Seit nunmehr einigen Jahren läuft eine niemals enden wollende Diskussion über die Bedeutung der Redefreiheit. Betonung auf „Redefreiheit“ und nicht Meinungsfreiheit, denn was geläufig als „Meinungsfreiheit“ bezeichnet wird, ist eigentlich eine Redefreiheit, die Freiheit, alles sagen zu dürfen, was nicht explizit vom Gesetz untersagt ist. Schon deshalb ist diese ganze Diskussion, auch hier Betonung auf Diskussion und nicht Debatte oder Diskurs, da eigentlich nichts auf rationaler Grundlage debattiert oder argumentiert wird, eigentlich nichtig. Es soll angeblich um die Frage gehen, wo die Grenzen der freien Äusserung liegen, ob man falsche Informationen oder sogar vermeintliche Hetze verbreiten darf oder dürfen sollte.

Die Grenzen der Redefreiheit hat die Gesellschaft sich selber auferlegt und stehen mit ziemlicher Klarheit im Gesetz. Das Problem kann daraus entstammen, wenn man nicht mehr klar sieht, was ein Absolut ist, und was ein menschliches Konstrukt. Gesetze sind ein Konstrukt der Menschen, und nicht gottgegeben. In einer demokratischen Gesellschaft werden Gesetze mehr oder weniger in gegenseitigem Einverständnis erdacht, und sollen die Regeln, welche wir uns als Gesellschaft auferlegen, und die wir von allen erwarten, befolgt zu werden, definieren.

Eine erfundene, erlogene Nachricht zu verbreiten, z.B. von einem Erfinder, der einen Fernseher gebaut haben soll, welcher statt Elektrizität zu verbrauchen diese produziert, ist nach keinem Gesetz strafbar. Das Problem, Falschheiten per Gesetz zu ahnden ist, dass es dann eine gesetzlich anerkannte Wahrheit geben muss, gegen welche die vermeintlichen Falschheiten verstossen würden. Dies wäre das, was man ein Dogma nennt, und es wäre hochproblematisch, da oftmals etwas, das man wahr meinte, sich als falsch herausstellen könnte. Wenn man die anerkannte Wahrheit nicht in Frage stellen darf, dann kann diese niemals als falsch entlarvt werden. Diese relativ einfache Überlegung ist leider vielen begrenzten Geistern zu hoch, und sie verlangen weiterhin die gesetzliche Unterdrückung vermeintlicher Falschheiten, ohne zu begreifen, was diese Forderung eigentlich bedeutet.

Meinungen, welche stark von den gesellschaftlich akzeptierten Meinungen abweichen und folglich als „extremistisch“ eingestuft werden könnten, sind zumeist auch nicht ungesetzlich, obgleich eventuell gewisse gesetzliche Grenzen bezüglich Volksverhetzung, Diskriminierung oder Aufruf zu Hass oder Gewalt existieren. Je nach dem können gewisse Äusserungen grenzwertig sein, die Verachtung gewisser Personengruppen an sich muss allerdings nicht unbedingt als gesetzeswidrig gewertet werden, wenn es keinen Aufruf zu Hass oder Gewalt darstellt. Schliesslich sollte jeder frei sein, Personen oder Personengruppen zu mögen oder nicht zu mögen. Wenn hingegen ein offensichtlicher Aufruf zu Hass oder Gewalt vorliegen würde, so wäre dies weniger seitens der Plattformen, auf welchen diese Aufrufe publiziert werden, zu ahnden, als direkt über die Justiz.

Es ist fraglich, warum einer Organisation, welche eine Plattform für freie Äusserung bietet, auferlegt werden sollte, die Mittel für eine kontinuierliche Kontrolle der Inhalte bereitzustellen. Man stelle sich vor, ein Restaurant müsste eine Horde von Moderatoren einstellen, welche allen Konversationen der Gäste zuhören, um allfällig gesetzeswidrige Aussagen zu melden, da diese ja auch in der Öffentlichkeit verkündet werden. Die freiheitliche Gesellschaft geht grundsätzlich von einem Vertrauensprinzip aus: Man nimmt an, dass keine Straftat begangen werden wird, und wenn doch, dann muss dies erst gemeldet werden. Deshalb gibt es nicht an jeder Ecke einen Polizisten, der uns auf Schritt und Tritt überwacht, als dass wir auch keine Straftat begehen.

Jede Freiheit birgt das Potenzial, für niedere Zwecke ausgenutzt zu werden. Totalitaristische Regime mit extremer Überwachung haben oftmals kaum Kriminalität, da diese durch die allgegenwärtige Kontrolle und Überwachung schnell im Keim erstickt wird. Wer solche konstante Kontrolle und Überwachung wünscht, ist frei, diesen Wunsch zu äussern, und sollte er von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden, so würde das sicherlich alsbald implementiert. Diese Auffassung, welche man ebenfalls als „extremistisch“ einstufen könnte, da sie stark von davon abweicht, wie derzeit die Überwachung der Bevölkerung stattfindet, ist trotzdem legitim, sollte jedoch nicht dahinter verborgen werden, die freiheitliche Gesellschaft erhalten zu wollen, indem die freiheitliche Gesellschaft abgeschafft wird.

Die absolute Freiheit ist gleichbedeutend mit der Anarchie, und jede gesellschaftliche Ordnung ist letztlich nichts anderes als die Unterbindung der Freiheit, im Namen der Ordnung, der Sicherheit und letztlich des Zusammenlebens. Oftmals will man hier ausblenden, dass es keine definitive Antwort darüber gibt, wie gross das ideale Mass an Freiheit sein sollte, und es letztlich nur von Moral- und Wertvorstellung sowie dem gesellschaftlichen Konsens abhängt. In den USA besitzen die Leute die Freiheit, ohne grössere Schwierigkeiten, Feuerwaffen zu erstehen. Dies birgt die Gefahr, dass jemand diese Feuerwaffen für Straftaten missbraucht. In Europa gibt es diese Freiheit generell nicht. Keine der beiden Auffassungen ist in absoluter Hinsicht richtig oder falsch, sondern nur relativ, gemäss der geltenden Moralvorstellung. Jedoch ist sie der jeweilige Konsens, den es zu respektieren gibt.

Manchmal kann Freiheit Angst machen. Vor allem ein hohes Mass an Freiheit birgt auch gewisse Gefahren. Seit der Aufklärung wurde „Freiheit“ scheinbar als generisches Konzept auf ein Podest gestellt, und folglich traut sich kaum jemand offen zu sagen, er wolle ein kleineres Mass an Freiheit, um stattdessen mehr Sicherheit zu bekommen. Jeder ist „für die Freiheit“, und das stellt im öffentlichen Diskurs eine grosse Schwierigkeit dar, denn es führt zu Täuschungen, Selbsttäuschungen und letztlich sog. mentaler Gymnastik, d.h. die Verdrehung der Tatsachen um widersprüchliches dialektisch zu vereinen. Wie eben die Freiheit reduzieren zu wollen, im Namen der Freiheit.

Es ist bequem, so zu tun, als gäbe es eine einzige korrekte Moralvorstellung, und alles andere sei Unsinn, und natürlich wird diese korrekte Moralvorstellung auch zufälligerweise die eigene sein. Diese Art von egozentrischem Denken ist ein Laster auf der Gesellschaft, denn die gesellschaftliche Ordnung ist ein Konsens, der unweigerlich von allen akzeptiert werden muss, ob sie diesen nun gut finden oder nicht. Ansonsten ist auch keine Gesellschaft als solche mehr möglich.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

philip.blake

philip.blake bewertete diesen Eintrag 17.04.2023 20:11:16

SusiK

SusiK bewertete diesen Eintrag 17.04.2023 13:07:25

Aron Sperber

Aron Sperber bewertete diesen Eintrag 17.04.2023 13:03:49

invalidenturm

invalidenturm bewertete diesen Eintrag 17.04.2023 12:34:09

2 Kommentare

Mehr von A. M. Berger