Zu den beliebtesten Figuren in Wien zählen die Schausteller, also die auf Jahrmärkten, Volksfesten oder eben im Wiener Prater Unterhaltung anbieten. Sie haben den richtigen Schmäh, also die unernste, witzige Art, die andere so an Wien schätzen.

„Kommen Sie näher, kommen Sie ran, das können Sie nur in diesem Etablissement sehen“, ist einer der von der Geschichte überlieferten berühmten Ausrufe. Von Zeit zu Zeit ereignen sich in dieser, der österreichischen, Republik aber nach wie vor Dinge, für die es keine exaktere Zuschreibung gibt. So auch in diesen Gedenktagen zum 100. Regierungstag der neuen Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ.

In kaum einer anderen entwickelten europäischen Demokratie kann man sich vorstellen, dass der Regierungschef und sein Stellvertreter im Tandem zum Dreimonats-Jubiläum ausrücken, um in mehr als zwei Dutzend Interviews ihre bisherige Arbeit zu loben. Und in kaum einem anderen Land erklären sich sämtliche Medien bereit, diese zu veröffentlichen. Zumindest jene, denen der politische Paarlauf zu einem späteren Zeitpunkt angetragen worden ist und die daher die immer gleiche Botschaft in den immer gleichen Worten schon erkennen konnten, hätten Platz und Sendezeit sparen können.

Dem war in den letzten Tagen nicht so. Der Kolumnist der Wiener Tageszeitung „Standard“, Hans Rauscher, hat das in seiner Kolumne vergangenen Samstag unter dem Titel „Stay on Message“ anschaulich dargelegt: Der Satz „Das erste Mal seit über sechzig Jahren geben wir nicht mehr aus als wir einnehmen“ wurde (und wird) so oft wiederholt bis ihn auch der faulste oder nachlässigste Medienkonsument im Schlaf aufsagen kann. Es gibt auch andere Botschaften, die er verinnerlichen kann, weil immer die idente Wortwahl getroffen wird: Wer noch nie etwas in das Sozialsystem eingezahlt habe, soll auch nichts bekommen, wäre so einer.

„Stay on Message“, also verbreite die immer gleiche Botschaft, ist an und für sich völlig legitim in der Politik im Allgemeinen und für eine Regierung im Speziellen. Dagegen lässt sich gar nichts einwenden. Wenn diese Order flächendeckend von allen Vertretern einer Regierung durchgezogen wird, verfestigt sich der Eindruck der Durchsetzungskraft, Stärke und Geschlossenheit. Darauf darf, ja muss, eine Regierung achten.

Kabarettreif wird das Ganze bei einem derartigen Overkill wie er in den letzten Tagen stattgefunden hat. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sind ausgezogen, das Land nach 100 Tagen mit sensationellen Titeln wie „Wir stehen erst am Anfang“ oder „Haben kein Interesse an Speed und Kill“ etc. in Bann zu schlagen.

Zwischen den Schlagzeilen platzierten sie dann die „Renner“ des Wahlkampfs: Weniger für Flüchtlinge und Migranten, stärkere Grenzsicherung, Reduzierung der Mindestsicherung etc. Das ist vollkommen verständlich. Es war das Erfolgsrezept der FPÖ, aufgenommen und populärer verbreitet von Sebastian Kurz, indem er jede Sachfrage auf das Ausländerthema reduzierte. Dass Kurz und Strache in diesem Punkt auch jetzt bei der „message“ bleiben, ist verständlich. In der Politik wie im normalen Leben gilt: Was einmal als „Erfolg“ erkannt, genossen und fixiert worden ist, wird kaum geändert – schon gar nicht in so kurzer Zeit nach einem ultimativen Erfolgserlebnis.

Dieses hatte Sebastian Kurz im Herbst bei der Wahl am 15. Oktober ja auch dadurch erreicht, dass er in jeder Diskussion, jeder TV-Konfrontation und in jedem Interview spätestens nach einigen Minuten über die Flüchtlingspolitik den Satz gesagt hat: „Ich habe die Balkanroute geschlossen“.

Er hat ihn so oft wiederholt, dass es nach wenigen Wochen zu folgender Szene gekommen ist: In einem bürgerlichen Wirtshaus in der Wiener Innenstadt unterhalten sich zu Mittag zwei – von Themen, Auftritt, Äußerem her ÖVP-affine Geschäftsmänner – über den damals laufenden Wahlkampf. Einer von ihnen: „Ich habe die Balkanroute geschlossen nervt jetzt schon wirklich.“ Der Mann war im Irrtum. Der Satz war die Botschaft.

Jetzt, Monate danach, erstaunt der Overkill an Interviews. Der Wahlkampf ist vorüber, die Zeit der Überschriften eigentlich vorbei. Die Regierung hat einiges in Gang gesetzt, einige kleine Gesetze beschlossen. Aus Absichtserklärungen und Budget ließe sich schon für jedes Interview ein anderer Schwerpunkt finden. Kurz und Strache müssten ja auch ein Interesse daran haben, mit Sachpolitik den durch verschiedene FPÖ-Affären verpatzten Start in den Hintergrund zu drängen. Statt dessen haben sie es vorgezogen, überall den gleichen Wortschwall abzuliefern. Warum? Weil sie es konnten. Kein Medium hat dagegengehalten – mit dem Satz. Tut uns leid, aber der Nachrichtenwert dieses Gespräches ist zu gering für eine Veröffentlichung.

Eine solche Übertreibung, meine Damen und Herren, erleben Sie eben nur in unserem Etablissement.

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