Es ist eine der bekannteren biblischen Erzählungen, worin Jesus weiss, dass er von Judas Ischariot verraten wird, und seinem Jünger Petrus, der ihm immerwährende Treue verspricht, sagt, noch ehe der Hahn krähe, wird er ihn drei mal geleugnet haben. Wenig später geschieht es ebenso, wie Jesus es gesagt hatte, und aus Furcht, ebenfalls verfolgt und gekreuzigt zu werden, wird Jesus drei mal von Petrus geleugnet. Und als Petrus dann den Hahn krähen hört, geht er hinaus und weint bitterlich.

Eine übliche Art, diese Erzählung zu verstehen ist die, dass uns aufgezeigt wird, wie in den schwierigen Situationen die vermeintliche Treue zumal verloren geht, aus Angst, aus Scham, aus Feigheit. Versprechen, die einst gemacht wurden, halten den Schwierigkeiten nicht Stand. Die Lehre, die aus dieser Geschichte dann hervorgehe ist, dass sich dieser Situationen besinnt, und selber nicht in solche Schwächen verfällt, sondern die eigenen Versprechen und die eigene Treue auch dann erhält, wenn es nicht einfach ist.

Diese Lehre, obgleich nicht falsch, ist allerdings naiv, und greift nur sehr oberflächlich auf die tieferliegende Bedeutung dieser Erzählung. Dass es falsch ist, jemanden aus Angst zu verleugnen, wie Petrus es tut, ist sehr offensichtlich, aber die Erzählung sagt uns weit mehr als diese Mahnung an ein ehrenhaftes und ehrliches Verhalten. Sie sagt uns auch, dass solche Schwächen in der menschlichen Natur liegen. Dass Jesus im vornherein wusste, dass Petrus ihn leugnen würde, ist nicht oder nicht nur darauf zurückzuführen, dass er der Messias ist, sondern dass er den Menschen für das Erkennt was er ist, nämlich ein Mensch, ein unvollkommenes Wesen mit ihm innewohnenden Schwächen. Das ist ein unheimlich bedeutsamer Bestandteil dieser Erzählung, nämlich die Anerkennung der menschlichen Natur, mit ihren Schwächen und Unzulänglichkeiten.

Als Jesus aufersteht und sich den Jüngern offenbart, übergibt er ihnen Fische und Brot, nachdem sie beim Fischen erst nichts hatten fangen können, und hält mit ihnen das Mahl. Obgleich er von Petrus geleugnet wurde, hält er mit allen Jüngern das Mahl, was nun auch zu verstehen gibt, dass er Petrus' Handeln verzeiht. Petrus hatte bereut, was er getan hat, und sich dafür geschämt, Jesus verzeiht ihm nun. Dies sagt uns vieles über den Bezug zwischen der menschlichen Natur und dem christlichen Glauben: Jesus hält es Petrus nicht entgegen, ein Mensch zu sein, und somit auch Fehler zu begehen; ebenso wie Petrus seine Fehler begreift und dafür Reue zeigt. Der christliche Glaube steht nicht im Widerspruch zur menschlichen Natur, sondern er versteht und akzeptiert sie, gleichzeitig wie auch das Begreifen dieser Natur unweigerlich dazu führen soll, über sie hinaus zu wachsen, um ein besserer Mensch zu werden.

Man kann sich hier eine äusserst weit entfernte Kulturform zur Veranschaulichung nehmen: In den japanischen Samurai-Filmen des 20. Jahrhunderts ist das Prototyp der Samurai-Figur ein edler Kämpfer, welcher seinem Feudalherren bis in den Tod treu ist, und welcher sich durch jahrelanges, unnachgiebiges Training fast übermenschliche Fähigkeiten als Krieger angeeignet hat. Diese Figur wächst durch fast absolute Hingabe über ihre eigenen Schwächen hinaus, doch um diese Schwächen zu überwinden, müssen sie auch erst mal anerkannt werden. Es geht also nicht darum, die menschliche Natur zu leugnen oder zu bekämpfen, sondern sie zu verstehen und zu überwinden.

Der christliche Glaube stellt den Menschen vor eine ähnliche Herausforderung: Die Schwächen, die der menschlichen Natur innewohnen werden, wie Jesus auch weiss, dass Petrus ihn leugnen wird, anerkannt und verziehen, doch gleichzeitig wird eine Reue erwartet, eine Reue welche zugleich Anerkennung dieser Schwächen als solche bedeutet, und diese Anerkennung soll dann ausschlaggebend sein dafür, die Schwächen zu überwinden. Gott hat den Menschen geschaffen sowohl mit seiner menschlichen Natur, welche Triebe und Schwächen mit sich führt, aber auch mit einer geistigen, transzendentalen Natur, d.h. die Fähigkeit, die menschliche Natur zu erkennen, und über diese hinaus zu wachsen, um so zu einem besseren Menschen zu werden. Erst diese transzendentale Natur erhebt den Menschen zu mehr als einem Tier, zu einem Wesen, welches über die Triebe und Instinkte hinaus begreifen kann.

Das Bereuen der Sünden, das von den Gläubigen erwartet wird, wird oftmals zu einem konstanten Niedermachen verzerrt, um den Glauben als unterdrückend und menschenverachtend darzustellen. Doch ganz im Gegenteil, die Erwartung, über die eigenen Sünden Reue zu zeigen, entstammt daher, dass der Mensch somit die eigenen Schwächen erkennen soll, welche er dann zu überwinden hat um sich als Mensch zu bessern. Es ist insofern ein fundamental humanistischer Ansatz, eben das Menschliche gegenüber dem Tierischen hervorzuheben und geltend zu machen. Der christliche Glaube will so den Menschen von den innewohnenden Trieben, Instinkten und Schwächen befreien, indem er ihn zum Mensch macht. Die Idee hingegen, dem Menschen wohl zu tun, indem man allen Trieben freien lauf lässt, ist keine Befreiung, sondern seine Knechtung durch das Animalische, und somit dem Humanismus vollkommen entgegengesetzt.

Es gibt und gab Glaubensrichtungen, welche der menschlichen Natur zu widersprechen suchen, wie es die alten Babylonier taten, als sie ihre Kleinkinder dem Götzen Moloch opferten, oder in welchen es brauch ist, die Vorgaben des Glaubens durch Mentalgymnastik zu umgehen, indem man sich selber davon überzeugt, dass das Handeln, welchem man wider den Lehren des Glaubens nachgeht, gar nicht falsch sei, wodurch man sich sogar anmasst, Gott selber betrügen zu können. Der christliche Glaube hingegen akzeptiert die menschliche Natur, versteht sie, und lehrt uns, dass wir sie immerzu überwinden müssen, um wirklich auch ein Mensch sein zu können, der dieser Bezeichnung würdig ist. Den Schwächen unserer Natur zu verfallen ist nicht unverzeihlich, darum sollen wir Reue zeigen und um Vergebung bitten, um uns dann bessern zu können, um über uns hinaus zu wachsen.

Die Anstrengung, durch eigene Bemühung ein besserer Mensch zu werden, wie auch der Samurai seinem intensiven Training unnachgiebig nachgeht, verfällt oftmals der Trägheit, welche letztlich ebenfalls in der menschlichen Natur liegt. Viele Menschen entscheiden nun, nur noch dem banalen, oberflächlichen und hedonistischen Pläsier nachzugehen. Lieber in der Welt herumreisen und Party machen, als eine Familie gründen oder der Gesellschaft beizutragen. Der moralische Kompass des christlichen Glaubens geht verloren, während sich Bürokraten und Opportunisten zu unseren Schäfern aufspielen, und uns versichern dass der Staat nun unsere Moral diktieren und unsere Gesellschaft ordnen wird. Selbst viele Christen und sogar Theologen verfallen dieser Auffassung, dass der christliche Glaube wenig mehr ist, als ein Paar gutmenschenhafte Phrasen, und vergessen, dass dieser Glaube tatsächlich die Gebrauchsanweisung für den Menschen als freies, mündiges Individuum darstellt. Aber letztlich liegt auch dieses Vergessen in der menschlichen Natur.

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