In seiner Rede vor dem Publikum der Wiener Festwochen verkündete der „Welt“-Herausgeber Ulf Poschardt, der israelische Ministerpräsident Benyamin Netanjahu stehe ihm näher als der Schweizer Intendant der Festwochen, Milo Rau. Diese Aussage wirkt erst einmal befremdlich, suggeriert sie doch, man könne Politiker und Künstler einfach so miteinander vergleichen, ohne sich lächerlich zu machen: „Mir steht Friedrich Merz näher als Peter Handke“ – „Mir steht Giorgia Meloni näher als Sylvia Plath“ – wer solche Sätze äußerte, würde wohl nichts weiter ernten als etwas ratloses Schulterzucken. Einigermaßen sinnvoll wäre die Äußerung ja nur, wenn Rau zuvor irgendetwas Antisemitisches oder Sympathien für BDS geäußert hätte. Poschardt begründet sein Statement damit, Raus Motto von der „Republik der Liebe“ sei nicht mehr zeitgemäß, da sich der freie Westen längst im Kampf gegen seine Feinde befinde, nutzt dann aber den Rest (ca. 10 von 12 Minuten) seiner Rede, um in einem ebenso selbstverliebten wie beleidigten Duktus in die Rolle des fälschlicherweise Gecancelten zu schlüpfen: sein Buch habe nicht erscheinen dürfen, die Verlegerin – oder, wer weiß, dunkle Mächte – hätten dies verhindert, er habe es selbst verlegt und nun verkaufe es sich gut (es erscheint jetzt in einer erweiterten Auflage in einem anderen Verlag und es ist ebenso naheliegend wie verständlich, dass Poschardt ein wenig die Werbetrommel rührt). Die Diskrepanz zwischen der Aussage, man höre ihm nicht zu und lasse ihn nicht zu Wort kommen, und der Tatsache, dass man ihm zuhört und ihn zu Wort kommen lässt, scheint ihm nicht bewusst zu sein. Und auch wenn eine offenbar entsetzlich dumme Person mit einem entsetzlich dummen Spruch den Saal verlässt, fällt doch auf, wie weitgehend gesittet – wenn auch etwas peinlich berührt – das Publikum einem Vortrag lauscht, in dem es permanent beschimpft wird. Es wäre zu fragen, ob Poschardt mit dem antiintellektuellen Gestus seines Vortrags nicht genau die Ressentiments bedient, die den europäischen Populismus befeuern. Und wie kläglich wirkt die Beschwerde über Subventionen des Kulturbetriebs, wenn man sich vor Augen führt, dass Poschardt das, was er schreibt, dort, wo er schreibt, nur deswegen veröffentlichen kann, weil das Hauptmedium seines Verlags Geld damit verdient, dass es, zum Beispiel, im Privatleben ehemaliger Fußballspieler herumschnüffelt und die so gewonnenen Erkentnisse zur Titelstory macht.
Ich gebe zu, das erwähnte Buch („Shitbürgertum“ ) nicht gelesen und die Rede bei den Wiener Festwochen nur einmal gehört zu haben. Beim Buch scheint es sich um eine der üblichen rechten Kulturkampfschriften zu handeln, bei denen bereits der Titel verrät, warum man sich die Lektüre sparen kann. Dass es weniger um eine essayistische Abhandlung als vielmehr um eine Art Statement gehen muss, kann man allein schon daran erkennen, dass, wer nicht 22, sondern 34 € zahlt, noch eine gelbe Basecap zum Buch erwirbt, auf der „Shitbürgertum“ steht. Das erinnert an die amerikanischen Trump- oder MAGA-Kappen, mit denen deutsche Rechte gerne provozieren: Wenn ich mich recht erinnere, berichtete M. Klonovsky einmal, er sei mit einer solchen Kappe aufs Oktoberfest gegangen – na, wenn‘s der Wahrheitsfindung dient, möchte man Fritz Teufel zitieren, ich rate aber dazu, falls sich jemand mit der gelben Poschicap in einen Bioladen verläuft oder auf eine Demo der Omas gegen Rechts, ihn zu ignorieren.
Wen er aber weniger als „Shitbürger“ sieht, machte Poschardt am 27.6.25 in der „Welt“ deutlich, als er forderte, die Union solle „in ein Gespräch mit jenen eintreten, die als gemäßigte Teile der AfD die Kritik der Bürgerlichen teilen.“ Zu diesen „Gemäßigten“ zählt er auch Maximilian Krah, dessen Ausführungen zur SS die anderen europäischen Rechten dazu brachten, diese Partei aus ihrer Fraktion auszuschließen. Anlass ist die Forderung Krahs, den Begriff „Remigration“ nicht mehr im sellnerschen Sinne – also genau so, wie es die laut Poschardt „weitgehend lächerlichen ‚Enthüllungen‘ des weitgehend lächerlichen Redaktionskonstrukts ‚Correctiv‘“ erbrachten, als Deportationen auch von deutschen Staatsbürgern – zu verwenden, sondern eine Art „innerdeutschen Ethnopluralismus“ anzustreben, was die Abschiebung unerwünschter Ausländer natürlich nicht ausschließt. Für Poschardt ist Krahs Move bereits ein Zeichen, dass sich Teile der AfD „in Richtung Koalitionsfähigkeit“ entwickeln wollen, und fordert, die CDU solle „in ein Gespräch eintreten“ mit denjenigen AfDlern, die mithilfe einer Koalition an die Macht kommen wollen. Denn die „Brandmauer“, so Poschardt, „verbarrikadiere“ der AfD „alle Wege zurück (sic! TS) in die Mitte“. Man fragt sich, ob Poschardt die letzten Jahre im Kofferraum seines Porsches verbracht hat. Hat er nicht mitbekommen, wie entschlossen und zielstrebig sich die AfD in Richtung des Rechtsextremismus entwickelte, hat er vergessen, dass Petry Lucke entthronte, Meuthen Petry und Weidel und Chrupalla wiederum Meuthen und dass dieser Kurs nicht nur von Krah vorangetrieben wurde? Die Bereitwilligkeit, mit der Poschardt die Konservativen – als hätte es 1933 nicht gegeben – in eine Zusammenarbeitmit mit einer rechtsextremen, zum Teil offen antisemitischen Partei drängen will, nur weil einer ihrer Kader die vermeintlich gemäßigte Position einnimmt, man müsse als „fremd“ gelesene deutsche Staatsbürger nicht unbedingt „remigrieren“, zeigt die Verkommenheit eines Milieus, das die fragilen Restbestände einer aufgeklärten und liberalen Gesellschaft den 20% Rechtsextremen ausliefern will, deren parlamentarischer Arm nur darauf wartet, die CDU/CSU erst vor- und dann in die Bedeutungslosigkeit zu führen. Die Frage, wer denn zum „Shitbürgertum“ zählt, würde ich anders beantworten.