George Orwell, die Regierung und der ORF-Sender FM4

Gerüchte, nichts als Gerüchte! So reagierte das Büro von Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) im Februar auf eine Meldung der Stadtzeitung „Falter“, wonach die Regierung die Einstellung des Jugend- und Kultsenders des ORF, FM4, plant. Nun ist das mit den Gerüchten so eine Sache seit der Klubobmann der FPÖ, Johann Gudenus, von „stichhaltigen Gerüchten“ über die Aktivitäten von US-Milliardär George Soros in Ungarn zu berichten wusste und Vizekanzler Heinz Christian Strache diese „Fakten“ nannte.

Was sind nun also die Gerüchte über ein Aus für FM4? Stichhaltig könnte man behaupten, wenn man die Angriffe der FPÖ auf einen in ihren Augen „linkslastigen“ Jugendsender Revue passieren lässt. Und stichhaltige Gerüchte werden zu Fakten, wie man inzwischen weiß.

Ab 1995 teilte sich der damalige internationale Sender „Blue Danube“ mit FM4 die Sendezeit. Unter Schwarz-Blau I wurde er zur Gänze FM4 zugeschlagen und zwar ziemlich erfolgreich unter Bewahrung des internationalen Teils mit einer fremdsprachigen Nachrichtensendung, Interviews etc, wie man heute weiß. Von einem Sender für die internationale Community in Wien hat er sich zu einem Jugendradiosender abseits des mainstreams gewandelt. Das FM4 Festival ist von Jahr zu Jahr populärer geworden. Sendungen wie das „Nachtquartier“ der Regisseurin Elisabeth Scharang hatten ihre Fans.

Als „Blue Danube“ das Aus drohte, hatte sich heftiger Widerstand formiert. Einer internationalen Stadt wie Wien sei das Abdrehen des mehrsprachigen Senders nicht würdig, wurde argumentiert. Eine so drastische Verengung des ORF Radio auf nur Lokales und Regionales auch nicht. Die Protestaktion hatte Erfolg, die Fusion mit FM4 eben auch.

Nun wurde der – von allen Seiten noch dementierte – Plan, FM4 im kommenden Jahr einzustellen, dem Vernehmen nach mit „Nichterfüllung des Bildungsauftrags“ begründet. Hier kommt George Orwell und sein Newspeak ins Spiel.

Das muss man sich vor Augen führen: Einen Sender, der für fremdsprachige Sendungen bekannt ist, von denen ja junge Menschen lernen können und die auch durchaus die Sprachkenntnisse mancher Politiker verbessern könnten, den Bildungsauftrag abzusprechen, ist schon eine Orwell’sche Verdrehung der Tatsachen. Die Hälfte der Sendezeit ist fremdsprachig. Einen Sender, der jungen österreichischen Künstlern eine Plattform bietet, abzudrehen während man gleichzeitig ununterbrochen vom ORF mehr österreichische Inhalte zur Stärkung der österreichischen Identität (© Medienminister Gernot Blümel) verlangt, ist bewusste Manipulation.

Schließlich hatte Radiodirektorin Monika Eigensperger beim ersten Auftauchen der Gerüchte um ein Abdrehen des Senders in den Medien noch auf diesen Österreich-Inhalt hingewiesen: „FM4 ist ein überaus essenzieller Teil der ORF-Radios, die die erfolgreichsten am europäischen Markt sind. FM4 bereichert unser Angebotsspektrum ganz wesentlich durch seine Auseinandersetzung mit österreichischer Musik und Kultur. Dadurch ist FM4 auch ein Sprungbrett für die junge österreichische Kreativszene, was auch international stark wahrgenommen wird“. Na eben! Das ist doch das Österreichische, das Blümel so stark forcieren will.

Nun mag es sein, dass die FPÖ unter Duldung der ÖVP unter „Kreativszene“ etwa was anderes verstehen möchte und zum Beispiel den Protestsongcontest gar nicht als kreativ wahrnehmen will. Dennoch veranstaltet ihn FM4 seit 15 Jahren und bietet so jungen österreichischen Liedermachern eine Möglichkeit, sich zu vergleichen – vor allem aber eine Öffentlichkeit, die sie sonst nicht bekommen. Wahrscheinlich schmerzen blaue Ohren auch alle Sendungen, die sich auch nur im Entferntesten nach Underground oder Subkultur anhören.

Jedenfalls klingt die Aussage von FPÖ-Stiftungsrat, Norbert Steger, es stünde ja noch nichts fest in den Ohren eines gelernten Österreichers wie eine Drohung. Und die Bemerkung, das drohende Aus werde von „der linken Seite“ hochgespielt wie eine ungewollte Bestätigung, dass es der FPÖ um die Stilllegung eines „linken“ Senders geht. Diesen Eindruck verstärkt auch regelmäßig der Mediensprecher der FPÖ, Hans-Jörg Jenewein.

Es dürfte aber nicht allein darum gehen, sondern auch um die Privatisierung einer ORF-Senderkette im Radio. Vor einigen Wochen war Wolfgang Fellner mit seinem Wunsch nach einer österreichweiten Radiofrequenz für Ö 24 abgeblitzt. Prompt ließ er wissen: Er „erwartet“ von Medienminister Gernot Blümel eine Änderung des Gesetzes. Interessant wird sein, ob und wie Blümel Fellners Erwartungen zu erfüllen gedenkt. Mit dem Verkauf eines ORF-Senders?

Schwächer als Mitte der neunziger Jahre bei „Blue Danube“ rührt sich jetzt Widerstand. „Reporter ohne Grenzen“ hat gemeinsam mit der Aktion #aufstehen die Online-Petition „Rettet FM4“ gestartet. Sie wird den Schwung der „Friends of Blue Danube“ kopieren müssen. Auch sie waren unter Schwarz-Blau in den Verdacht der „linken Meinungsmache“ geraten.

Wie „stichhaltig“ das Gerücht schließlich sein wird, wird man am Ergebnis der nun ständig angekündigten Medienenquete Blümels am 7. Und 8. Juni in Wien ablesen können. Und auch, ob die 2000er Jahre in Österreich nicht doch ein Stück weniger engstirnig und provinziell waren.

dimitrisvetsikas1969

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