Erst kürzlich wurden Statistiken Publik, welche sowohl in Deutschland [1] wie auch in der Schweiz [2] eine Zunahme der Ausländerkriminalität. Dies ist im Grunde kein Novum, da seit Jahren schon die Statistiken auf eine höhere Proportion von Kriminalität unter Ausländern, besonders auf gewisse Nationalitäten oder Herkunftsregionen bezogen, hinweisen. Diese offensichtliche Tatsache wird zumal mit unterschiedlichen Relativierungen gekontert: Es läge vielleicht an der „sozioökonomischen Position“ dieser Bevölkerungsgruppen, oder daran, dass sie häufiger angezeigt werden (implizit also: Rassismus), oder es sind einfach die Statistiken, die willentlich so interpretiert werden, um fremdenfeindliche Vorurteile zu bestätigen [6]. Vor allem letztere Behauptung ist deshalb interessant, weil eigentlich so gut wie keine Publikation der Mainstream- oder Staatsmedien diese Position vertritt, welche allenfalls individuell mit extrem geringer Reichweite verbreitet werden. Sucht man im Internet mit Stichworten wie „Ausländer“ und „Kriminalität“, so findet man dutzende Inhalte, die davon reden, wie Verzerrt die Auffassung ist, Ausländer seien irgendwie grundsätzlich krimineller, aber sehr wenige die das wirklich explizit behaupten. Excusatio non petita, acusatio manifesta.

Es ist leicht zu sehen, dass dies ein Fall von „es kann nicht sein, was nicht darf sein“ ist. Die Idee dass Ausländer, oder schlimmer noch, Menschen von anderen Ethnien inhärent mehr zur Kriminalität neigen stösst einerseits gegen die Auffassung, dass solche Merkmale nichts über die Person aussagen sondern alle Menschen im Grunde innerlich gleichwertig sind, und, führt man dies weiter, dass es ungerecht ist, Vorurteile gegen Menschen aufgrund ihrer Nationalität oder Ethnie auszusprechen, da diese sehr schnell zu einer rassistischen Diskriminierung führen werden. Erkannte man, dass gewisse Bevölkerungsgruppen mehr zu Verbrechen tendieren, würde man sie unter Generalverdacht stellen, sie im Vornherein wie Kriminelle behandeln. Das wäre unfair.

Interessanterweise verhält es sich in Bezug zum Geschlecht nicht so: Hier ist es kein Problem, offen anzusprechen, dass Männer beim Begehen von Verbrechen die Frauen bei Weitem überwiegen. Die Schlagzeilen sind hier teils extrem explizit: „Es sind Männer“, titelt die TAZ [7], „Kriminalität ist männlich, Sicherheit ist weiblich“, schreibt Kripo.at, das Onlinemagazin der Vereinigung Kriminaldienst Österreich [8]. All diese Ausführungen sollen lediglich aufzeigen, dass es nachweislich nicht Scheu vor Verallgemeinerungen oder Mustererkennung ist, sondern Scheu davor, die Muster zu erkennen, welche man zuvor schon ausgeschlossen hatte. Dies nennt man „Kognitive Dissonanz“ [9].

Dieser Kognitiven Dissonanz, den Relativierungen dessen, was man wider dem, was die Statistiken zu zeigen scheinen, erkennen möchte, liegt in letzter Instanz ein problematisches Verständnis über die Wechselwirkung zwischen dem Konzept des Individuums und dem des Kollektivs zu Grunde. Ein Urteil über ein Kollektiv zu fällen, aufgrund einer statistischen oder gar subjektiven Prävalenz, ist nicht gleich der Behauptung, diese Eigenschaft würde jedem Individuum dieses Kollektivs inne wohnen. Stattdessen ist es eben nur das Erkennen eines Musters, der Häufung einer Eigenschaft oder eines Phänomens, und somit der höheren Wahrscheinlichkeit, dass dieses im Individuum des jeweiligen Kollektivs auftritt.

Solche Muster zu erkennen ist nichts anderes als das erkennen offensichtlicher Tatsachen, wird allerdings zumal mit einer absoluten Übertragung dieser Eigenschaft auf alle Individuen zuzuschreiben, was den Reflex, das Erkennen dieser Muster zu unterbinden erklärt. Es ist nichts anderes, als eine gute Absicht: Man möchte verhindern, dass jedem Individuum eines Kollektivs eine Eigenschaft zugeschrieben wird, nur weil diese im Kollektiv prävalent ist. In der Praxis bedeutet es allerdings, dass man das Individuum nicht vom Kollektiv trennen kann oder möchte: Geht man davon aus, dass das Erkennen einer Eigenschaft eines Kollektivs bedeutet, dass diese Eigenschaft allen Individuen dieses Kollektivs zugeschrieben wird, so ordnet man das Individuum dem Kollektiv unter, und negiert die Individualität. Gerade dass ein Individuum sich vom Kollektiv unterscheidet, wäre für die Individualität von Bedeutung. Will man unbedingt die kollektiven Eigenschaften leugnen, so tut man dies, weil man implizit davon ausgeht, sie würde auf alle Individuen zutreffen müssen, und somit dass die Individuen nur in Funktion des Kollektivs zu verstehen sind.

Vorbehalte gegenüber Individuen eines Kollektivs sind insofern nachvollziehbar und logisch: Gehört ein Individuum einem Kollektiv an, so ist es wahrscheinlicher, dass gewisse Merkmale in diesem Individuum vorkommen. In der Kriminalistik spricht man vom sog. „Profiling“, einer differenzierten Betrachtung der Personen oder Verdächtigen, je nach dem wie sie in ein gewisses Profil passen. Diese Praktik ist aus den selben Gründen, wie in diesem Text aufgeführt werden, umstritten: Es ist letztlich eine Diskriminierung danach, ob die jeweilige Person oder Personen aufgrund ihres Profils eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, gewissen Verhalten nachzugehen, und entsprechend kann eine Ungleichbehandlung daraus resultieren. Doch letztlich ist dies auch nichts anderes, als eine Orientierung gemäss statistischer Prävalenz, und im Endeffekt hat die Individuelle Beurteilung eines Tatverdächtigen zu gelten.

Der Sprachgebrauch ist in dieser Hinsicht, zugegeben, manchmal etwas plump: Sagt jemand, er möge Schwarze/Türken/Asiaten/usw. nicht, so kann dies als eine absolute Verallgemeinerung verstanden werden, ist zumeist aber eine Einschätzung des Kollektivs, bzw. dessen prävalenter Eigenschaften; während das Individuum, möglicher Bedenken aufgrund dieser statistischen Wahrscheinlichkeit zu trotz, wohl eben individuell eingeschätzt würde. Doch auch viele Leute sind sich dieser Unterscheidung nicht Bewusst, vornehmlich weil der zeitgeistliche Standpunkt das nicht vermittelt, sondern stattdessen, wie oben erläutert, implizit das Urteil eines Kollektivs auch zwingend auf jedes Individuum überträgt. Im scheinbaren Fehlen der Möglichkeit, über ein Kollektiv zu urteilen, ohne damit über jedes Individuum dieses Kollektivs zu urteilen, läuft es letzten Endes darauf hinaus, im Widerwillen, Mustererkennung zu ignorieren, allen Individuen die prävalenten Eigenschaften des Kollektivs zuzuschreiben.

Hand aufs Herz, wer kann schon von sich sagen, nicht gewisse Vorlieben oder Abneigungen gegenüber spezifischen Bevölkerungsgruppen zu haben, sei es um Nationalität, Ethnie, Geschlecht, oder gar Erscheinungsbild oder Sprachgebrauch? Doch ebenso, wer würde schon von sich sagen, dass er ein Individuum, welches dem Kollektiv zu welchem man Vorliebe oder Abneigung hat, nicht als Individuum an sich beurteilen würde, ob es nun der entsprechenden Erwartung entspricht oder wider dieser Erwartung ist? Dies ist nicht scheinheilig, rassistisch, sexistisch, oder sonst irgendwie diskriminierend oder ungerecht. Es ist lediglich die rationale Unterscheidung von Individuum und Kollektiv.

Es ist gerade diese forcierte Relativierung, sowie der Versuch, die Erkennung von Prävalenzen und Muster innerhalb eines Kollektivs zu unterbinden, die letztlich für genau das verantwortlich sind, was sie zu verhindern versuchen, nämlich dass den Individuen die Eigenschaften des Kollektivs undifferenziert zugeschrieben werden. Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert.

[1] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2023/mehr-gewalttaten-in-2022/

[2] https://weltwoche.ch/daily/schweiz-verroht-schwere-gewaltverbrechen-erreichen-historischen-hoechststand-auslaender-kriminalitaet-steigt-dramatisch/

[3] https://www.woz.ch/1639/kriminalitaetsstatistik/wie-kriminell-macht-die-farbe-des-passes

[4] https://www.focus.de/politik/deutschland/wissenschaft-vs-politik-wir-wissen-weniger-ueber-fluechtlingskriminalitaet-als-wir-denken_id_180440810.html

[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/wissenschaft-vs-politik-wir-wissen-weniger-ueber-fluechtlingskriminalitaet-als-wir-denken_id_180440810.html

[6] https://www.srf.ch/news/schweiz/auslaenderkriminalitaet-eine-statistik-viele-schlagzeilen

[7] https://taz.de/Verbrechen-und-Gender/!5632054/

[8] https://www.kripo.at/assets/kriminalitaet-und-sicherheit.pdf

[9] https://hub.hslu.ch/business-psychology/kognitive-dissonanz/

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