EU Flüchtlingspolitik: Überraschung, Ratlosigkeit, Totalversagen

Immer mehr EU-Gesetze scheitern an der – oft bitteren – Realität. Ein beschämendes Indiz dafür ist die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Im geschützten Wohlstand lebende Bürokraten haben auf dem Papier ein Regelwerk entworfen, das augenscheinlich in der Praxis komplett versagt. Europas Politiker führen uns gerade vor Augen, dass die EU-Regeln für Asyl in der Praxis nicht funktionieren.

Im Grunde bin ich ein großer Fan der europäischen Idee. Als Staatengemeinschaft hat die EU für jahrzehntelangen Frieden und wirtschaftliche Entwicklung gesorgt. So repräsentieren wir Europäer zum Beispiel weniger als zehn Prozent der Weltbevölkerung, sind aber meines Wissens für ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Die EU hat also Vieles richtig gemacht – in der Vergangenheit. Mehr und mehr gewinne ich den Eindruck, dass die EU keine Antworten auf die Herausforderungen von heute und schon gar nicht jene der Zukunft hat.

Dublin und Schengen sind in der Praxis brutaler als gedacht

Der ungarische Premierminister Viktor Orbán exekutiert im Grunde diese beiden Abkommen. Zugegeben, er tut das mit aller Härte und womöglich zu einem Zeitpunkt, der ihm gerade gut in den Kram passt. Aber er bewegt sich (soweit mir diese Richtlinien bekannt sind) im gesetzlichen Rahmen, wenn er Flüchtlinge nicht weiterreisen lässt, sondern sie zur Registrierung in Ungarn zwingt.

Auch das Errichten von Grenzzäunen stellt nichts anderes als das Exekutieren geltender EU-Gesetze dar. Der Vertrag von Schengen verpflichtet ein Schengen-Mitgliedsland, das über EU-Außengrenzen verfügt, diese zu schützen und für Eindringlinge jeder Art dicht zu machen. Das mag uns gerade im Zusammenhang mit den vielen Schutz suchenden Flüchtlingen unmenschlich und übertrieben brutal erscheinen, ist aber nichts anderes als das Umsetzen von EU-Regeln.

Gelangen Flüchtlinge trotzdem über Serbien nach Ungarn, dann haben ihre Asyl-Anträge kaum Aussicht auf Erfolg. Denn Serbien gilt als „sicherer Herkunftsstaat“. Als sicher gelten Staaten, in denen – vereinfacht gesagt – keine politische Verfolgung droht und keine unmenschliche Behandlung stattfindet. Den Flüchtlingen droht daher das Abschieben zurück nach Serbien. Auch das ist geltendes EU-Gesetz.

Viktor Orbán erledigt also die – sorry, für meine direkten Worte – brutale Drecksarbeit der EU (diesen Ausdruck hat schon Rainer Nowak, Chefredakteur von DIE PRESSE, in einem seiner Leitartikel verwendet, ihm gebührt also das Copyright dafür).

Zur Klarstellung, damit hier nicht der falsche Eindruck entsteht: Ich finde auch, dass jeder Asyl Suchende eine menschenwürdige Behandlung verdient hat. Das Leid, das Männer, Frauen und Kinder auf ihrer Flucht erdulden müssen und das viele von ihnen mit dem Leben bezahlen, ist unvorstellbar. Ich will mit meinen Zeilen sicher nicht Partei für Viktor Orbán und den restriktiven Umgang mit Flüchtlingen ergreifen! Ich möchte lediglich an einem Beispiel aufzeigen, wie realitätsfern und menschenverachtend die von Bürokraten geschriebenen EU-Gesetze sind. Und wie einfach es sich die Verantwortlichen der EU machen, wenn sie sich jetzt gegenseitig den „Schwarzen Peter“ zustecken.

Solidarität ist in der EU ein Fremdwort

Eine Staatengemeinschaft wie die EU basiert auch auf Solidarität. In einem Radio-Interview hörte ich vor ein paar Tagen folgendes: Polen hat aus der Aufnahme in die EU viele Vorteile gezogen. Insbesondere die Agrarwirtschaft des Landes hat von den reichlich fließenden, finanziellen Mitteln enorm profitiert. Trotzdem weigerte sich Polen lange Zeit ein aktives EU-Mitglied zu sein und eine vertretbare Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen. Geld ja, Solidarität nein. Ein weiteres Beispiel dafür wie die EU als Ganzes versagt und die politischen Vertreter dem Geschehen ohnmächtig zuschauen.

Apropos brutale Drecksarbeit

Nirgendwo ist die Festung Europa so greifbar wie in den beiden spanischen Enklaven an der Küste Nordafrikas. Dort trennen weitaus höhere Zäune als in Ungarn das spanische Hoheitsgebiet (die EU) von Marokko (nicht EU). Sogar von „Rasiermesser scharfem Nato-Stacheldraht“ lese ich in Presseberichten darüber. Mit solch brutaler Härte schützt Spanien seit vielen Jahren seine EU-Außengrenze vor Flüchtlingen aus Afrika. Wen hat das jemals gestört? Wer hat das jemals kritisiert und thematisiert?

Die Flüchtlingskatastrophe ist nur ein Beispiel dafür wie sehr die von Bürokraten erdachten Regelwerke der EU an der komplexen Realität scheitern. Dieses Scheitern löst eine Kettenreaktion aus. Bewähren sich die Richtlinien in der Praxis nicht (und dafür gibt es eine Reihe von Beispielen), folgen Verwunderung und Ratlosigkeit. Im überhasteten Ringen um eine schnelle Lösung droht dann das Totalversagen. Tausende Flüchtlinge spüren das gerade am ohnehin schon geschundenen Leib.

Bildnachweis: fotolia.de

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