueltaten des II. Weltkrieges höre bzw. lese ich immer wieder Aussagen wie: „Das ist Ewigkeiten her! Ein anderes Jahrtausend! Wen interessiert das heute noch? Lasst die Zeit einmal ruhen!“

Vergessen wird, dass der Krieg lange Schatten wirft …

Zwei Drittel der heute Hochbetagten, viele davon in Alten- und Pflegeheimen lebend, haben im Laufe ihres Lebens traumatische Erfahrungen gemacht! Dieser, viele Jahrzehnte beiseite geschobene, Schrecken kehrt im Alter wieder. Die Kinder von damals, mit dem erlebten Entsetzen alleine gelassen, mussten nach dem Krieg funktionieren.

Die Biografien der „Alten“ sind angereichert von verdrängten Kriegserlebnissen, die im Alter wieder hochkommen, beispielsweise Bombennächte, Einkesselung, Rückzugsgefechte, Hungersituationen während und nach dem Krieg, erlebte sexuelle Gewalt. Kaum jemand hat sich mit dem Tabuthema „erfahrene sexualisierte Gewalt in den Biografien alter Frauen“ beschäftigt. Schätzungen zufolge wurden etwa 2 Millionen deutsche Frauen während des Krieges vergewaltigt und viele in den Nachkriegsjahren für amerikanische Soldaten in die Prostitution gezwungen.

Geschichtliche Kenntnisse und Sensibilisierung sind Voraussetzungen im Umgang mit hochbetagten traumatisierten Menschen, umso mehr noch, wenn sie von einer dementiellen Erkrankung betroffen sind, denn die alten Affekte brechen aufgrund der beginnenden hirnorganischen Veränderungen ungehindert durch.

Und plötzlich ist wieder Krieg …

Die Medien berichten beinahe täglich über Gewaltszenen aus aller Welt: Terroranschläge, beispielsweise in London oder Paris, gewalttätige Auseinandersetzungen in Istanbul, sich in Syrien oder im Mittelmeer abspielende Dramen, Flüchtende, zerbombte Häuser usw. im Fernsehen, in den Zeitungen, im Radio. Alte Menschen hören Radio, lesen Tageszeitungen, schauen TV und sie werden der Gewaltatmosphäre gewahr, die durch die Medien überschwappen. Und diese Bilder können wie Trigger wirken, d. h. sie sind Auslöser für die Wiederbelebung traumatischer Erfahrungen, die die Kriegskinder gemacht haben: Re-Traumatisierungen.

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Beispiele für Trigger im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen

Ein alter Mensch erstarrt beim lauten Zuknallen einer Tür. Sein Traumagedächtnis erinnert ihn an Schüsse, Explosionen. Ebenso kann Donnern Auslöser für die Wiederbelebung von Bombeneinschlägen oder Artilleriebeschuss sein.

Laute Schritte können einen Hochbetagten an die Stiefelschritte von Soldaten erinnern.

Im Krieg gab es Verdunkelungsgebote, Dunkelheit war mit Lebensgefahr verknüpft. Dies kann die Ursache dafür sein, dass alte Menschen Angst im Dunkeln haben.

Ein in den Nachrichten gezeigtes Kurzinterview in russischer Sprache lässt den alten Menschen möglicherweise erstarren oder die Flucht ergreifen.

Gezeigte Bilder im TV von Krieg lassen Erinnerungen an die, z. B. in der Normandie, „Gefallenen“, wie es damals beschönigend hieß, auferstehen, über deren Verbleib und Schicksal Angehörige oftmals keine Kenntnis erlangten.

Das Horten von Lebensmitteln deutet auf Hungersituationen hin, die Ursache für Panik in engen Räumen kann auf die Situation im Bunker zurückzuführen sein, in dem Menschen eng zusammengepfercht waren.

Die fortschreitenden, altersbedingten Abhängigkeiten können, bedingt durch den Kontrollverlust, schlimme Kriegserinnerungen wachrufen.

Die in den Nachrichten gezeigten Bilder von Flüchtlingen und Gefechten lassen alte Menschen die eigenen Erfahrungen von Krieg und Flucht erneut durchleben.

Die Reaktivierung der traumatisierenden Erfahrungen (Re-Traumatisierungen) führt bei Hochbetagten zu Übererregung, Panikattacken, massiven Angstzuständen (Schreien vor Angst; Bsp.: „Hau ab, du Russenschwein!“), Ein- und Durchschlafstörungen, Alpträumen, einem Gefühl des Betäubt-Seins, emotionaler Stumpfheit, Vermeidungsverhalten, Depressionen, Intrusionen, d. s. Erinnerungsblitze“, Flashbacks im Wachzustand (die massive Hilflosigkeit von damals wird wiedererlebt), Halluzinationen (vergewaltigte Frauen halluzinieren beispielsweise von fremden Männern, die in der Nacht ans Bett kommen), kurz: zu den klassischen Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

Oftmals wird das auffällige Verhalten hochbetagter Menschen einer (beginnenden) Demenz zugeschrieben: bei den vermeintlich dementiell bedingten Symptomen kann es sich jedoch auch durchaus um eine Re-Traumatisierung handeln, denn jedes Verhalten eines Menschen hat damit zu tun, was der Mensch erlebt hat.

Was ist das Traumagedächtnis?

Beim Traumagedächtnis handelt es sich um vor Tausenden von Jahren entstandene Gehirnstrukturen. Das sog. implizite Gedächtnis ist das Gedächtnis der Sinne, der Beziehungserfahrungen, des Körpers, und wird auch als Leib-Gedächtnis bezeichnet. Das zweite Gedächtnissystem des Menschen wird als explizites oder kognitives Gedächtnis bezeichnet: das Gedächtnis der Daten, Fakten, Reihenfolgen. Das Traumagedächtnis ist insofern nützlich, als es Menschen vor bedrohlichen Situationen schützt, die sie schon einmal durchlebt haben. Diese Situationen müssen nicht zwangsläufig in der gleichen Art und Weise stattgefunden haben, es genügt, wenn Ähnlichkeiten auftauchen. Das explizite Gedächtnis mag im hohen Alter und/oder bei beginnender Demenz zu leiden beginnen, das Traumaerleben hingegen wird im Alter bei vielen Menschen lebendig: ein Überlebensorgan des Gehirns (die Amygdala) übernimmt das Kommando, der bzw. die Hochbetagte befindet sich im Traumamodus. Verharmlosende oder bagatellisierende Äußerungen wie „das ist doch nur im Fernsehen!“ oder „das ist doch lange vorbei!“ etc. prallen an Hochbetagten ab bzw. verstärken die Not sogar, da sie das Gefühl erzeugen, dass der Schrecken nicht ernst genommen wird.

Die Bewältigungsstrategien Freeze - Flight - Fight verstehen

Menschen reagieren generell auf eine traumatische Bedrohung mit den als „Copings“ bezeichneten Bewältigungsstrategien „Einfrieren“ (freeze), „Fliehen“ (flight) oder „Kämpfen“ (fight).

Beim Freeze erstarren traumatisierte Menschen angesichts einer Bedrohung. Bei dieser Erstarrung handelt es sich jedoch nur um eine äußerliche, denn in ihrem Inneren sind sie extrem erregt und aufgewühlt. Flucht bezeichnet das Weglaufen vor als bedrohlich erlebten Situationen. Fight äußert sich als Aggressivität, die für Außenstehende unerklärbar erscheint.

Re-Traumatisierungen Hochbetagter

Niemand wird zu alten Menschen hingehen und sie bitten, von Vergewaltigung, Tod oder anderen unaushaltbaren Geschehnissen zu erzählen! Dennoch laufen wir, wenn wir mit Hochbetagten konfrontiert sind, ständig Gefahr, sie einer Re-Traumatisierung auszusetzen, - wir haben gar keine andere Wahl -, da, wie eingangs bereits erwähnt, zwei Drittel der hochbetagten Menschen in ihrer Biografie traumatisiert wurden.

Daher ist es wichtig, den Hintergrund für das, möglicherweise verstörend wirkende, Verhalten alter Menschen zu kennen und zu verstehen - und alleine dafür sind Geschichtskenntnisse unerlässlich!

https://www.mystica.tv/christine_lemmrich_kriegstraumata/ https://www.mystica.tv/christine_lemmrich_kriegstraumata/

Vgl. Nolte, Anke (2008): Die langen Schatten des Krieges, In: Heilberufe (2008): Gewaltprävention, S. 48 ff.; vgl. Baer, Udo (o. J.): Plötzlich ist wieder Krieg …, In: Altenpflege Pflege und Begleitung (o. J.), S. 36 ff.

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