Die Ermordung eines siebenjährigen Mädchens in Wien Döbling und die Verhaftung eines 16jährigen Gymnasiasten, die Tatsache, dass beide Familien ursprünglich aus Tschetschenien stammen, sowie die Welle des Hasses in den sozialen Medien zwingt uns neuerlich die Fragen auf: Was ist aus uns geworden? Hat die Verrohung zugenommen – oder waren wir immer schon so?

Wir erinnern uns an die Aufregung um das Wiener Neujahrsbaby, nachdem das Bild der Mutter mit Kopftuch in den Medien erschienen war. Was musste da in jemanden vorgehen, der diese Bild mit der Geburt des „der nächsten Terroristen“ in Verbindung gebracht hat?

Was also ist aus uns geworden?

Noch während die Suche nach dem Täter in Wien lief, schrieb der Generalsekretär der Caritas Wien, Klaus Schwertner, auf seiner FB-Seite unter anderem: „Liebe Hassposter, was ist eigentlich mit euch los? Ein 7-jähriges Mädchen wird in Wien erstochen. Ein kleines Mädchen ist gewaltsam getötet worden. Das schockt, das macht betroffen. Die Umstände sind zur Stunde völlig unklar. Aber anstatt Beileidsworten wird diese schreckliche Tat von euch dazu im Netz genutzt, Hass zu schüren, Falschinformationen zu verbreiten und die trauernde Familie zu verunglimpfen. Lasst die Polizei ihre Arbeit machen! Und haltet euch endlich mal zurück. Ein kleines Kind ist tot. Und ein Kind ist ein Kind, egal, wo es oder seine Eltern geboren wurden... Euer Hass widert mich an!..

Ein FB-Nutzer namens Max B. warf ihm umgehend überflüssige „Dauerbetroffenheit“ vor: „Herr Schwertner machen Sie nicht Stimmung mit dieser Sache, das ist unangebracht und geht, wie so Vieles von Ihnen, nach hinten los. Sie lassen aber auch gar nichts aus um Aufmerksamkeit zu erlangen!“

In der Folge dreht sich dann der – mitunter sinnentleerte – Konflikt darum, ob es sich bei den Hasspostings um „spontanen Volkszorn“ handelt oder um Äußerungen, die in den Menschen „schlummern“ und bei Bedarf (ob Mord oder Geburt) an die Oberfläche kommen.

Drei Dinge sind in diesem Zusammenhang klar:

Obwohl die ganze mediale Aufmerksamkeit auf den „Hass im Netz“ bisher keine merkbare Mäßigung bewirkt hat, darf sie nicht nachlassen. Dabei geht es nicht um strafrechtlich relevante Einträge. Für diese müssen die Konsequenzen eindeutig und durchsetzbar sein. Es geht darum, die Sensibilität und damit die Hemmschwelle zu erhöhen. Da sind alle Netzuser gefordert.

Eine weitaus intensivere Diskussion als bisher sollte darüber geführt werden, warum so viele Menschen glauben, auf den sogenannten „Filter“ bei veröffentlichten Aussagen im Netz verzichten zu können. Die Erklärung vom Schutz der Anonymität scheint nicht auszureichend. Immer mehr fühlen sich zu Ausfällen gegen andere nicht nur berechtigt, sondern durch das allgemeine politische Klima sogar ermuntert. Wir müssen uns darüber unterhalten, wer warum ständig Freibriefe zur zwischenmenschlichen Niederträchtigkeit ausstellt und es dafür immer mehr willige Empfänger gibt.

Es sollte „in“ werden, eine ganz normale Frage ständig zu wiederholen: „Können Sie sich eigentlich noch in den Spiegel schauen“? Und wenn ja, was sehen Sie dort? Verbitterte Gesichtszüge? Warum? Was in Ihrem Leben ist der Grund dafür? Dann könnte man sich mit den Ursachen empathisch auseinandersetzen. Dann würden sich viele vielleicht ernst genommen fühlen. Auch das könnte jeder in seinem ganz persönlichen Umfeld praktizieren – und damit mehr erreichen als er glaubt. Mit der Verrohung kommt die Verhärtung und diese gilt es aufzubrechen.

Einen Anfang könnte man schon mit der Akzeptanz jener Äußerungen machen, die das Monatsmagazin „Datum“ in seiner jüngsten Ausgabe in einem Interview mit Christian Konrad, ehemaliger Chef des Raiffeisenkonzerns, ehemaliger Flüchtlingskoordinator, jetziger Gründer eine Zivilgesellschaftsinitiative, veröffentlicht hat. Den anderen in seiner Würde zu akzeptieren und zu respektieren, wäre eine christlich-soziale Einstellung. Und weiter: „Aber was ich nicht möchte, ist eine Gesellschaft, die kalt ist und sagt: Mir ist das alles völlig egal. Es gibt ja auch berühmte Couplets, wo einer singt: ‚Da liegt ein Toter, schau her! Ich bin’s nicht, gehen wir weiter.’ Diese Haltung hat mich immer erschreckt.“

Der Tod und das Mädchen sollten uns ausreichend erschrecken, um der Menschenverachtung anderer etwas entgegenzusetzen – wo immer wir damit konfrontiert sind.

GoranH / pixabay

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