So hartherzig kann man gar nicht sein, dass man derzeit die Bilder der durch Schutt und Zerstörung um ihr Leben rennenden Eltern mit verletzten Kindern auf dem Arm in Ghouta, Syrien, aus dem Kopf bekommt; so egoistisch kann man gar nicht sein, um zu denken, dass das alles nichts mit uns zu tun hat und irgendjemand berechtigt wäre, Flüchtlinge aus Syrien als illegale Asylwerber zu sehen.

So verbohrt kann man auch gar nicht sein, dass einem die erschreckende Diskrepanz zwischen der Warnung des österreichischen Außenministeriums vor Reisen nach Afghanistan (unverändert seit Oktober 2017) und den wiederholten Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern dorthin gleichgültig sein könnte.

Immerhin schreibt das Ministerium: „Im ganzen Land besteht das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneten Raubüberfällen.“ Es wird dringend angeraten, das Land zu verlassen. Die Abschiebungen erfolgen Medienberichten zufolge aufgrund ganz anders lautender umstrittener Gutachten. So also sieht ein sicheres Land aus? Dieser Widerspruch kann Menschenleben kosten. Und Österreich geht das alles nichts an?

Da sind wir jetzt beim Fremdschämen. Aber nicht nur deshalb. Während also in Syrien „die Hölle auf Erden“ (©UN-Generalsekretär Antonio Guterres) herrscht und Österreich junge, gut integrierte, meist in einer Lehre oder Ausbildung befindliche, Afghanen in das Land abschiebt, das andere dringend verlassen sollen, kümmern wir uns seit Wochen um das Rauchen, um das Tempolimit auf Autobahnen und das Aus für dieses im Abschnitt Wörthersee in Kärnten. Die Rauchen-Posse ist nun um einen Aspekt reicher: Wenn bis Sommer 2018 nicht Vernunft eingekehrt ist, werden Jugendliche unter 18 Jahren in Niederösterreich nicht mehr rauchen oder jedenfalls keine Zigaretten mehr kaufen dürfen, in Wien und im Burgenland schon. Das Jugendschutzgesetz ist nämlich Ländersache und ein einheitliches Rauchverbot für Unter-18jährige vorerst gescheitert. Unsere Sorgen möchten wir haben, nicht wahr?

Das betrifft auch die Frage, ob der Lügenvorwurf des Vizekanzlers an die ORF nun Satire ist oder nicht. Bei allem Respekt vor und aller Unterstützung für den von Heinz Christian Strache angegriffenen ORF-Moderator Armin Wolf, ist auch seine Beförderung zum Säulenheiligen des Journalismus' nicht viel mehr als ein Beweis der Kleinkariertheit in diesem Land. Um nicht missverstanden zu werden: Der Angriff auf den ORF und den Journalismus allgemein rechtfertigt in einer Demokratie jeden Protest und jeden Widerstand. Allein, die Verbissenheit, mit der in Österreich auf Nebenschauplätzen herumgetobt wird, rechtfertig andrerseits jeden Anfall von Fremdschämen.

Anlass dazu gibt es jedenfalls auch in dieser Causa. Immerhin hat die Nachrichtenagentur Reuters jüngst die Meldung in die internationale Medienwelt gejagt: „Österreichische Fernsehanstalt klagt Führer der äußersten Rechten wegen Vorwurf der Falschmeldungen“. Also dann hätten wir es wieder auch in die New York Times geschafft – mit so einer Meldung! Wie ist das mit dem Fremdschämen?

Nicht zu vergessen auch die Aufregung um die geplante berittene Polizei. Jede Wette, dass kurz nach Auftauchen der Polizisten als Reiter die intensive Diskussion darüber ausbrechen wird, ob die Polizeipferde nicht auch wie die Wiener Fiakerpferde Windeln verpasst bekommen sollten – wegen Strassenverschmutzung und so. Da werden die Emotionen wieder so richtig hoch gehen können.

Als ob es noch einen Beweis für die verzerrten Relationen bedurft hätte: Keine 100 Kilometer von Wien entfernt wurde in der Slowakei ein junger Aufdeckungsjournalist und seine Lebensgefährtin geradezu hingerichtet. In einem EU-Land wie zuvor in Malta der Mord an einer Journalistin? Hat das bei uns einen Aufschrei ausgelöst oder gar eine Debatte darüber was in unserer EU-Gemeinschaft hier vor sich geht?

Man kann das Ganze natürlich auch aus einer anderen Perspektive sehen und darüber jubeln wie gut es Österreich gehen muss. Nur in einer Zeit, in der das Kriegselend in Syrien, im Irak, in Afghanistan einfach so hingenommen wird; in der sich auf Frieden angelegte Organisationen wie die UNO oder die EU als hilflos erweisen, sollte der Hang zum Unwesentlichen nicht derart schamlos ausgelebt werden. Das ist eben der Punkt: Ein glückliches Land wie Österreich hat nicht den geringsten Grund dazu oder für die vielen Bösartigkeiten allen Fremden gegenüber.

Die Art und Weise wie sich jüngst bei einer Zufallsbegegnung ein älteres Paar über Flüchtlinge geäußert hat, war nicht einmal mehr zum Fremdschämen. Es blieb nur Scham und Fassungslosigkeit. Sehen diese Menschen keine Berichte aus Syrien?

cemT/shutterstock

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