Siemens und die U-Bahn für Saudi-Arabien

Auf meiner Facebook-Pinnwand entspann sich heute eine kleine Diskussion über eine Meldung aus dem Standard, wonach Siemens in Österreich „eine Drei-Klassen-U-Bahn“ für Saudi-Arabien baut, und zwar „nach Geschlechtern und sozialer Stellung getrennt“. Das klingt nach Skandal: Es gebe eine erste Klasse „fast“ nur für Männer, schreibt der Standard, eine zweite für Familien (wo Frauen „unter Begleitung eines Mannes“ fahren dürfen), und eine dritte Klasse für Männer „ohne hohe Stellung“.

Ein Freund fand den Artikel rassistisch. Verschiedene Klassen in der Bahn gebe es schließlich auch in Deutschland. Das mit der Geschlechtertrennung wäre ebenfalls polemisch dargestellt. Und so entspann sich eine dieser kleinen Debatten, wegen denen ich das Internet so mag: Saudi-arabische Menschen wurden befragt, wie man sich so eine U-Bahn wohl vorstellen müsse, jemand anderes rief bei Siemens an, und alle spekulierten ein bisschen mit herum, wer wohl praktisch zu welchen Bedingungen in welchem dieser Wagen sitzen würde.

„Laut Siemens geht die Differenzierung in den Klassen nur über den Preis, nicht über die Schicht, wie im Standard-Artikel formuliert, die dritte Klasse ist allerdings, soweit ich das verstanden habe, nur für Männer. Frauen können allerdings auch alleine im Familienabteil reisen“ schrieb der Freund, der mit Siemens telefoniert hatte. Dann wäre also der Standard-Artikel in zwei Punkten zumindest grob missverständlich formuliert: Erstens funktioniert die soziale Differenzierung nach Klassen nicht über eine irgendwie geartete „soziale Stellung“, sondern genauso schlicht wie bei uns übers Geld. Und zweitens ist es auch nicht wahr, dass Frauen nur in männlicher Begleitung ins Familienabteil dürfen, sondern es ist andersrum: Männer dürfen nur in weiblicher Begleitung dort hinein, andernfalls müssen sie in die Single-Klasse.

Reiche Menschen werden also erster Klasse fahren (theoretisch nicht nur Männer, sondern auch Frauen, ich vermute allerdings, dass in der Realität Männer diesen Raum für sich okkupieren werden – denn nicht alles, was einer Frau erlaubt ist, „gehört“ sich auch für sie). Und wer sich das nicht leisten kann, hat zwei Optionen: „Familienklasse“ und „Single-Männer-Klasse“. Die Familienklasse ist für Frauen und ihre männlichen Begleiter reserviert, alleinreisende Männer gehen in die Single-Männer-Klasse.

Jener Freund, der mich auf die tendenziöse Darstellung des Standard hingewiesen hat, vermutet, dass der Grund für die Regelung ist, Frauen vor männlichen Übergriffen zu schützen. Man geht halt davon aus, dass Männer, die in Begleitung ihrer Mütter, Schwestern, Ehefrauen unterwegs sind, sich eher zivilisiert benehmen, als wenn sie allein oder in Männergruppen unterwegs sind. Das halte ich für eine berechtigte Annahme – ja, in patriarchalen Gesellschaften ist das so. Das Patriarchat weist Frauen sozusagen die Rolle zu, Männer zu zivilisieren.

Ich erinnere mich daran, dass in der siebten Klasse (ich war ungefähr zwölf) ein neuer junger Lehrer zu uns kam. Er schaffte es nicht, die Jungs zu disziplinieren und zum Zuhören zu bewegen, sie alberten dauernd rum und störten den Unterricht. Also kam er auf eine tolle Idee: Die ganze Klasse musste sich umsetzen, und zwar immer ein Junge und ein Mädchen abwechselnd. Wir Mädchen wurden also, obwohl wir uns gar nichts zuschulden hatten kommen lassen, von unseren Freundinnen getrennt und quasi als Puffer unter die Jungs verteilt. Mir erschien das damals völlig rational, so ist eben die Welt. Was für eine Unverschämtheit das uns Mädchen gegenüber war, wurde mir erst klar, nachdem ich Feministin geworden war.

Auch die U-Bahn-Lösung in Riad ist aus einer patriarchalen Perspektive, in der von Männern ausgeübte Gewalt und Aggressivität als etwas irgendwie Normales gilt, naheliegend. Man spart auf diese Weise Sicherheitspersonal, schrieb jener Freund an meine Pinnwand. Ja, das kann ich verstehen.

Der Ansatz ist aber trotzdem vollkommen falsch.

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